DESIGNER FÜR DEN WANDEL
Die holländische Provinzstadt Eindhoven gilt als Hochburg für fortschrittliche Design-Entwicklungen. Nicht nur auf der Dutch Design Week wird das Thema nachhaltiges Design immer wichtiger. Auch in anderen Zusammenhängen bringen sich Design-Talente als Akteure des Wandels ein.
Text Antoinette Schmelter-Kaiser
Martijn Paulen ist Diplom-Psychologe, wechselte aber schnell in Richtung Organisationsentwicklung und Innovation und war in den Niederlanden in verschiedenen Führungspositionen tätig. Seit 2013 arbeitet er als Direktor der Dutch Design Foundation. dutchdesignfoundation.com
Silicon Valley in Nordkalifornien ist ein Synonym für Innovationen im Hightech- und IT-Sektor. Als Hochburg für fortschrittliche Design-Entwicklungen gilt Eindhoven in der niederländischen Provinz Noord-Brabant.
Warum ausgerechnet eine unspektakuläre 235.000 Einwohner-Stadt diese Paraderolle hat, erklärt Martijn Paulen, Direktor der dort ansässigen „Dutch Design Foundation“: „Das Wachstum von Eindhoven ist eng mit Firmen wie Philips verknüpft. Bei diesem Unternehmen gibt es schon lange ein Bewusstsein dafür, dass Design die Schnittstelle zwischen Technik und Anwendern ist.“
Um entsprechende Experten auszubilden, seien die „Design Academy Eindhoven“ sowie der Studiengang „Industrial Design“ an der Technischen Universität entstanden. „Wie ein Magnet“ habe Eindhoven außerdem Designer und Start-ups angezogen, als Philips Betriebs-Bereiche an andere Standorte outsourcte und viele Gebäuden im Zentrum frei wurden.
DUTCH DESIGN WEEK – ZUKUNFT DES DESIGNS
Als Forum für den Ideenreichtum und die Experimentierfreude dieser „Next Generation“ auf dem Sektor Gestaltung fungiert seit 20 Jahren die „Dutch Design Week“.
Sie versteht sich als „Talent-Plattform“ und „Bottom Up Festival“, bei dem sich alle Teilnehmer mit ebenso viel Energie wie Engagement einbringen und ein zentrales DDW-Team die übergreifende Organisation managt, für Gelegenheiten zum Netzwerken sorgt und passende Partner zusammenbringt.
„Am Anfang kamen nur ein paar hundert Besucher. In unserem besten Jahr 2019 waren es 350.000“, bilanziert Paulen stolz. Statt einer Präsentation fertiger Produkte wie auf der Milan Design Week erwarte sie an 100 verschiedenen Locations bei Ausstellungen, offenen Ateliers und Werkstätten, Workshops, Talks, Partys und Preisverleihungen ein Einblick in die Zukunft des Designs.
TEIL EINER POSITIVEN ENTWICKLUNG
Für diese wird das Thema Nachhaltigkeit seit „circa zehn Jahren immer wichtiger“, weiß Paulen. „Designern geht es mittlerweile nicht nur darum, schöne Dinge zu kreieren oder die Rockstars ihrer Branche zu werden. Viele wollen mit ihrer Arbeit zu einer besseren Welt und einer positiven Entwicklung beitragen.“
Denn beim Lebenszyklus eines Produkts hängt sehr viel vom Design ab – angefangen bei den verwendeten Materialien über die Langlebigkeit eines Produkts bis zu seiner Recycling-Fähigkeit.
Der zunehmende Wunsch nach Kreislauffähigkeit führt laut Paulen zu einem Design-„Rethinking“ und einer „Explosion neuer Materialien“.
Bei diesen vielversprechenden Entwicklungen will die Dutch Design Week als Seismograph „ganz vorne mit dabei sein“ – und auch anwendbare Umsetzungen zeigen, damit es nicht bei visionären Ideen bleibt.
KLIMAFREUNDLICH BAUEN UND LEBEN
Als Gemeinschaftswerk von 100 Partnern war auf der DDW 2021 „The Exploded View Beyond Building“ zu sehen: eine Installation mit ausschließlich kreislauffähigen und biobasierten Materialien, Methoden und Anwendungsbeispielen.
