VICTORIAFÄLLE – RAUSCH DER SINNE
„Donnernder Rauch“, Mosi-oa-Tunya, lautet der indigene Name. Früher stand er auf der Wunschliste eines Missionars, heute ziehen die „Vic Falls“ vor allem Naturliebhaber und Adrenalin-Junkies an.
Hier erfahren Sie mehr über
- Sambische Kochkunst
- Rafting in der Batoka-Schlucht
- Victoria Waserfälle: Regenbögen bei Tag und Nacht
Text Gerd Giesler
Gerd Giesler ist Kommunikationsprofi und Inhaber der Agentur Journal International The Home of Content sowie leidenschaftlicher Reporter und Autor, z.B. monatlich für PURPOSE.
Das Gebiet galt als spirituelles Heiligtum für die Batoka und andere Stämme. Auch der schottische Missionar David Livingstone hatte es vier Jahre lang auf seiner Wunschliste, bevor er dort ankam. Am 17. November 1855 ruderte Fürst Sekelutu vom Stamm der Makolo den Forscher zur letzten Insel im Sambesi vor der 1,7 Kilometer langen Abbruchkante, der heutigen Grenze zwischen Simbabwe und Sambia.
Obwohl der Wasserstand zu jenem Zeitpunkt niedrig war, verspürte Livingstone auf dieser Insel ein beständiges Zittern der Luft und vernahm das Tosen der Gischt.
Als erster Europäer stand er am Abgrund und nannte die Fälle nach der englischen Königin Victoria. Über 100 Meter stürzt der Sambesi hier in die Tiefe. Der Blick in die schäumende Schlucht ist auch heute noch ein atemberaubendes Erlebnis, der Höhepunkt einer Reise ins südliche Afrika schlechthin.
N’SHIMA-KOCHKURS MIT CHEFKOCH EPHRAIM
Auf dem Rückweg von den Fällen gibt es Stau. Eine Herde Elefanten kreuzt in aller Seelenruhe die Straße. Dickhäuter haben hier immer Vorfahrt. Im Anschluss bringt uns Current, unser Guide, auf den Gemüsemarkt in Livingstone. Er hält ein Schwätzchen mit den Marktfrauen, sucht Rapskohl, Hibiskusblätter und gelbe Auberginen aus.
Heute soll es N‘Shima geben, das sambische Nationalgericht. Ein schneeweißer, heißer und glatter Maisbrei bildet die Grundlage dafür. Als 1990 die sambische Regierung den Preis für Mais drastisch erhöhte, gab es Tumulte im ganzen Land.
Chefkoch Ephraim strahlt über das ganze Gesicht als er uns zum Kochkurs in der Mukwa River Lodge empfängt. Mit der gleichen Hingabe, mit der er Sushi, Ceviche, Hähnchenrouladen und Trüffelrisotto auf die Teller zaubert, weiht er uns auch in das kräftezehrende Schlagen des Maisbreis mit einem baseballschläger-artigen Kochlöffel ein.
Derweil schnippelt Empfangsdame Christine das Gemüse klein und brät jedes für sich in heißem Olivenöl mit Zwiebeln, wahlweise mit Erdnussmehl oder Chiliflocken an. Angerichtet in dekorativen Schalen und am riesigen Holztisch im Restaurant der Lodge serviert, gerät selbst so ein Arme-Leute-Essen wie N‘Shima zu einem Festtagsschmaus.
Gegessen wird traditionell mit den Fingern, indem man aus dem Maisbrei pflaumengroße Kugeln rollt, in der Mitte eindrückt und das Ganze in die Gemüsesaucen tunkt.
MUKWA, DIE LODGE AM SAMBESI
Die Mukwa River Lodge liegt 25 Minuten von Livingstone und knapp 40 Fahrminuten von den Fällen entfernt, direkt an den Ufern des Sambesi. 2017 kam der südafrikanische Entrepreneur Edgar Rudge vorbei und kaufte das Gelände am Fluss, das keiner haben wollte für ein Butterbrot, da es in schöner Regelmäßigkeit vom Hochwasser heimgesucht wurde. Er bebaute es mit Stelzenbungalows, höher als der höchste Pegelstand, den der Sambesi je erreicht hatte, und der war 1958.
Drei Doppelzimmer-Suiten, eine Family-Unit – alle dem Fluss zugewandt, zwei weitere mit Blick auf die Lagune und den Park, in der neben Goldfischen auch ab und wann Krokodile schwimmen. Heraus kam ein Juwel, ein Liebhaber-Objekt, ein No-Go wenn man es finanzieren muss, für 18 Gäste und 36 Angestellte, aber Rudge hatte sein Fortune gemacht und außerdem war ihm die richtige Managerin dafür begegnet.
