Wenn uns das Hässliche verführt

„Dich will ich loben, Hässliches, Du hast so was Verlässliches …“ so beginnt ein Gedicht von Robert Gernhardt, der damit ausdrücken will, dass das Schöne etwas Flüchtiges ist. Das Hässliche kann somit seinen Siegeszug ohne Widerstand fortsetzen. Oder können wir etwas dagegen tun?

Text Michil Costa

Schwarz-Weiß-Bild von Michil Costa.

Michil Costa lebt in Corvara, Südtirol. In den Hotels „La Perla“ und „Berghotel Ladinia“ setzt er auf die Prinzipien der Gemeinwohlökonomie sowie wahre, nachhaltige Werte statt Trends. Und er gründete die „Costa Family Foundation“ zum Schutz von Kinderrechten und Frauen.

In diesen schwierigen Zeiten könnte man manchmal glatt den Eindruck bekommen, dass Hässliches verführerischer ist als Schönes. Dass das menschliche Handeln gerne mal aus dem Garstigen schöpft, hat ja Tradition. Doch in der letzten Zeit kommt es mir vor, als läge im Verunstalteten etwas besonders Verführerisches.

Damit meine ich nicht nur hässliches Verhalten. Ich meine auch hässliche Sprache. Ekliges wird als schmackhafter Köder ausgeworfen; das Hässliche berauscht sich wie Narziss am eigenen Aufgebrezelt-Sein und präsentiert sich stolzer auf der Bühne der Eitelkeiten, als es BB jemals in den Sinn gekommen wäre. Brigitte Bardot hätte das Siegertreppchen dagegen wahrlich verdient, desgleichen das phänomenale Skirennläuferinnen-Paar Marta Bassino und Federica Brignone, die so gut sind und so schön, bei der WM in Cortina aber leider trotzdem verloren haben.

Trash beherrscht uns

Doch zurück zum Hässlichen. Trash beherrscht unsere Sitten, unsere Sprache, unser Verhalten und lässt uns mit beiden Händen verzweifelt im Restmüll nach den besten Funden wühlen. Das ist ungehörig, ganz klar. Aber nicht verboten, wie neulich ein Richter aus Genua festgestellt und ein paar Leute freigesprochen hat, die in Mülltonnen, also in den Dingen, die wegzuwerfen sich andere Menschen leisten können, nach Brauchbarem gesucht haben.

Nach Ironie ist mir in diesen dramatischen Zeiten eigentlich nicht zumute, dennoch:
Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen Menschen, die zum Leben in Hässlichkeit gezwungen sind, und solchen, die sich aus freien Stücken dafür entscheiden.

Geistige Faulheit

Sich von Schmutzigem angezogen zu fühlen, ist ein Beweis geistiger Faulheit. Es ist ja so bequem, in die Abgründe hinabzusteigen. Das Hässliche erfordert keine besondere intellektuelle Leistung oder Sensibilität, es reicht, den eigenen simpelsten Urinstinkten zu folgen.

Während Mittelmäßigkeit sich nichts Höheres als sich selbst vorzustellen vermag, ist das Begreifen und geistige Verarbeiten von Schönheit mühsam und erfordert Fleiß. Auch wenn wir prinzipiell alle zu Heiligen werden können, ist der Zutritt zum Paradies nun mal eine ziemlich aufwändige Angelegenheit. Sich aber gar nicht erst darum zu bemühen, ist Sünde. Und Sünde ist in diesem Falle nicht nur eine Frage moralischer Inkonsequenz, sondern – und das in ganz besonderem Maße – von Inkompetenz, Ahnungslosigkeit und fehlendem Interesse. Wissen ist gut, wie Sokrates uns klar gemacht hat, Unwissenheit schlecht.

Erziehung zu guten Gedanken

Wenn der Mensch die Mammuts überlebt hat, dann deshalb, weil er flexibel sein kann. Weil er Verhaltensmuster und Systeme zu modulieren weiß, wofür die Tiere sehr viel mehr Zeit benötigen. Der Gebrauch des Gehirns und die Verfeinerung der Sinne sind jedoch anstrengende Tätigkeiten. Gute Sprache erfordert gute Gedanken, so wie auch die Disziplin des Sehens wache Sinnesorgane benötigt, kulturellen Background, bewusstes Agieren.