In Form eines begehbaren Hauses und aufgeteilt in sieben Themenräume veranschaulichten sie, welche ungeahnten Möglichkeiten (Ab-)Wasser, Pilze, Bakterien, lebende Pflanzen oder Nahrungsabfälle für klimafreundliches Bauen und Leben bieten – egal ob Böden aus Eierschalen, Stühle aus Fruchtleder oder Isolation aus Hanf.
NACHHALTIGE PORTFOLIO-ENTSCHEIDUNGEN
Die Agentur CLEVER°FRANKE aus Utrecht präsentierte auf der Dutch Design Week 2021 eine offene, digitale Plattform namens „Globalance World“, die die globalen Auswirkungen von Investitionen veranschaulicht. Dafür werden Daten zu Klimawirkung genauso analysiert und visualisiert wie der ökologische Fußabdruck, Megatrends oder die Netto-Rendite.
All diese Hintergrund-Informationen sollen es erleichtern, nachhaltige Portfolio-Entscheidungen zu treffen – Beleg für das erklärte Anliegen von CLEVER°FRANKE, „sinnvolle Lösungen für die komplexesten geschäftlichen Herausforderungen zu entwickeln und Erfahrungen zu schaffen, die zu Veränderungen inspirieren.“
KREISLAUFWIRTSCHAFT ALS NEUE NORM
Als neue Marke auf dem Möbelsektor war bei der Dutch Design Week 2021 Circuform mit REX von der Partie: einem Stuhl, der aus recycelten Kunststoff-Fischernetzen, – Teppichen oder –Industrieabfällen hergestellt wird, um keine Rohstoffe zu verschwenden. Bei seiner Produktion wird Wert daraufgelegt, die Umweltbelastung so gering wie möglich zu halten.
Nach dem Gebrauch kann der Stuhl, dessen preisgekröntes Design von Ineke Hans stammt, im Rahmen eines Pfandsystem zurückgegeben, repariert oder recycelt und so für neue Produkte verwendet werden. Denn Circuform glaubt, dass Kreislaufwirtschaft die Norm sein sollte.
FARBPIGMENTE AUS DEM MEER
Auf das Potenzial natürlicher Farbstoffe aus Seegras setzt die Designerin Nienke Hoogvliet. Denn es braucht weder kostbaren Ackerboden noch Süßwasser zum Wachsen, nimmt CO2 auf und produziert Sauerstoff. Nach acht Jahren Forschung mit diesem Material hat sich Nienke Hoogfliet mit Anne Boermans zusammengetan, um das Unternehmen Zeefier zu gründen und es auf der Dutch Design Week 2021 vorzustellen.
Sein Anliegen ist es, mit einer biobasierten, umweltfreundlichen Technik verschiedenfarbige Pigmente aus Seegras zu gewinnen, mit denen auf industriellem Level natürliche Textilien wie Baumwolle, Wolle, Seide oder Leinen in pastelligen Tönen einfärbt werden können.
NACHALTIGES DESIGN UND PROBLEMLÖSUNG
Nach wegweisenden Designern wird bei einer „kontinuierlichen Recherche-Arbeit“ gesucht, so Paulen. Deren „Highlight“ sei die Dutch Design Week, die immer Ende Oktober stattfindet und neun Tage lang dauert.
Parallel unterstützt die „Dutch Design Foundation“, der die Dutch Design Week untersteht, Design-Talente dabei, ihre Ideen sowie Arbeit bekannter zur machen und ihre Fähigkeit zur Problemlösung in neuen Zusammenhängen unter Beweis zu stellen: Im „What If Lab“ sind Designer als treibende Kraft gefragt, um spezifische Forschungsfragen von Unternehmen oder Dienstleistungsunternehmen mit praktikablen Konzepten zu beantworten. Hierbei liegt der Fokus auf einer Erweiterung des Netzwerks und gegenseitigem Austausch mit überraschenden Ergebnissen.
In den „World Design Embassies“ können sich Designer gemeinsam mit anderen Experten, Praktikern und Nutzern bei Themen einbringen, mit denen die Gesellschaft gegenwärtig konfrontiert ist – egal ob Technologisierung, Klimawandel, Verstädterung, neue Formen der Globalisierung oder Individualisierung.
Ziel ist es, Fachwissen zu bündeln und mit verschiedensten Akteuren des Wandels die Strategien der Zusammenarbeit effektiver zu gestalten.
Fotos: CLEVER°FRANKE / Dutch Design Foundation, Design Perron / Britt Roelse, Jeroen van der Wielen, Max Kneefel, Cleo Goossens