VOM BARKEEPER ZUM BOOTSMANN
Für Linda Preston, Expat aus UK, war die Lodge Liebe auf den ersten Blick. Vor über 25 Jahren hatte die Hands-on-Frau, die man garantiert nicht für die Hoteldirektorin hält, ihr Herz an Afrika verloren und viele Jahre lang Globetrotter in Overland-Trucks von Nairobi nach Kapstadt geschaukelt. Als absolute, aber proaktive Quereinsteigerin fragte sie Rudge, ob er nicht jemand brauchte, der seine im Bau befindliche Lodge beaufsichtigte und ehe sie sich versah, eröffnete sie mit dem gesamten Team am ersten April 2022 das Resort.
Aus Roy, dem Maurer, wurde ein Koch. Yona, der Konstrukteur, verwandelte sich in einen Barkeeper, der seine Bar gleich selbst baute, sowie in einen leidenschaftlichen Bootsmann und Wildtierhüter.
Ein jeder fand sein Plätzchen in der Lodge. Current chauffiert die Gäste zum Flughafen oder unternimmt Picknick-Ausflüge, Chichi liest den Gästen die Wünsche von den Lippen ab und Nummer 37 im Team, Daniel Seame, beglückt seine Zuhörer abends am Kamin mit Pianoklängen, ohne je eine Note gelernt zu haben.
Wer zur Lodge will, muss durch einen kleinen Bach fahren, als sei der Zufahrtsweg noch vom Sambesi überschwemmt. Für Edgar Rudge ist dies ein Ritual, ein Reinigungsprozess. Alles Belastende soll dabei vor der Lodge zurückbleiben. Mukwa ist keine Safari-Lodge, sie versteht sich als Hide-away am Ende des Regenbogens, der sich von den Vic-Falls bis hierher spannt, im Einklang mit der Macht des Wassers.
DIE KRAFT DES SAMBESI AN DEN VICTORIAFÄLLEN
Besonders am Ende einer anstrengenden Tour ist dies der richtige Platz um sich rundum verwöhnen oder überraschen zu lassen, zum Beispiel mit einem liebevoll angerichteten Sekt-Frühstück auf dem Resort-eigenen Flussschiff, begleitet von neugierigen Pelikanen.
Im April erreicht der Sambesi an den Victoriafällen seinen jährlichen Höchststand. Der Fluss stürzt dann fast auf der gesamten Länge der Fallkante über die Klippen. Der ideale Zeitpunkt für einen Panorama-Rundflug per Helikopter, weil die Gesamtkomposition der stürzenden Wassermassen von oben am Spektakulärsten ist. Obwohl Livingstone diesen Blick mit eigenen Augen nie erlebt hatte, mag er seiner Schwärmerei vom Flug der Engel wohl am nächsten kommen.
Später im Jahr nimmt der Zustrom an Wasser dramatisch ab und aus dem weißen, ewig stürzenden Vorhang werden viele kleinere Wasserfälle. Der tosende Donner wird leiser, die Gischtschleier erreichen selbst auf Simbabwe-Seite, wo man näher an der Abbruchkante ist, nicht mehr ihre alles durchtränkende Wirkung. Das ist die richtige Zeit für Adrenalin-Junkies.
Kann man die Victoriafälle besuchen, ohne ihnen einmal auf Augenhöhe begegnet zu sein? Ohne die Kraft gespürt zu haben, den der mächtige Sambesi hier entfaltet, der sich über tausende von Jahren tief in die afrikanische Erde gegraben hat?
RIVER RAFTING IN DER BATOKA-SCHLUCHT
Dann würde man wohl auf eines der größten Abenteuer verzichten, das der Sambesi an den Victoriafällen zu bieten hat: das Durchfahren der bis zu 25 Stromschnellen der Batoka-Schlucht in einem Schlauchboot. — Ein einmaliges Erlebnis, zu dem auf jeden Fall etwas Mut gehört!
Zwei Wildwasser-Rafting Anbieter sind vertrauenswürdig für dieses nasse Abenteuer: Sheerwaters in Simbabwe und Safari par Excellence in Livingstone.
Um 7 Uhr morgens holt uns ein SAFPAR-Fahrer an der Lodge ab. Wir sind insgesamt neun Wildentschlossene, sieben Männer, zwei Frauen. Tando, ein drahtiger Kerl mit Rastalocken, verteilt spezielle Schwimmwesten plus Helm als Kopfschutz. Wer ins Wasser fällt, am besten rücklings wie ein Käfer, schwimmt auf einer Art Schutzschild. Ein Helm gibt zusätzlich Sicherheit. Das Briefing erfolgt am Rande der Schlucht. Ein paar hundert Meter unter uns glitzert der Sambesi flaschengrün und überraschend ruhig.