Als meine Brüder und ich klein waren, verbot uns unsere Mutter, beim Essen den Ellenbogen aufzustützen, und ein Messer habe ich nur zweimal im Leben abgeleckt: das erste und das letzte Mal. Wenn einer von uns drei Buben nach dem Essen aufspringen wollte, ohne sich vorher bedankt zu haben, reichte ein kurzer Blick von Papa Ernesto, und wir fuhren auf unseren Platz zurück.

Diese Form der Erziehung genossen zu haben, war ein Privileg, genauso wie es ein Privileg ist, in den Südtiroler Dolomiten leben zu dürfen, an diesem so besonderen Fleck Erde.

  • Ein schiefes Häuschen im Grünen.
  • Zusammengeknüllte, bedruckte Seiten.

Wider die Banalität

Wir tragen also ganz eindeutig die Verantwortung für das, was wir sagen, was wir lesen, wie wir uns verhalten und zu einem Teil auch für das, was wir ansehen. Denn auch beim Sehen muss man eine Auswahl treffen. Nicht aus Snobismus, sondern um zu überleben.

Wir leben besser, wenn wir Wörter nicht einfach wahllos in die Runde werfen, sondern bewusst auswählen. Das Wort trägt Spuren seiner göttlichen Herkunft in sich. In der Antike galten Dichter als Halbgötter, und was sie vortrugen, war aus göttlicher Inspiration entstanden. Die Simplifizierung der Sprache von heute, zu der nicht zuletzt die Populisten beitragen, führt uns hingegen Richtung eines Orwellschen Neusprechs (By the way, ich bin immer noch ganz fassungslos über die vulgäre Sprach-Niveaulosigkeit des mittlerweile abgewählten Massenagitators auf der anderen Atlantikseite, wobei ich leider zugeben muss, dass auch wir hier ein paar vergleichbare Schlächter vorzuweisen haben).

Anders als in Orwells Meisterwerk 1984 aber zwingt uns hier niemand zu einem Neusprech aus banalen Vokabeln, pompös-bedeutungslosen Worten, hohlen Sätzen und Gemeinplätzen, deren alleiniger Sinn darin besteht, die Gedanken gleichzuschalten und verkümmern zu lassen.

Volkstümliche Masken hängen an einer Wand.

Ein Leben in Würde

Eine flache, bürokratische Sprache ohne Symbolik und Poesie trübt Kopf und Seele ein. Wir sind Menschen, jedenfalls die meisten von uns. Und als Menschen müssen wir uns dafür einsetzen, dass die immer stärker dominierende banale Unkultur nicht Oberwasser bekommt.

So wie Trotzki von der Notwendigkeit der permanenten Revolution überzeugt war, so müssen wir heute die permanente Erneuerung vorantreiben. Kein kultureller Fortschritt ist je wirklich definitiv, und alles, was sich nicht erneuert, verkümmert.

Wird es uns gelingen, im ständigen Auf und Ab des Lebens ein insgesamt höheres Niveau zu erreichen, oder werden wir alle im Nicht-Ort par excellence enden, dem Reich der Flammen? Einem Ort ohne Beziehungen und Begegnungen, einem Gedrängel aus zutiefst einsamen Menschen? Unsere Zeit ist jetzt. Führen wir also ein Leben in Würde, verbannen wir das Hässliche daraus und genießen wir das Schöne. Wir wissen genau, dass wir Gott Apollo genauso attraktiv finden wie Dionys. Es liegt an uns, unser Wohlwollen in richtigen Maß zu verteilen.
Ich hege große Zweifel daran, dass die Schönheit uns alle retten wird, aber das Hässliche wird die Welt erst recht nicht in Sicherheit bringen. Es wird sie höchstens zerstören.

Fotos: Shutterstock, Unsplash / Gilles Desjardins, Michael Dziedzic, Dan Sealey

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