Mixed Leadership
Die Philosophin hielt den nachstehenden Vortrag zur Abwehr und Anerkennung der Geschlechterrollen in Führungsfragen im Rahmen einer Roundtable-Veranstaltung im Bankhaus DONNER & REUSCHEL.
Hier erfahren Sie mehr über
- Gegenseitige Anerkennung
- Führungsqualitäten
- Tragfähige Zukunft
Text Barbara Strohschein
Dr. Barbara Strohschein ist Philosophin und Expertin für Wertefragen. Sie ist in Forschung und Beratung tätig. Warum wir Anerkennung brauchen und wie wir mit Kränkungen umgehen können – das sind ihre Hauptthemen.
Zunächst ein Überblick über die einzelnen Punkte, die Dr. Barbara Strohschein zusammen mit den Gästen diskutiert hat:
- Was bedeutet Anerkennung? Ein Führungsthema. Die philosophische Perspektive.
- Wie funktioniert Abwehr? Eine zentrale Konfliktursache. Die psychologische und kommunikationsrelevante Perspektive.
- Worin unterscheiden sich Männer und Frauen? Die Auswirkung von Menschen- und Leitbildern.
- Wie die Unterdrückung der Frau zur Schwächung des Mannes führt und wie die Stärken der Frauen die Stärken der Männer fördern. Ein Blick in die Geschichte und die Gegenwart.
- Was heißt Führung? Ein neues Verständnis. Führen heißt „Entdecken“.
- Wie entsteht eine Unternehmenskultur durch Mixed Leadership? Aus zwei Perspektiven männlich weiblich neue Qualitäten entwickeln.
- Warum und wie Me too, Erotik, Macht und Ohnmacht, Ungerechtigkeiten die Gefühle und Beziehungen steuern. Die Auswirkung von Trends, Kränkungen und Vorurteilen.
- Von der Konkurrenz zur Kooperation. Modelle für Zusammenarbeit.
- Warum in Krisenzeiten Kooperation und Kommunikation unabdingbar sind. Die Analyse und Lösung von Konflikten.
- Warum wir eine neue Utopie für Unternehmen, für die Politik und die Gesellschaft schlechthin brauchen. Entwürfe für die Zukunft.
Vorbemerkung: mein Glück und Ernst Bloch
Jede Einstellung und Meinung, die wir haben, begründet sich auf unserem Wissen und unseren Erfahrungen. Und so will ich, bevor ich mit meinem Vortrag beginne, etwas Persönliches anmerken, um deutlich zu machen, warum und wie ich auf meine 10 inhaltlichen Punkte gekommen bin.
Ich habe das Glück in meinem Leben, dass ich aufgrund des Verständnisses meines Vaters für mich und meine Arbeit und ich mit meinem Sinn für ihn, darauf vertrauen kann, Männer zu verstehen und von ihnen verstanden zu werden. Ebenso hatte ich durch eine selbstbewusste Mutter und Großmutter Vorbilder dafür, wie Frauen sich selbst anerkennen und mit Männern weder konkurrieren noch sie bekämpfen mussten. Deshalb kamen sie gar nicht auf die Idee, einen Mann oder das Männliche abzuwehren.
Das war und ist die Quelle meines Optimismus, dass Männer und Frauen zusammen die Chance haben, mit ihren jeweiligen Qualitäten, sich selbst, sich miteinander und in der Welt zu entwickeln, auch wenn mir klar ist, dass dieser Optimismus auf eine weit weniger schöne Wirklichkeit trifft.
Außerdem haben mich die Ideen des Philosophen Ernst Blochs für das Miteinander von Männern und Frauen angeregt und begleitet. Er war der Philosoph, der die Frauen liebte und für sie ein Gefühl hatte. Und so will ich – erst einmal gar nicht analytisch und erklärend, sondern poetisch-philosophisch mit einem Zitat aus dem kurzen Essay „Der lange Blick“ von Bloch aus den „Spuren“ beginnen:
„Wer den langen Blick kennt zwischen Mann und Frau, schweigend, in einem Halbdunkel, das von der Entrückung um alle Dinge und Menschen ausgebreitet wird, wenn uns nur noch die Augen der geliebten Frau ansehen, und wir darin erkennen, wie wir erkannt werden in einem Zeitvorbei, Raumvorbei, das untragbar wäre, wenn es nicht wieder höchste Leichtigkeit besäße, im Lächeln des Ernstfalls….“
QUALITÄT IN BEZIEHUNGEN
Zu 1.: Anerkennung ist ein Thema der Philosophie, was man auf den ersten Blick nicht vermuten würde. Der berühmte Philosoph Hegel und seine Nachfolger haben sich extensiv mit dieser Erkenntnis, die Anerkennung heißt, beschäftigt. Es handelt sich in diesem philosophisch erklärten Sinn um einen komplexen Prozess des Bewusstseins, in dem mehrere Qualitäten in der Beziehung zwischen Menschen entscheidend sind: Erkennen, Akzeptieren, Gutheißen, Wahrnehmen, Hinhören, Sich-Bewusstwerden, Akzeptieren, Sich-Erinnern, Wiedererkennen, Entdecken, Wechselseitigkeit, Aufmerksamkeit, Hingabe und Steuerung in Begegnungen.