Die beiden Guides Tando und Melvin verteilen uns auf zwei Schlauchboote und schwören die Teams ein. Wir reden nur das Nötigste. Jeder konzentriert sich auf das, was vor ihm liegt. Vier Kajaks werden uns begleiten, filmen und helfen, wenn eines der Boote „flippt“, also umkippt, oder falls eine Welle einen von uns über Bord spülen sollte.
Dann beginnt der steile, halbstündige Abstieg in den Canyon über Bambusleitern. Es gibt kein Zurück mehr. Trittsicherheit und eine gute Balance sind unbedingt Voraussetzung. Die Paddel dienen uns als Wanderstockersatz. Wie eine kleine Expedition bewegen wir uns nach unten. Die Jungs von SAFPAR jonglieren barfuß die Boote und das Material an uns vorbei.
KLITSCHNASS, ABER GLÜCKLICH
Der Canyon ist bizarr und schön zugleich. Wir haben Mühe aus der kleinen Bucht ins Fahrwasser zu kommen. Noch heute hallen mir Melvins Befehle „Stop“ und „Forward“ in den Ohren. Bei „Forward“ müssen wir paddeln, was das Zeug hält, um uns nicht in Strudeln im Kreis zu drehen. Bei „Stop“ gilt es den Ball, sprich die Paddel, flach zu halten, um keinen Insassen zu verletzen, und sich beim Ritt über die Wellen an der „Hühnerleine“ festzuhalten, die sich rund ums Boot spannt.
Die erste Stromschnelle geht überraschend schnell vorbei. Wir werden zwar nass, aber unser Boot tänzelt einfach über das glucksende Sprudelwasser hinweg. Als der Spuk vorbei ist, gleiten wir dahin, mutterseelenallein in der sonnenerwärmten Schlucht, und fühlen uns großartig in unseren Nussschalen. Hat sich so Livingstone gefühlt, als er diese unglaubliche Naturschönheit mit allen seinen Sinnen erfasste?
„Strong forward“, brüllt Melvin. Wir nähern uns den „hässlichen Schwestern“. So nennen sich drei dicht aufeinander folgende Stromschnellen mit dem höchsten Schwierigkeitsgrad 5. Atemlos, mit schmerzendem Bizeps, paddeln wir durch. Unser Boot hat sich gefährlich mit Wasser gefüllt und wirkt wie ein führerloses Kinderplanschbecken in der Berg-und-Talfahrt des Sambesi.
Irgendwann fangen die begleitenden Kayaks neben uns an Kunststücke vorzuführen. Melvin verteilt Wasserflaschen, Äpfel und Oreo-Kekse. Die ersten von uns hüpfen mutig ins Wasser und lassen sich treiben im Strom. Krokodile gibt es in diesem Abschnitt keine. Dafür kreist am blitzblanken Himmel in großer Höhe ein Fischadler.
Oben am Canyon-Rand löst eine Missionarsstation die nächste ab. Sie wirken wie Trutzburgen zwischen Himmel und Hölle. Unten auf den nassen Basaltfelsen sonnen sich Nilwarane. Allmählich wird der Fluss ruhiger und der Canyon öffnet sich. Hinter einer Biegung mit blendend weißen Sandstränden ist dann tatsächlich Schluss. Gerade jetzt, wo es so unfassbar schön ist. Aber Augenblicke verweilen eben nicht.
REGENBOGEN IN DER NACHT
Das gilt auch für den Sonnenuntergang an den Victoriafällen. Den schönsten Platz für einen Sundowner bietet das Royal Livingstone Hotel mit seiner Terrassenbar, rund zweihundert Meter bevor die Wassermassen des Sambesi nach unten stürzen.
Die Sonne verschwindet viel zu schnell am Horizont und macht dem Mond Platz. Die Wenigsten wissen, dass die Victoriafälle in Vollmondnächten besonders sehenswert sind. Das Royal Livingston Hotel liegt in unmittelbarer Nähe des Parkeingangs, so dass man sich nach dem Sundowner bequem dorthin chauffieren lassen kann.
Sobald der Vollmond über den Rand der Schlucht gestiegen ist und die Fälle in milchigem Licht erstrahlen, bildet sich über der aufsteigenden Gischt ein geheimnisvoller Mond-Regenbogen aus fluoreszierendem Silber wie ein letzter, überirdischer Gruß. Dieses Phänomen lässt sich von März bis Juli jeweils drei Nächte lang bei Vollmond beobachten.
David Livingstone hat es nie erlebt. Er war zu spät im Jahr an den Fällen.
Victoria Fälle, Livingstone, Sambia
Die Mukwa River Lodge: mukwariverlodge.com
Buchung:
Bei Afrika-Spezialist Karibu Safaris, Tel: 08152 395 639-0.
Fotos: Gerd Giesler, istock, Alamy