Olympe de Gouges

GEWALTFREIHEIT IM NAMEN DER MENSCHLICHKEIT

Die Schriftstellerin und Philosophin Olympe de Gouges aus dem Zeitalter der Aufklärung hat uns heute mehr denn je zu sagen. Vielleicht ist ihre Zeit erst jetzt so richtig gekommen.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Frauenleben im 18. Jhdt.
  • Frauen- und Bürgerinnenrechte
  • Die Friedensaktivistin Olympe de Gouges

Text Irmela Neu

Schwarz-Weiß-Bild von Prof. Dr. Irmela Neu.

Prof. Dr. Irmela Neu lehrt Interkulturelle Kommu­nikation in Spanien und Lateinamerika an der Hochschule München für angewandte Wissenschaften (HM), gibt Seminare zur empathischen Kommu­nikation und ist Autorin.

Olympe de Gouges – eine mutige Frau

Gelebt hat sie in einem Jahrhundert voll von starren und krassen sozialen Unterschieden einer Ständegesellschaft in einer absolutistischen Monarchie. Zu ihrer Zeit, im „Jahrhundert der Aufklärung“, regte sich vielfältiger Widerstand; Philosophen, Religionskritiker, Befürworter einer grundlegend gesellschaftlichen Umwälzung trafen sich in den verschiedenen Salons, vor allem in der Hauptstadt, um über eine Zeit zu diskutieren, die gerade im Entstehen war.

Olympe de Gouges (1748 – 1793) hatte daran teil, nachdem sie von ihrem Geburtsort Montauban in Südfrankreich nach Paris gezogen war, der Metropole intellektueller und sozialer Auseinandersetzungen. Die starke Bevormundung, die Begrenzung auf die okzitanische Sprache, die kurze Ehe, die bigotte Familie, die ihr ihren eigentlichen Vater – einen Landadeligen – verschwieg, all das lag mit ihrem Umzug nach Paris hinter ihr.

Neustart in Paris

Sie ließ sich durch nichts und niemanden beirren, im Gegenteil: Trotz aller politischen Widerstände verfolgte sie zielstrebig ihre Vision einer neuen Gesellschaft. In Paris schloss sie sich der Gruppe um Sébastien Mercier an, die schon früh im „Journal des Dames“ die miserable Situation von Frauen anprangerte, und zudem eine Veränderung im Hinblick auf die allgemeinen Menschenrechte in einem liberalisierten Regierungssystem einforderte.

Ihre Flugblätter verteilte Olympe de Gouges oft eigenhändig. Um die Aufführung ihrer Theaterstücke in der berühmten „Comédie française“ musste sie kämpfen, wobei sie sich nicht von Verleumdungen, kurzfristigen Inhaftierungen u.ä. beeindrucken ließ.

Frauenleben im 18. Jahrhundert

Allgemein gab es im 18. Jahrhundert wenig Möglichkeiten, die engen Grenzen des sozialen, von Geburt bestimmten Umfeldes zu durchbrechen. Dies galt ganz besonders für Frauen. Armut trieb sie häufig in die Prostitution oder sie waren als Mägde den sexuellen Übergriffen ihres Dienstherrn und der männlichen Familienmitglieder rechtlos ausgeliefert.

Bei Schwangerschaft galten die von ihnen gezeugten Kinder als „Bastarde“, die sozialem Mobbing ausgeliefert waren – ein Schicksal, das auch Olympe de Gouges persönlich betraf.

Die Salons in Paris als Orte der Verbreitung von Nachrichten

Die Frauen der „besseren Gesellschaft“ sicherten sich ihren Rang und ihr Vermögen, ggf. auch ihre Machtposition, durch möglichst einflussreiche Liebhaber, denen sie sich verpflichteten. Die so genannten „Salons“, die sie je nach sozialem Status aufwändig oder als Speisetafeln für Bedürftige führten, waren Treffpunkte, Versammlungs- und Überlebensorte, in denen sich Nachrichten wie Lauffeuer verbreiteten. Ideal für Olympe, um ihre Schriften zu verbreiten und zu diskutieren.

Die Gleichstellung der Frauen – eine sozialpolitische Notwendigkeit

Gleich zu Beginn der Französischen Revolution 1789 verabschiedete die neu gegründete Nationalversammlung nach dem amerikanischen Vorbild die „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ („Déclaration des Droits de l’homme et du citoyen“), wobei das Französische „homme“ sowohl „Mann“ als auch „Mensch“ bedeuten kann. Kein Wort über die Gleichstellung der Frauen, denn diese Revolution bezog sich nicht auf die Frauen.

