Über den „Purpose“ von Unternehmen
„Purpose“ ist ein Begriff, der in den vergangenen Jahren stark an gesellschaftlicher Bedeutung und Relevanz gewonnen hat – nicht zuletzt auch als Namensgeber dieses Magazins für Sinnhaftigkeit. Was es dabei zu beachten gilt, wird nun immer deutlicher.
Text Julian Rautenberg
Julian Rautenberg ist Leiter Private Banking bei der Privatbank DONNER & REUSCHEL. Er hat Betriebswirtschaft, Politik und Philosophie an der LMU München studiert. Für Purpose schreibt er regelmäßig über wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Veränderungen.
In der Geschäftswelt hat „Purpose“ an Bedeutung gewonnen, vor allem aufgrund einer neuen Generation sehr gut ausgebildeter Absolventen, die von künftigen Arbeitgebern mehr erwarten als ein ordentliches Gehalt und irgendwann einen Dienstwagen (s. hierzu auch die Beiträge unten).
Viele Menschen stellen sich ganz im postmaterialistischen Sinne in ihrem Berufsleben und als Konsumenten die Frage nach dem Purpose, dem Sinn oder Zweck des eigenen Tuns im Unternehmen und des Tuns des Unternehmens selbst.
Dabei ist die Antwort auf die schlichte Frage nach dem Zweck eines Unternehmens auf den ersten Blick gar nicht so offensichtlich.
Reiner Shareholder Value ist kein unternehmenszweck
Zumindest gibt es auf diese Frage verschiedene Antwortmöglichkeiten. Aus der klassischen betriebs- und volkswirtschaftlichen Theorie hat sich über Jahrzehnte in breiten Teilen der Wirtschaftswelt der Shareholder-Value-Gedanke manifestiert, der als oberstes und wesentliches Unternehmensziel die Gewinnerzielung bzw. -maximierung definiert. Generationen von Managern haben diesem Ziel mehr oder weniger alles untergeordnet.
Das grundsätzliche Missverständnis bei einem reinen Shareholder-Value-Modell ist, dass es hierbei um eine Zielsetzung handelt, die einseitig von einer einzigen Gruppe von Stakeholdern formuliert wird. Als Stakeholder (auch Anspruchsgruppen genannt) kann man alle Personen bezeichnen, die durch die Aktivitäten eines Unternehmens direkt oder indirekt betroffen sind. Stakeholder kann man unterteilen in interne Stakeholder, dies sind Mitarbeiter, Manager und Eigentümer, sowie externe Stakeholder wie – beispielhaft und nicht abschließend – Kunden, Lieferanten, Gläubiger, Staat oder Gesellschaft.
Eine reine Fokussierung auf die Gewinnmaximierung kann daher durchaus das Ziel der Stakeholdergruppe der Eigentümer sein. Dieses Ziel darf jedoch nicht mit dem eigentlichen Zweck eines Unternehmens verwechselt werden.
Solange man den Grundgedanken einer Gesellschaft als Solidargemeinschaft nicht aufgibt, kann der Zweck eines Unternehmens nicht in erster Linie oder zumindest nicht ausschließlich die Gewinnmaximierung sein, weil sie nur den Interessen einer einzigen Stakeholdergruppe dient. Selbstverständlich sollten die Interessen der Unternehmenseigentümer ein sehr starkes Gewicht haben, jedoch nicht als einziges über allen anderen stehen.
Dass hier zu einem gewissen Grad bereits ein Umdenken stattfindet, zeigt beispielsweise der massive Druck der Kapitalmärkte, der seit einiger Zeit auf Unternehmen wirkt, ihre Geschäfte hinsichtlich nachhaltiger Kriterien auszurichten. Die Anforderungen an eine gute Unternehmensführung steigen und die Wirkung auf Gesellschaft und Umwelt wird zunehmend kritisch hinterfragt – und im negativen Falle von den Kapitalmärkten abgestraft.
selbsterhalt als selbstzweck?
