Männlicher Feminist sein – geht das?
Was ist eigentlich aus der Frauenbewegung geworden? Zeit, das Thema aus der Schublade zu holen, sich zu erinnern, wenn auch aus der persönlichen Perspektive eines Mannes.
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- Tolle Frauen
- Rollenspiele
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Text Giò von Beust
Giò von Beust ist Visionär, Künstler und Aktivist. Als Banker, Volljurist und Berater schöpft er aus der Berufs- und Lebenserfahrung als Autor, Übersetzer, Unternehmer, Buchverleger und Weltreisender; sein Denken kreist um die Frage, „was die Welt im Innersten zusammenhält“.
Prolog
Anlass für dieses persönliche Pamphlet ist, wie könnte es anders sein, meine eigene Tochter, geboren 2013. Dieser wünsche ich ein Leben, in dem sie überall auf der Welt furchtlos hingehen kann, wohin sie will, und in dem sie selbst über ihren Körper und ihr Frausein bestimmen kann, wie sie das will (sofern ihr der LGBTQIA+-Hype in der Findungsphase der Pubertät das Frausein nicht ausredet).
Ich wünsche ihr die Freiheit, weggehen zu können, wenn es ihr nicht passt, ungehorsam zu sein, wenn sie das Befohlene ablehnt, und die Freiheit, wenn die vorherrschenden Verhältnisse es nicht zulassen, mit anderen woanders ein neues und erfüllendes soziales Arrangement nach ihren Vorstellungen zu (er)finden.
Warum sollten Männer die „neue“ Frauenbewegung unterstützen?
Ein männlicher Feminist zu werden, ist eine der letzten Facetten, die ich den vielen Ideen, Konzepten, Analogien hinzugefügt habe, die sich mit der Zeit in meine sich weitende Sicht auf das, was es bedeuten könnte, Mensch zu sein, eingebettet haben.
Warum sollten wir also männliche Unterstützer der heutigen „neuen“, empathischen Frauenbewegung sein oder werden? Gute Frage.
Als erstes hat mich die neue Qualität, Dimension und der neue Tonfall der heutigen globalen und lokalen Fraueninitiativen angesprochen. Da klingt etwas mit, das ich seit der Jugendzeit, in den „68er“ Jahren, nicht mehr gespürt habe, eine „Weitung und Transzendierung“, die ich später, nachdem die politischen Träume verflogen waren, nur noch in den Gedichten von Rilke ausgedrückt fand.
In den 1980er und 1990er Jahren hatte ich die Frauenemanzipation à la Alice Schwarzer mit Sympathie als Beobachter begleitet, aber sah sie als eine Frage unter den vielen politischen und sozialen Anliegen, die damals wichtig erschienen.
Der Eisenhans
Zu jener Zeit hatte ich jedoch eine flüchtige Begegnung mit Männern, die erste Schritte unternahmen, um sich von dem zu befreien, was sie, so fühlten sie es vage, fernhielt von dem, was das Leben sein könnte, und die sich, inspiriert von Robert Blys „Eisenhans“, auf eine Suche nach dem Mannsein begaben, die aber, so sehe ich es heute … nirgendwo hinführte. Auch wenn ich damals als Verleger mit dem Buch „Männer auf der Suche“ des Australiers Steve Biddulph einen Bestseller landete. Denn ihre Suche nach der „wahren“ oder „echten“ Männlichkeit versäumte es, die eine wesentliche Frage zu stellen: Und was ist mit den Frauen?
Ironischerweise erlebte ich in den vielen Initiativen, Gruppen und Seminaren, die ich in den letzten Jahrzehnten besuchte und die neue Lebensweisen, Formen der Kommunikation, Spiritualität, Musik, Heilung, persönliches Wachstum und solcher Dinge mehr zum Gegenstand hatten, eine seltsame Abwesenheit der Männer – und die Frauen dort, weit in der Überzahl, stellten uns wenigen Männern immer wieder die Gegen- und Gretchenfrage: Und was ist mit den Männern?
Es schien, dass Männer und Frauen in verschiedenen Welten lebten, auf unterschiedlichen Zeitachsen, und die Frauen sich sehnten und suchten, während die Männer abwiesen und beharrten.
An irgendeiner Stelle wurde ich tiefer in die Sache der Frauen hineingezogen.
Zunächst war ich besonders beeindruckt von den feministischen Bewegungen, die das Thema Frauengleichstellung erweiterten zu einem „geschlechterübergreifenden“, friedensstiftenden Anliegen und dieses in soziale und politische Aktion transformierten.
Leymah Gbowee, die liberianische Friedensaktivistin, Sozialarbeiterin, Frauenrechtlerin und Friedensnobelpreisträgerin von 2011, lieferte die Vorlage mit einer gewaltfreien Bewegung, in der christliche und muslimische Frauen eine entscheidende Rolle spielten, den katastrophalen vierzehnjährigen Bürgerkrieg in Liberia zu beenden.