Frauen besaßen kein Recht, im öffentlichen Raum Reden zu halten, eine Änderung war nicht erwünscht; im neuen Parlament waren sie nicht vertreten, im privaten Raum von (ihren) Männern abhängig. Der Justiz waren sie oft willkürlich ausgeliefert.

Das aber sollte sich ändern.

Bild von Olympe de Gouges

Die „Erklärung der Frauen- und Bürgerinnenrechte“ (1791)

Angesichts der Lage der Frauen und der einseitigen Erklärung von Menschenrechten für Männer, verfasste Olympe de Gouges entschlossen einen Gegenentwurf, ja eine Ergänzung zur „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte“ („Déclaration des Droits de la femme et de la citoyenne“), den sie mitsamt Prä- und Postambel durch Plakate in den Salons der besseren Gesellschaft sowie durch Flugblätter bekannt machte.

In ihrer „feierlichen Erklärung“ legt sie die „natürlichen, unveräußerlichen und heiligen Rechte der Frau“ dar.

Deren „Rechte und Pflichten“ beziehen sich auf:
– Freiheit und Eigentum
– das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung
– Gedanken- und Meinungsfreiheit
– Mitwirkung an Gesetzen und Steuerabgaben

Für einen gleichberechtigten Fortschritt der Gesellschaft

Die Rechte der Frauen im Namen von „Naturgesetzen und Vernunft“ sind für das Allgemeinwohl unabdingbar, so Olympe de Gouges Überzeugung. Es ging ihr keinesfalls um einen Geschlechterkampf, sondern um den gemeinsamen, gleichberechtigten Fortschritt der Gesellschaft im Hinblick auf die Ziele der französischen Revolution.

Beide Begriffe gehören zu den zentralen Aspekten der Diskussionen im 18. Jahrhundert. Olympe de Gouges verstand sie als Grundlage einer neuen Gesellschaftsordnung.

Die Unterdrückung und Entrechtung der Frau wurde allzu oft von Männern als von der „Natur vorgegeben“ gerechtfertigt, denn Frauen seien angeblich das schwächere und geistig dem Mann unterlegene Geschlecht.

Für ein holistisches Verständnis von „Natur und Vernunft“

Demgegenüber argumentiert Olympe de Gouges in ihrem Vorwort zu ihrer Erklärung der Frauenrechte von einem aus heutiger Sicht modernen, holistischen Verständnis von „Natur“ als einer „harmonischen Einheit“ und als einem „unvergänglichen Meisterwerk“. Sie sagt:

„… nur der Mann hat sich ein Prinzip … zurechtgezimmert. Sonderbar blind, aufgeblasen durch die Wissenschaft und degeneriert, will er in diesem Jahrhundert der Aufklärung und des Scharfsinns in haarsträubender Ignoranz als Despot über ein Geschlecht befehlen, das über alle intellektuellen Fähigkeiten verfügt.“

Um dagegen anzugehen, bedarf es der rechtlichen, politischen und sozialen Gleichstellung von Frauen. Natur und Vernunft sollen deren Grundlage sein.
Für Olympe de Gouges bilden Natur und Vernunft eine untrennbare Einheit, an der Frauen gleichwertig teilhaben sollen. Die Diskussion um Natur und Vernunft ist auch heute noch aktuell, wenn wir „Vernunft“ durch „Technik“ ersetzen.

Für eine ethisch motivierte gesellschaftliche Veränderung

In der „Postambel“ zur Erklärung ruft sie die Frauen auf:
„Frau, erwache! … Erkenne deine Rechte! Das mächtige Reich der Natur ist nicht länger von Vorurteilen, Fanatismus, Aberglaube und Lügen umgeben …. Entfaltet, Frauen, all eure Charakterstärke!“

Dazu gehört maßgeblich, dass die Frauen ihre unter dem Patriarchat, der „Tyrannei“ erworbenen Strategien aufgeben. Verhaltensänderung ist angezeigt, denn:
„Zwang und Verstellung waren ihre Domäne. Was die Macht ihnen geraubt hatte, gab die List ihnen zurück; sie bedienten sich aller ihrer zur Verfügung stehenden Reize …“, was sie noch genauer und mit zahlreichen Beispielen darlegt.

Rechte allein genügen also nicht; nur Hand in Hand mit ethisch motiviertem Verhalten geschieht gesellschaftlich nachhaltige Veränderung hin zu einem Mentalitätswandel. Dies beginnt mit der klaren Absicht, denselben auch politisch und privat zu wollen.

Die Tragweite der Frauenrechte als Basis für eine neue Gesellschaft

Das fraglose Weiterbestehen des Patriarchats mit der Ausbeutung von Frauen muss, so die Forderung von Olympe de Gouges, beendet werden. Die einseitige Festschreibung der Rolle von Frauen als „Salondamen“ oder zum Überleben verdammte Rechtlose sollte sich ändern. Schluss mit der Revolution von Männern für Männer!