Um anerkennen zu können, muss man in Beziehung sein. Und hier sind wir bei einem entscheidenden Problem: In Unternehmen, in der Politik, wie auch im Privaten sind sehr oft Personen nicht in Beziehung. Sie regeln die Kommunikation über sachbezogene Themen, ohne wirklich in Kontakt miteinander zu sein. Anerkennungsfähig zu werden, setzt nicht nur Selbsterkenntnis und Selbstbeobachtung voraus, sondern die Fähigkeit, eine zwischenmenschliche Verbindung aufzubauen. Das In-Verbindung-Sein gehört zu den Voraussetzungen, um etwas oder jemanden anerkennen zu können.
Es ist bemerkenswert, dass so gut wie alle Philosophen selbstverständlich vorausgesetzt haben, dass eine Bindung, eine Beziehung vorhanden ist. Doch wir können das keineswegs als gegeben nehmen.
Die Beziehungslosigkeit ist ein gravierendes modernes soziales Problem, aufgrund dessen Beziehungen jedweder Art zu scheitern drohen.
So gehört die anerkennende Beziehungsarbeit zu den Tools, mittels derer alle Sachthemen in einem Unternehmen bearbeitet werden können. Verbindung und Anerkennung sind die Schlüssel für jede Form der Kommunikation. Wir reden hier nicht von der üblichen Bedeutung des Wortes, die auf Loben hinausläuft. Hier ist die Rede von einem Wahrnehmungs- und Erkenntnisvorgang, der Beziehung voraussetzt und Beziehung schafft.
DIE UNTERSCHIEDLICHEN ABWEHRMECHANISMEN
Zu 2.: Abwehr ist eine Schutzhaltung, die psychisch und sozial bedingt ist und unterschiedliche Motive hat. Abwehr dient dazu, sich vor vermeintlich oder wirklich Unangenehmen und Bedrohlichen zu bewahren. In der Abwehr geht man „aus dem Kontakt“, schiebt das Unerträgliche, was immer es sein mag, von sich.
Zu unterschieden ist die unbewusst oder halb bewusste Abwehr und die Abwehr, die man versucht, rational zu begründen. Sehr effektiv und emotional bedingt ist die unbewusste Abwehr, deren Motiv nicht reflektiert wird. Man denkt in der Regel nicht darüber nach, warum einem jemand oder etwas zuwider ist. Es kann sich dabei um Abwehr von bestimmten Personen handeln, die an schlechte Erfahrungen erinnern. Es kann eine Abwehr von unliebsamen Themen und Aufgaben sein, die Abwehr von Gefühlen und Haltungen eigener oder anderer, die irritieren. Diese meist unbewusste Abwehr ist fast immer von Angst, Ohnmacht und Wut getriggert, durchweg Gefühle, die nicht gern wahrgehabt, sondern kompensiert werden.
Die scheinbar rational abgeleitete Abwehr hingegen, mit der man aus „guten Gründen“ sich auf etwas oder jemand nicht einlassen will, kann sein: Kein Geld, keine Zeit, falsch gedacht oder geplant, nicht überzeugend etc. Hinter diesen rational begründeten Abwehrmechanismen steht fast immer eine emotional unbewusste Abwehr. Gleichwie – durch Abwehr entstehen immer Konflikte, weil Abwehr so gut wie immer Abwehr erzeugt und auf diese Weise Teufelskreise entstehen. Vor allem dann, wenn der Mechanismus und die Ursache und Wirkung des Abgewehrten verborgen bleibt. Abwehr ist der Hauptgrund für Krisen und Konflikte – auch in den Beziehungen zwischen Mann und Frau.