Inspirierend fand ich besonders die Gandhi-artige Aktionsform der Bewegung: „Kein Sex, kein Kochen!“ lautete ihr Aufruf zu einer ganz neuen Art von Generalstreik.
Das brachte die Männer wirklich zum Nachdenken und veranlasste sie, sich die Hände zu reichen über die Gräben der religiösen und politischen Dogmatismen hinweg – jener beliebten Freizeitbeschäftigung der Männer überall auf dem Planeten … abgesehen von Fußball! Damals umzingelten die Frauen das liberianische Parlament zu Tausenden und machten klar, dass sie nicht gehen würden, ehe die Männer drinnen einen Friedensvertrag unterschrieben hätten.
Und diese unglaubliche Geschichte hatte nachhaltige Folgen: 2006 wurde Ellen Johnson Sirleaf zur Präsidentin von Liberia gewählt und übte das Amt 16 Jahre lang bis Januar 2018 aus.
Yael Deckelbaum
Im Oktober 2016 brach die israelische Sängerin und Aktivistin Yael Deckelbaum mit tausenden von palästinensischen und israelischen Frauen auf zu einem Friedensmarsch: „Women Wage Peace“ quer durch Israel, der an den Ufern des Toten Meeres, am tiefsten Punkt der Oberfläche der Erde, in einem gemeinsamen Friedensgebet der Mütter seinen Höhepunkt fand.
Dieses Gebet der Mütter („Prayer of the Mothers“) gab dem liberianischen Vorbild eine weitere weibliche Dimension: Der Mutter-Archetypus, Symbol des Lebenschenkens, der Schöpfung, des sich entfaltenden Lebens wurde erweckt und erhielt eine neue Gestalt. Dieser bereits kraftvollen Mixtur fügte Yael Musik hinzu – „Add Some Music“, wie es der alte Beach Boys-Song empfiehlt –, um eine wundervolle, bewegende und inspirierende vierfältige Formel zu erschaffen, in der Musik oder die Gemeinschaft, die durch das Zusammensingen erschaffen wird, das Versprechen einlöste, das Yehudi Menuhin einst gab: „Ein Mensch, der singt, kann sich selbst heilen, Menschen, die zusammen singen, können die Welt heilen.“
Yael Deckelbaums Musikvideo „Prayer of the Mothers“ über diesen Marsch vom Oktober 2016 verzeichnet inzwischen knapp 7 Millionen Aufrufe auf Youtube. Auch im Purpose-Magazin ist es zu sehen: purpose-magazin.de/prayer-of-the-mothers. Es mag stiller um die Bewegung geworden sein, sie ist jedoch zutiefst lebendig.
Wo/men’s March 2017 in München
Inspiriert von Yaels Video, machten sich fünf Frauen und ich mich daran, einen ähnlichen „Prayer of the Mothers – Wo/men’s March“ im Juni 2017 in München zu organisieren (vimeo.com) – was mir eine ganz neue Sicht auf die Geschlechterfrage eröffnete und ich eine ganz andere Art des „Arbeitens“ erleben durfte, wenn es nach den Regeln der Frauen geht. In der normalen Welt arbeiten die Frauen – sofern sie das dürfen – nach den Regeln der Männer – siehe Annalena, da ändern auch Quoten und Posten nichts.
In München fügten wir als Organisierende einen Schrägstrich hinzu, um mit der Überschrift „Wo/men’s March“ zu signalisieren, dass die Lage der Frau auf unserem Planeten eine Angelegenheit ist, die auch uns Männer ganz unmittelbar etwas angeht.
„Weiblichkeit/Frau“ als Ausdruck von Inklusion
Denn, davon bin ich heute fest überzeugt, es ist schon längst nicht mehr eine Frage der „Frauenemanzipation“ oder der „Frauenrechte“ oder „gleicher Chancen“, sondern die Beteiligung und gerne auch die Führerschaft von Frauen ist zu einer Frage des Überlebens für die menschliche Spezies überhaupt geworden.
An dieser Stelle ist wichtig zu betonen, dass ich „Weiblichkeit/Frau“ als Ausdruck von Inklusion verstehe – und auch als Platzhalter-Begriff für alle anderen, die, mehr oder weniger, ausgeschlossen sind von der Gestaltung unserer wirtschaftlichen und politischen Prozesse. Weiblichkeit ist kein (weiterer) Begriff der Trennung.