In der „Verachtung der Frauenrechte“ sieht sie „die einzigen Ursachen des öffentlichen Unglücks und der Verderbtheit der Regierungen“. Damit erregt sie den Widerstand auf allen Seiten; vor allem der Monarchisten, der immer radikaler werdenden Revolutionäre der „Bergpartei“ („Montagnards“), gemäßigterer Gruppen wie der so genannten „Girondisten“, benannt nach der Herkunft der Abgeordneten aus dem Département Gironde.

Olympe ließ sich aber nicht von der Überzeugung abbringen, dass die Gleichberechtigung von Frauen als unabdingbarer Teil einer nach ihrem Verständnis naturgerechten Ausrichtung im Sinne der Vernunft die eigentliche Revolution hin zu einer neuen Gesellschaft bildet.

  • Olympe de Gouges auf einem Transparent
  • Gedenktafel für Olympe de Gouges

Gegen die Ehe und für einen gleichberechtigten Vertrag

Die Ehe stabilisiere, so die Kämpferin weiter, das alte System von Lug und Trug. „Die Ehe ist das Grab des Vertrauens und der Liebe“, ist sie überzeugt. Stattdessen schlägt sie einen Vertrag zwischen Mann und Frau vor, der die „Basis einer glücklichen Regierung“ bilde. Dazu gehöre maßgeblich, dass sich Frauen „an allen Tätigkeitsfeldern von Männern beteiligen. Beide müssen gleich an Macht und Tugend sein …, um in glücklicher Einheit zu leben.“

Privates Glück auf der Grundlage einer Vereinbarung, eine „glückliche“ Regierung, die das Wohl aller im Blick hat, darin besteht ihr Anliegen – womit sie sich von den immer einseitiger werdenden Fanatikern deutlich unterscheidet. Es geht ihr um menschliche Lebensgestaltung auf allen Ebenen.

Gegen Rassismus und die Lebensbedingungen von Sklaven

In die Forderung nach gleichen Rechten und nach Aufhebung menschenverachtender, grausamer Zustände schließt sie ausdrücklich „Menschen dunkler Hautfarbe“ („hommes de couleur“ oder „nègres“) ein; immer wieder klagt sie die unerträgliche Habgier der sich nimmersatt bereichernden Sklavenhalter und der brutalen Behandlung der Sklaven in den französischen Kolonien drastisch an.

Bereits 1774 gibt sie eine „Denkschrift gegen die Sklaverei“ bekannt, die jedoch erst 1789 veröffentlicht wird.

Sklaverei, Liebe, Kolonialismus und ein glücklicher Ausgang

Die renommierte „Comédie française“ führte 1791 Olympes gegen die Sklaverei gerichtetes Theatersstück „Zamore et Mirza – Die Versklavung der Schwarzen oder das glückliche, (rettende) Schiffsunglück“ drei Mal auf, bevor es wegen allseitiger Proteste vom Spielplan genommen wurde. Es geht um die Liebe zwischen den beiden Sklaven und Titelgebern, um einen unbeugsamen Richter, der nur „Recht und Gesetz“ und keine Menschlichkeit kennt, um brutale, selbstgerechte Kolonialherren, die ein Exempel statuieren wollen, um innere Konflikte zu veranschaulichen – und letztlich um eine glückliche Fügung.

Es ist ein weiteres Bekenntnis Olympes für die Menschlichkeit, die sich, so hofft sie, hoffentlich auch allgemein gesellschaftlich durchsetzt. Der „wahrheitsliebende Mensch“ schätzt den Menschen nur als Mensch wert, so ihr Credo.

Welch visionäre Sichtweise, deren Umsetzung nach wie vor geboten ist!

Gegen die Todesstrafe als Gefahr der Radikalisierung

Olympe de Gouges spricht sich immer wieder für ein menschliches, respektvolles Miteinander aus. Das ist in politisch aufgeheizten Zeiten mehr als brisant. So schreibt sie an Königin Marie Antoinette und bittet um Unterstützung für die Durchsetzung der Frauenrechte. Eine Antwort erhält sie nicht. Als „wahre Republikanerin“ plädierte sie angesichts der drohenden Todesstrafe gegenüber dem entthronten Tyrannen Louis XVI für „Milde der Sieger“ – ebenso vergeblich.

Die Todesstrafe bereite den Boden für eine Radikalisierung und Skrupellosigkeit vor, so ihre Mahnung. Sie sollte damit Recht behalten.