MÄNNLICHE UND WEIBLICHE QUALITÄTEN
Zu 3.: Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind weit weniger groß, als es die üblichen Rollenbilder aus Geschichte und Gegenwart uns weismachen wollen: Männer seien so, und Frauen seien so.
Die üblichen Unterscheidungen von männlichen und weiblichen Qualitäten sind so definiert und eben vielfach verinnerlicht: Ein Mann zu sein, heißt dominant, aktiv, aggressiv zu sein. Eine Frau zu sein, bedeutet, sich unterzuordnen, sich passiv und friedlich zu verhalten. Diese Qualitäten sind den Rollen zugeordnet, die Männer und Frauen seit Jahrhunderten einnahmen und einnehmen mussten, um nicht in Konflikt mit religiös oder gesellschaftlich bedingten und tief verinnerlichten Erwartungshaltungen zu kommen.
Aber kein Mensch ist allein aufgrund seines Geschlechtes so oder so. Jeder Mensch ist ein einmaliges und offenes Wesen und nicht definierbar durch Rollenzuweisungen.
Doch sind nun deshalb Männer und Frauen gleich? Sicher nicht. Und hier liegt genau das Problem: Welche Unterschiede sind universell und welche menschengemacht – abgesehen davon, dass jeder Mensch „anders“ ist? Universell ist, dass Frauen Kinder bekommen können und Männer nicht, ohne die allerdings keine Kinder entstehen. Doch was ist daraus abzuleiten? Wie die Geschichte zeigt, ist aufgrund der Rollenzuschreibungen keineswegs davon auszugehen, dass Frauen hingebungsvolle Mütter und Ehefrauen sind und Männer in den Krieg ziehen oder kämpfen müssen, um sich großartig zu fühlen.
Man kann nachweislich auch nicht von einer natürlichen Mutterliebe noch einer besonderen Fähigkeit zur Hingabe der Frau im Vergleich zum Mann ausgehen. Die Geschichte der Kindheit, die vor einigen Jahren von Psychohistorikern recherchiert und beschrieben wurde, bezeugt diese bitteren Tatsachen. Ich würde hier darauf verzichten, genetische und biologische Unterscheidungen geltend zu machen, weil diese meiner Ansicht nicht weiterhelfen.
Diese Zuschreibungen haben nichts mit der Kompetenz und dem Charakter einer einzelnen Person zu tun. Jeder Mensch, gleich ob Mann oder Frau, ist unterschiedlich geprägt, ist mit unterschiedlichen Rollenbildern in einer jeweiligen Epoche oder Kultur großgeworden. Zweifellos gibt es Unterschiede zwischen Mann und Frau, die durch Erziehung, Bildung, durch den Kulturkontext, schichtenspezifisch bedingt sind.
Doch es gibt mindestens so große Unterschiede zwischen Frauen wie zwischen Männern. Weder sind alle Frauen gleich, noch alle Männer. So kommt es in den heutigen Beziehungen darauf an, die mit so vielen Vorurteilen und Schubladen behaftet sind, hinzusehen und anzuerkennen, wer die Männer oder die Frauen, mit denen wir jeweils konkret zu tun haben, sind und was sie können.
MATRIARCHALE UND PATRIARCHALE GESELLSCHAFTEN
Zu 4.: Die Stärkung und Schwächung zwischen den Geschlechtern. Schauen wir in die Vergangenheit und auch weltweit in die Gegenwart, müssen wir zu dem Schluss kommen, dass Frauen unter der Macht der Männer jahrtausendelang, ideologisch, religiös und mit Herrschaftsansprüchen begründet, gelitten haben. Frauen wurden abgewertet, gedemütigt, eingesperrt, unterdrückt und ausgenutzt, bis hin zu massiver Gewalt, die an ihnen ausgeübt wurde. Nicht nur der berühmte Hexenhammer steht für solche Destruktion, ein Programm zur Vernichtung von machtvollen und heilenden Frauen, das von Dominikaner Mönchen verfasst wurde. Zahllose weitere Beispiele für die Unterdrückung und Vernichtung der Frau in allen Ländern der Erde sprechen davon.
Nach den matriarchalen Gesellschaften entstand im Laufe der Jahrhunderte ein patriarchales System, in dem die Stärke der Männer auf der Schwächung der Frauen beruhte. Es gibt zahlreiche kulturhistorische und soziologisch-psychologische Untersuchungen, dass diese männliche Macht aus Angst gegenüber dem unendlich sexuellen Potenzial der Frauen und ihrer Macht, Kinder zur Welt zu bringen, entstanden war.