Besonders Familienunternehmer, die zurecht stolz auf ihr generationenübergreifendes Wirtschaften sind, antworten auf die Frage nach dem obersten Ziel des Unternehmens, dass dies der Erhalt des Unternehmens und die Weitergabe an die nächste Generation sei. Diese Fokussierung auf den Selbsterhalt der Organisation hat im Kern einen sehr tief liegenden Stakeholder-Value-Gedanken.
Wenn man annimmt, dass ein Wirtschaften im Einklang mit den Interessen von Mitarbeitern, Managern, Eigentümern, Kunden, Lieferanten, Gläubigern, Staat und Gesellschaft das beste Mittel ist, um den Erhalt des Unternehmens langfristig zu sichern.
Andersherum: wenn es einem Unternehmen gelingt, sich alle Interessengruppen gegenüber wohlgesonnen zu halten, wird es auch weiterhin existieren. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass so gut wie jede Organisation – unabhängig von Eigentümerstrukturen – einen gewissen Selbsterhaltungstrieb aufweist.
Dies zeigen Beispiele von der katholischen Kirche über unzählige Vereine oder Aktiengesellschaften in zersplitterten Streubesitz und hat im Wesentlichen mit der Bedeutung der Organisation für ihre Mitglieder oder Angestellten zu tun. In der Regel will sich kein Gefüge selbst abschaffen und das gilt erst recht für Unternehmen, deren Mitarbeiter von ihm leben. Als wirklicher Unternehmenszweck kann daher der reine Erhalt seiner selbst nicht dienen.
Der Grundzweck liegt in der Versorgung der Gesellschaft
Aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive kann der Zweck eines Unternehmens in erster Linie nur sein, die Gesellschaft mit guten, sinnhaften, relevanten, nützlichen Gütern oder Dienstleistungen zu versorgen. Wenn ein Unternehmen dies gut macht, erzielt es Gewinn und erhält sich zwangsläufig selbst.
Andersherum: es verschwinden die Unternehmen vom Markt, die es nicht mehr schaffen, ausreichend Käufer für ihr Produkt zu finden. Entweder, weil es ein anderer besser oder billiger herstellt bzw. in irgendeiner Form bessere Kaufargumente an den Kunden transportiert, oder, weil es das Produkt in der Form nicht mehr braucht und das Unternehmen es versäumt hat, neue Güter oder Dienstleistungen zu entwickeln, die gebraucht werden.
Its about Purpose
Die Logik des Marktes und seiner Mechanismen erfordern, dass sich Unternehmen im Kern darauf konzentrieren müssen, ihre Kunden mit guten Produkten oder Dienstleistungen zu versorgen. Dies gelingt in der Regel nur mit motivierten Mitarbeitern, die sich mit dem Produkt und mit dem gesamten Unternehmen identifizieren.
Im Umkehrschluss müssen Unternehmen ihren Kunden, Mitarbeitern und im Idealfall allen Stakeholdern die Sinnhaftigkeit ihres Unterfangens aufzeigen können. Purpose ist der Mehrwert, der über das rein Materielle hinausgeht. Dies gilt vor allem für Unternehmen in gewachsenen, gesättigten Märkten mit mehreren Wettbewerbern, wo bereits ein hohes Maß an industrieller Effizienzoptimierung erreicht wurde.
Dies wird anhand eines simplen Beispiels deutlich: zwei Telekommunikationsunternehmen am selben Ort bieten sowohl Mitarbeitern als auch Kunden dieselben Konditionen an. Für wen sollen sich potentielle Mitarbeiter und Kunden entscheiden?
Es ist offensichtlich, dass an diesem Punkt weitere, nicht unmittelbar materialistische Aspekte an Bedeutung gewinnen. Sei es durch bessere Mitarbeiterförderungsprogramme auf der Personalseite oder durch einen Zusatznutzen als Kaufargument, zum Beispiel durch ein soziales Engagement des Unternehmens.