Gegen den Fanatismus der Gewalt und für Menschlichkeit

Nachdem die so genannten „Jakobiner“ ein Schreckenssystem durchgesetzt hatten, deren Anhänger willkürliche Todesstrafen durch die als „human“ gepriesene Guillotine ausführten, regierte die nackte, blutrünstige Gewalt. Der vage Verdacht, „Royalist“, „Girondist“ oder einfach „Feind der Revolution“ zu sein, genügte für die Todesstrafe, die ein eigens dafür eingerichtetes „Revolutionstribunal“ in Windeseile aussprach.

Olympe de Gouges erkannte schon früh, wohin die entfesselte Gewaltherrschaft führen würde: zum gegenseitigen Töten, was auch die Hinrichtung 1794 von Robespierre bezeugt. Angesichts dieser entfesselten Gewaltherrschaft ist ihr Bekenntnis zur Menschlichkeit geradezu revolutionär.

Frau läuft umhüllt mit einem roten Stofftuch

Das politische Vermächtnis: Für die Menschlichkeit

Olympe de Gouges hatte es vorausgeahnt: bereits 1791 schrieb sie unter Punkt X Ihrer „Erklärung für die Rechte der Frauen und Bürgerinnen“:
„Die Frau hat das Recht, aufs Schafott zu steigen; sie soll ebenso das Recht haben, auf die Rednertribüne zu steigen …“.

Ihr Engagement für eine Revolution ohne Gewalt erregte Misstrauen. Ihre schon vor der Revolution vorgebrachten konkreten Vorschläge zur Verbreitung einer auf Menschlichkeit basierenden Gesellschaft gingen zunächst völlig unter. Ob es die Bildung von Frauenhäusern betraf, ein geeignetes Bildungssystem, die Einrichtung einer Allmende, eine Volksbefragung als Referendum über die beste Staatsform, die Errichtung von Krankenhäusern, all dies sollte zu einer neuen, besseren Gesellschaft beitragen. Damit war sie ihrer Zeit weit voraus.

Patriarchalisch radikal agierende Revolutionäre

Es kam, wie sie vorausgesehen hatte: Nach einer Gefängnishaft wurde sie auf der „Place de la Concorde“ im Winter 1793 durch die Guillotine nach einem kurzen Prozess öffentlich hingerichtet.

In der Urteilsbegründung steht, dass
„die Verschwörerin vom Gesetz bestraft wurde, weil sie die Tugenden, die ihrem Geschlecht gebührte, verleugnete“. Und weiter heißt es dort: „Frauen, liebt, achtet und tragt die Gesetze weiter, die eure Gatten … an die Ausübung ihrer Rechte ermahnen … Seid einfach in eurer Kleidung, fleißig in eurem Haushalt. Folgt niemals den Volksversammlungen mit dem Wunsch, dort selbst zu sprechen.“

Was die Rechte der Frauen und eine befriedete Gesellschaft angeht, hatte die Revolution nicht nur nichts verändert, sondern in ihrer radikalsten Phase das alte, patriarchalisch geprägte System bestätigt – genau, wie es Olympe voraussah.

Gewaltlosigkeit als Grundlage einer neuen Gesellschaft

„Die wahre Weisheit kennt weder Vorurteil noch Voreingenommenheit; einzig das Wahre interessiert sie, und das Gemeinwohl leitet sie.“. Das „Wahre“ ist gleichzusetzen mit „Menschlichkeit“.

Sie fordert: „Setzt eurem Hass und euren Racheakten ein Ende!“

Der Tyrannei der Fanatiker ist sie selber zum Opfer gefallen. Olympe de Gouges hat uns ein bewegendes „Politisches Testament“ hinterlassen, in dem sie Bilanz zieht, ihr Vermögen und ihre Errungenschaften verteilt.

Die Friedensaktivitin

Olympe de Gouges hat ihr Leben visionär in den Dienst des Gemeinwohls gestellt. Es ist an der Zeit, sie für ihr vielfältiges Vermächtnis zu würdigen. Es ging ihr immer um ein zentrales Thema: die Beseitigung ungerechter, miserabler Zustände und die Revolutionierung einer verkrusteten Gesellschaft – doch ohne Gewalt. Aus heutiger Sicht eine echte Friedensaktivistin!

Viele ihrer Argumente, Gedanken, Forderungen und Vorschläge kommen erst in unserer Zeit zum Tragen. Sich für eine menschliche Gesellschaft im Einklang von Natur und Technik einzusetzen, bleibt heute so aktuell wie damals – oder ist aktueller denn je.

Fotos: Alamy / Alain Pitton, iStock, Unsplash / ddp, Wikimedia Commons / Mu 

 

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