Natürlich könnte – und müsste – an dieser Stelle ein tiefer gehender Exkurs über die kulturelle/biologische Prägung von Geschlechterrollen einsetzen und Aspekte von LGBTQIA+ und Gender Fluidity ansprechen – diese Fragen sind untrennbar mit unserem Diskurs als männliche Feministen verbunden –, doch das würde mich wegführen von der eher grundsätzlichen Argumentation, die ich hier führen will.
Das Patriarchat
Auf der Suche nach der Bedeutung des Ganzen hat sich die westlich-europäische Ausformung des Patriarchats, also die heutige Weltzivilisation, auf die Suche nach der kleinsten Einheit gemacht, um Antworten über das Vollständige zu finden, sie hat das Ganze dekonstruiert, um es mit Rationalität und reduktionistischer wissenschaftlicher Methodik („Ockhams Rasiermesser“: Von mehreren möglichen Erklärungen für ein und denselben Sachverhalt ist die einfachste Theorie allen anderen vorzuziehen) zu rekonstruieren, und sie hat dabei ein unmenschliches, zusammengezimmertes und marodes Gebäude unter der Kontrolle wirtschaftlicher Interessen errichtet.
Unsere patriarchalen politischen Systeme gleich welcher Couleur werden von geradezu Besessenen (darunter auch einige Frauen wie Annalena) angeführt, die ihren Egowahn unter dem Deckmantel von Wirtschaftsorganisationen, Religionen und Ideologien ausleben –, die mit kruden und spaltenden Konzepten und Parolen die Welt in einem dauerhaften Antagonismus gefangen halten. Und die sind bereit, Millionen von Menschen leiden und töten zu lassen, um ihr sich beständig selbst bespiegelndes Ego zu befriedigen, das ihnen des Nachts, wenn sie allein – oder nicht – im Bett liegen, immer wieder, unablässig und eindringlich einflüstert, dass das, was die „anderen“ tun und lassen, dass das, was die anderen sind, unerträglich, unmoralisch oder ungläubig ist, abgeschafft, vernichtet gehört.
Nicht ohne Grund ist eine der Hauptforderungen der Friedensfrauen von Israel/Palästina, dass Frauen (wie Yael) in den israelisch-palästinensischen Friedensprozess einbezogen werden müssen (um den Egomanien auf beiden Seiten Einhalt zu bieten). Gleiches könnte für den heutigen Konflikt Ukraine/Russland gelten, in dem die Parole ausgegeben wird: Frieden sei keine Option.
Das Ende der Trennung
Was hat das nun damit zu tun, ein männlicher Unterstützer des Feminismus zu sein oder zu werden?
Weil sich der neue empathische Feminismus um die Beendigung der Trennungen dreht, von Verbindung handelt, sich für die Liebe, für Freude, Frieden, Musik, Leidenschaft, gutes Leben, für das Leben selbst einsetzt, und weil er ins Zentrum der Betrachtung stellt, dass wir Menschen lebendige Wesen sind, die in Kulturen und in der Natur wurzeln.
Die in Tunesien geborenen Kaouthar Darmoni trifft den Nagel auf den Kopf, wenn sie so plastisch klarmacht, dass Frauen nur dann vollumfänglich Mensch sind, wenn sie auch vollständig Frau sein können (kaouthar.com)
Die Befreiung der Männer
Und wenn Frauen wieder vollständig Frau sein können, kann die Rückkehr der befreiten Weiblichkeit in unsere Welt – was gleichbedeutend ist mit der Rückkehr der Hälfte der Menschheit zur Teilhabe an allen Aspekten unserer Zivilisation – für uns Männer die Befreiung von der Sklaverei des selbstzerstörerischen, ökonomistischen, mechanistischen und egomanischen Paradigmas bedeuten. Wir würden befreit von den auferlegten Zwängen, Pflichten und Verboten, wir könnten unsere Spielfreude wieder entdecken, erfahren, was es bedeutet, tief verbunden zu sein, von Freude und Liebe (und nicht nur von sexueller Lust) durchflutet zu sein.
Zusammen mit den Frauen könnten wir eine Welt bauen, in der unser Einfallsreichtum, unser Denken und Können nicht nur darauf gerichtet sind, das Leben irgendwie zu roboterisieren, automatischer, schneller, müheloser zu machen, sondern vor allem darauf ausgerichtet sind, das Ganze und das Leben zu erhalten und zu schützen.
Und nicht zuletzt: Aus den Schleiern und Verhüllungen, ob aus Stoff oder gesellschaftlichen und kulturellen Geweben, könnten die Frauen stolz und frei hervortreten, wodurch wir Männer eine neue, wunderbare Bereicherung unseres Lebens, allen Lebens, entdecken könnten – etwas, wonach wir uns immer schon gesehnt haben, aber uns niemals haben vorstellen können.
Fotos: iStock, Unsplash / Kiana Bosman, Varvara Grabova, Crawford Jolly