Hierbei ist es extrem bedeutsam, dass Purpose nicht zum Greenwashing wird. Nicht-materialistische Aktivitäten eines Unternehmens müssen professionell, glaubhaft und langfristig verfolgt werden, sonst drohen sie zum Boomerang zu werden.
Gerade die jüngere Generation an Mitarbeitern und Kunden ist tendenziell post-materialistischer eingestellt und hinterfragt den wirklichen Purpose eines Unternehmens kritisch. Dabei geht es nicht um ein bis zwei Wohltätigkeitsinitiativen, die vom Vorstand gesponsert werden.
Corporate Purpose als Managementaufgabe
Unternehmensentscheider müssen immer mehr den Purpose, also den eigentlichen Zweck Ihres Unternehmens kommunizieren können und auf dieser Basis ein tragfähiges Geschäftsmodell mit starken Marken und einem überzeugenden Beitrag zum Gemeinwohl entwickeln.
Nachwachsende Generationen machen zurzeit überdeutlich: Reine Profitorientierung reicht für die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens immer weniger aus. Heute wird von Unternehmen und Marken erwartet, dass sie gesellschaftliche, ökologische und soziale Belange in ihrem Handeln fest verankern und auch für diese Verantwortung übernehmen.
Die Mühe lohnt, denn erste Studien zeigen: Unternehmen mit einem klar definierten Purpose wachsen überdurchschnittlich.
Postmaterieller Kapitalismus durch Sozialunternehmen?
Diese Entwicklung unterstreicht die Entstehung von immer mehr, so genannten Sozialunternehmen, die sich für einen positiven Wandel der Gesellschaft einsetzen. Sie stellen zwar „normale“ Produkte oder Dienstleistungen her, müssen also nicht per se karitative Zwecke verfolgen, verknüpfen jedoch ihre wirtschaftlichen Aktivitäten in unterschiedlichster Art und Weise mit sozialen Zielen, z.B. in dem im Niedriglohnsegment überdurchschnittliche Gehälter bezahlt werden oder ein Anteil des Umsatzes für soziale Projekte aufgewendet wird.
Gemein ist allen Sozialunternehmen, dass deren Unternehmensziel nicht in erster Linie in der Gewinnmaximierung liegt, meistens wollen die Eigentümer solcher Unternehmen lediglich eine Mindestverzinsung auf das eingesetzte Kapital erhalten oder sie verzichten ganz auf Ausschüttungen. Im Gegenzug stehen die Interessen anderer Stakeholder weiter oben auf der Prioritätenliste.
Gewinne erwirtschaften ist legitim!
Der im Vergleich größere Nutzen für mehrere Stakeholdergruppen beantwortet dann fast schon nebenbei die Frage nach dem Zweck, der Sinnhaftigkeit oder eben des Purpose des Unternehmens. Von einer solchen Selbstverständlichkeit des Corporate Purpose ist die Breite der Unternehmen heute noch weit entfernt.
Es gibt keinen Zweifel an der Bedeutung des privaten Eigentums, der eigenmotivierten Innovationskraft und der unternehmerischen Risikobereitschaft für das Gelingen einer Marktwirtschaft, die wie kein anderes bekanntes System einer breiten Gesellschaft die Möglichkeit zu Wohlstand, Gesundheit und Sicherheit eröffnet.
Dass Unternehmen Geld verdienen und Gewinne erwirtschaften, ist daher absolut legitim und im Übrigen auch notwendig, um Flauten zu überstehen oder Mittel für neue Investitionen zu haben. Trotz aller berechtigten Eigentümerinteressen können Unternehmensentscheider dennoch nicht ignorieren, wie sie den Purpose ihres Unternehmens definieren und kommunizieren. Paradoxerweise könnte es andernfalls sein, dass man aufgrund eines zu eindimensional materialistischen Handelns am Ende aus dem Kunden- und Arbeitgebermarkt getragen wird.
Der Markt ist ja bekanntlich gnadenlos.
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