Dieser patriarchalen Dominanz gegenüber begannen Frauen sich zu wehren, von den Suffragetten, den Feministinnen bis zu den radikalen Ausformungen einer totalen Ablehnung allem Männlichen gegenüber. Diese Entwicklung, gleich wie notwendig und wichtig sie war, führte nun dazu, dass heute mit Blick auf diese Geschichte, die Frauen mehr als früher dazu neigen, die Männer zu schwächen und abzuwerten. Männer seien per se Chauvinisten, Kriegstreiber und Unterdrücker.
Viele Männer wiederum gestehen bis heute gar nicht oder nur partiell den Frauen die gleichen Rechte und die gleichen Herrschaftsansprüche zu und wehren weibliche Dominanz ab. Das erlebe ich nicht nur in meiner Praxis, das spiegelt sich in politischen Argumenten wider und taucht in abwertenden Alltagshaltungen von Männern Frauen gegenüber und umgekehrt auf.
Das ist nicht mehr zukunftsträchtig. Es kommt darauf an, auf Entdeckungsreise zu gehen, um die eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen, sich gegenseitig wahrzunehmen und zu fördern, und dabei zu lernen, sich auf anerkennende Umgangsformen einzulassen. Für diese Formen der Kooperation habe ich Anerkennungs-Modelle entwickelt.
AUTHORITÄT IST WICHTIG
Zu 5.: Führen heißt entdecken und Position zu beziehen. Als ich einige Interviews mit einflussreichen weiblichen und männlichen Führungspersönlichkeiten führte, gab mir unter anderem die ehemalige Intendantin der Deutsche Oper in Berlin eine einfache Antwort auf meine Frage, was für sie führen heißt. Sie sagte: Es sei völlig egal, ob ein Mann oder eine Frau in einer Führungsposition säße. Entscheidend sei, dass diese Person Führungsqualitäten hat. Doch was heißt das? Sicher nicht, allein den Führungstools aus der Unternehmens-Beratung zu entsprechen, sondern sich auf eine Persönlichkeitsentwicklung einzulassen und sich selbst zu erkennen. Wenn ich nicht weiß, wer ich bin, wie soll ich dann andere führen?
Des weiteren geht es in der Führung nicht allein darum, den Mitarbeitern zu sagen, was sie zu tun haben, nicht darum, sie zu kontrollieren, zurechtzuweisen, unter Druck zu setzen und dergleichen, sondern wahrzunehmen, wer wer ist und wer was kann. Wir sind hier wieder bei den Grundqualitäten der Anerkennung, zu denen die Fähigkeiten, wahrzunehmen, zu erkennen, hinzuhören und hinzusehen gehören.
Zweifellos bedeutet Führen allerdings unbedingt auch, Autorität auszuüben. Autorität, auch wenn sie heute aus der Mode zu kommen scheint und als Haltung abgelehnt wird (mit solchen Argumenten: „Wir sind kein hierarchisch organisiertes Unternehmen!“), so ist es unumgänglich, dass jemand Verantwortung übernimmt, Prozesse erkennt, steuert, begründet und die Erkenntnisse kommuniziert.
Nehmen wir eine Familie als Beispiel: Wenn es in der Familie Konflikte gibt, ist es die Aufgabe vom Vater oder der Mutter, einzugreifen und auch Autorität auszuüben. Wenn dies nicht geschieht, schwelen die Konflikte jahrelang vor sich hin und werden toxisch.
Allgemein gesagt: Autorität ist wichtig und nötig. Das gilt für männliche wie für weibliche Führungskräfte, Anerkennung auch in diesem Sinn zu praktizieren und den Mut zu haben, sich einzumischen, Stellung zu beziehen und Commitments festzulegen.
Diesen Führungs-Fähigkeiten allerdings ist ein gutes Selbstwertgefühl und eine mentale Offenheit vorausgesetzt, wie auch die Begabung, sich abzugrenzen und Leitlinien zu ziehen, vergleichbar mit einem Forscher, der in einer ihm unbekannten Gesellschaft die Regelsysteme, die Werte und die Potenziale der Mitglieder zu ergründen hat.
WAS GEHÖRT ZU EINER FÜHRUNGSPERSÖNLICHKEIT?
Zu 6.: Mixed Leadership heisst aufgrund des bisher Gesagten, dass Führungsqualitäten nicht geschlechtsbestimmt, sondern persönlichkeitsbedingt sind. Welche Frauen und welche Männer in einem Unternehmen haben welche speziellen Fähigkeiten, die zu einer Führungspersönlichkeit gehören? Welche haben aufgrund welcher Fähigkeiten das Potenzial, um eine Führungskraft zu werden?
Aus Gründen der Gleichberechtigung eine Frau einzustellen, die nicht geeignet ist, kommt dem Unternehmen mit Sicherheit nicht zugute. Und das gleiche gilt genauso für einen Mann. Die Schlussfolgerung ist, dass oft bei solchen Entscheidungen —wer führt mit wem, was? — meiner Erfahrung hinreichende Diagnostik und Menschenkenntnis stärker in Betracht gezogen werden müssen, als bisher. Daraus wäre der Schluss zu ziehen, nicht etwa Test zu entwickeln, um herauszufinden, wer welche Kompetenzen hat, sondern eine Anerkennungsschulung zu beginnen, über die die Wahrnehmungsfähigkeit und die Urteilskraft trainiert wird.
Entscheidend ist dabei, Kommunikationsformen zu entwickeln, durch die eine anerkennende Zusammenarbeit zwischen den älteren Chefs und den jungen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, zwischen gleichberechtigten weiblichen und männlichen Projektmitarbeitern und zwischen erfahrenden Führungsfrauen und jungen männlichen Mitarbeitern geschaffen wird. Insofern ist Leadership nicht nur im Kontext der Position oder des Geschlechts zu verstehen, sondern auch als verantwortliches Verhalten zwischen den Generationen.
Zu 7.: Der Umgang mit den negativen Einflussfaktoren, die die notwendige Kooperation zwischen Frauen und Männern in Führungspositionen betreffen, ist meiner Ansicht nach auch entscheidend für das Gelingen. „Me too“ darf nicht heißen, dass freundliche Gesten zwischen Männern und Frauen per se als übergriffig abgewertet werden. Wenn sie mit Respekt verbunden sind, können sie zu einer anerkennenden Umgangsweise beitragen. Das ist ganz einfach deshalb wichtig, weil das, was die Beziehung zwischen Mann und Frau kreativ werden lässt, mit einem Hauch von wertschätzender Erotik weitaus lebensfreundlicher ist, als eine aggressive Dauerabwehr zwischen Männern und Frauen.
Das bedeutet auch, dass Frauen nicht die Abwehr gegen Männer unterstellt wird, und die Männer nicht unter dem Verdacht gestellt werden, Frauen kleinhalten und kleinkriegen zu wollen. Vorurteile sind der Stoff, aus dem die zwischenmenschlichen Konflikte genäht werden.
Das bedeutet, dass die Frauen ihre Emanzipation darin leben, sich selbst und den Mann anzuerkennen und entdecken zu wollen. Das bedeutet ebenfalls, über die eigenen verinnerlichten Rollenbilder, Stereotypen und die positiven und negativen Erfahrungen zu reflektieren und sich diese bewusst zu machen. Das lässt sich weder verordnen noch verlangen, sondern wird für Führungspersönlichkeiten, gleich ob männlich oder weiblich, zu einer selbstgestellten Aufgabe, mit oder ohne Hilfe durch eine Supervision.
GEMEINSAME SACHE MACHEN!
Zu 8.: Von der Konkurrenz zur Kooperation. Es gibt ein berühmtes Lied von Bertold Brecht und Hans Eissler über „Das Lob der dritten Sache“, das hier maßgeblich ist, auch wenn wir heute das Thema des Liedes in einen anderen als den damaligen politischen Kontext stellen. Es kommt nicht allein darauf an, was Du oder was ich will, sondern es ist entscheidend, was wir in der gemeinsamen Sache zu tun haben. Diese Orientierung an einer Aufgabe, einem Ziel, einer Idee, die kooperativ zu gestalten ist, bewirkt eine ganz andere Atmosphäre, als die, die entsteht, wenn die Beteiligten nur sich, ihre Befindlichkeit, ihren Ehrgeiz und ihre Ehre im Kopf haben.
Konkurrenzstreben ist immer mit der Gefahr verbunden, den anderen auszuschließen oder auszustechen. Es beruht so gut wie immer auf einem mangelnden Selbstwertgefühl, das durch das Konkurrenzverhalten kompensiert wird. Doch zu welchem Preis?
Auf jedes Konkurrenzverhalten folgt das Konkurrenzverhalten des Gegenübers, das sich im Zugzwang fühlt, sich wehren zu müssen, um nicht unterzugehen.
Das Lob der dritten Sache fordert heraus, zu dienen und nicht zu herrschen, sich an der Verantwortung und nicht in der Selbstbespiegelung zu verlieren und die Freude zu empfinden, in einer authentischen Beziehung zu sein, die Voraussetzung für jede Form der Anerkennung.
PROBLEME LÖSEN IN BEZIEHUNG
Zu 9.: Kooperation und Kommunikation in Krisenzeiten sind umso wichtiger, um die Kampfhaltungen, die in der Gesellschaft immer mehr zunehmen, aufzugeben, um die Probleme gemeinsam zu lösen. Die allgemeine Krisenlage, unter der viele Menschen leiden, führt auch zu Angst und Abwehr, die persönlich empfunden und im Alltag ausagiert werden. Insofern schlagen sich kollektive Krisen immer auch individuell nieder.
Die Angst von vielen Menschen vor Krieg, Gewalt, Verlusten, Epidemien grassiert und lässt sich im Berufsalltag nicht einfach abschalten. Abgesehen davon grassieren in Unternehmen selbst Konflikte: zwischen den Verantwortlichen und den Mitarbeiter, zwischen Männern und Frauen, zwischen älteren und jüngeren Mitarbeitern, die unterschiedliche Wertvorstellungen haben. Diese Konflikte beeinträchtigen logischerweise die Leistungen.
Dazu ist es erforderlich, dass die Beteiligten bei einem Konfliktfall im Unternehmen zuerst den Ursachen auf den Grund gehen. Denn sehr häufig sind diese zurückzuführen auf mangelnde Anerkennung und verkappte Kränkungen. Da die dadurch entstehenden Verletzungen aus Gründen des Selbstschutzes nicht kommuniziert werden, werden sie sehr oft nicht erkannt und logischerweise auch nicht behoben. Kooperation und Kommunikation sind keineswegs verzichtbare soft skills, sondern die notwendige Bedingung dafür, dass Zusammenarbeit konzentriert und mit den Maßstäben der Anerkennung umgesetzt wird: durch regelmäßige Meetings der Beteiligten, durch gezielte Fragen, die die Analyse des Konfliktes ermöglichen, durch die Moderation eines objektiven Beobachters, durch Verhaltens- und Werte-Commitments, auf die sich alle Beteiligten einigen.
ZUKUNFTSKONZEPTE ALS ANREIZ
Zu 10.: Utopien sind Konzepte für die Zukunft, die schriftlich festgelegt werden. Sie schufen in der der westlichen Kulturgeschichte eine Antriebskraft, unerträgliche reale Verhältnisse als Ausgangspunkt für Entwürfe einer besseren Zeit zu entwickeln. Heute haben wir es weit mehr mit Dystopien zu tun als mit hoffnungsgeladenen Utopien.
Unternehmen sind ein Tragpfeiler in der Gesellschaft und damit auch immer betroffen von politischen und sozialen Prozessen sowie vom globalen Markt. Insofern ist es in Zukunft weit mehr notwendig als bisher, sich auch in Unternehmen Gedanken zu machen, wohin ein Unternehmen sich in Anbetracht des Zeitgeschehens entwickeln will. Das ist gewiss keine verzichtbare Nebenbeschäftigung, sondern entspricht der zunehmenden Notwendigkeit, dass Unternehmen sich ihres gesellschaftlichen Auftrags bewusst sind und Position beziehen.
Solche Zukunftskonzepte, die von Mitarbeitern selbst erarbeitet werden, aus den Erfahrungen ihres alltäglichen Handelns, könnten ein gemeinsam geschaffener Anreiz sein, sich im und für das Unternehmen zu engagieren und mehr im Blick zu haben, als nur die alltäglichen Pflichten und die Anforderungen. Diese Arbeit an solchen Zukunftskonzepten sollten nicht zur Illusion verleiten, dass damit die Probleme gelöst werden. Sie können aber zu Leitlinien werden, die immer wieder in einem Team in der Umsetzung überprüft werden. Die leitenden Fragen für eine Unternehmensutopie wären: Wer sind wir? Wohin wollen wir? Was müssen wir tun? Was können wir ertragen? Wie können wir was überwinden?
Gemeinsam gestellte Fragen und gemeinsam entwickelte Antworten verbinden die Beteiligten, gleich, ob Mann oder Frau. Das sollte zukunftsleitend sein.
Natürlich kann ich in dieser kurzen Übersicht über die relevanten Aspekte meines Beitrags nicht mehr tun, als Ideen und Vorschläge zu unterbreiten, die dann im Einzelfall entsprechend realisiert werden müssen, damit der Idee auch die Tat folgt.
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