Bild von einem Wolf, der die Zähne zeigt.

SCHLAUHEIT UND VERBLENDUNG

Das Grimm’sche Märchen „Der Wolf und der Fuchs“ führt uns die List des Fuchses und die Verblendung des Wolfes vor Augen. Ähnlichkeiten mit menschlichem Verhalten? Aber ja doch….

Hier erfahren Sie mehr über

  • Selbstwahrnehmung
  • Gier
  • Umsicht

Text Irmela Neu

Schwarz-Weiß-Bild von Prof. Dr. Irmela Neu.

Prof. Dr. Irmela Neu lehrt Interkulturelle Kommu­nikation in Spanien und Lateinamerika an der Hochschule München für angewandte Wissenschaften (HM), gibt Seminare zur empathischen Kommu­nikation und ist Autorin.

Der überlegene Wolf als Gebieter

Das Märchen beginnt mit der klaren Aussage: „Der Wolf hatte den Fuchs bei sich, und was der Wolf wollte, das musste der Fuchs tun, weil er der schwächste war, und der Fuchs wäre gerne den Herrn los gewesen.“ Der stärkere Wolf ist also der Herr und Gebieter über den Fuchs, der ihm stets zu Diensten sein muss – auch wenn ihm das so gar nicht passt.

Keine Chance! Er hat die Befehle von seinem Herrn, dem Wolf, sogleich auszuführen. Andernfalls … Nun, Anordnung und Drohung des Wolfes lassen nichts zu wünschen übrig:

„Rotfuchs, schaff mir was zu fressen, oder ich fresse dich selber auf.“

Klarer Fall, unser Fuchs hat keine Wahl. Er weiß von einem Bauernhof, wo es junge Lämmchen gibt – ein gefundenes Fressen für den Wolf! Sehr geschickt stiehlt der Fuchs ein solches, überlässt es dem Wolf und macht sich rasch aus dem Staub.

Der nimmersatte Wolf

Diese vom Fuchs beschaffte Mahlzeit hielt der Wolf für einen Gaumenkitzel; er verlangte mehr davon. Getrieben wie er war, machte er sich selbst auf den Weg, sich auch noch ein zweites Lämmchen einzuverleiben. Er stellte dies jedoch so ungeschickt an, dass das Mutterschaf laut blökte, was die Bauersleute alarmierte. Sie eilten herbei und vertrieben den Wolf mit heftigen Schlägen. Arg zugerichtet humpelte und hinkte er zum Fuchs

Doch war tat er? Er gab dem Fuchs die Schuld an seiner misslichen Lage:

„Du hast mich schön angeführt“ sprach er, „ich wollte das andere Lamm holen, da haben mich die Bauern erwischt und haben mich weich geschlagen.“

Keine Spur von Selbstwahrnehmung beim Wolf, im Gegenteil: Er stellte den geschickten Fuchs, der ihm seine Speise herbeigebracht hatte, an den Pranger. Unser Fuchs ließ sich jedoch nicht beeindrucken, sondern konterte mit einer Scheinfrage, die seinen Herrn zum Nachdenken hätte anregen können.

Fuchs auf dem Feld.

Der gierige Wolf

„Warum bist du so ein Nimmersatt,“ gab ihm der Fuchs zu bedenken. Doch nichts dergleichen, der Wolf blieb lernresistent. Die Gier hatte ihn fest im Griff. Statt dessen wiederholt der „gierige Wolf“ dem Fuchs gegenüber seinen Befehl, ihm sofort Nahrung zu beschaffen, andernfalls würde er … na, Sie wissen schon. Seine Drohung wiederholt er jedenfalls auch dieses Mal.

Dieses zweite Mal befriedigt der Fuchs die vegetarischen Gelüste seines Gebieters; er macht nämlich ein Bauernhaus ausfindig, in dem die Bäuerin Pfannkuchen bäckt. Vorsichtig tastend und aufmerksam schnuppernd schleicht sich der Fuchs an die Schüssel mit den köstlichen Pfannkuchen heran, stiehlt einige und bringt sie dem Wolf.

„Davon will ich mehr“, befand dieser sogleich, und schritt zur Tat. Er eilte zum Bauernhaus und machte sich gierig über all die anderen Pfannkuchen her, riss aber die Schüssel herunter und löste damit einen Höllenlärm aus, so dass die Bauersleute herbeieilten. Sie vertrieben den Wolf, indem sie heftig auf ihn einprügelten. Hat er nun aus dem zweiten Fehlschlag gelernt?

Mühsam, heulend und humpelnd schlich er mehr, als dass er ging. Wieder gab er nur ihm die Schuld an seiner elendigen Lage: „Was hast du mich garstig angeführt“ rief er, „die Bauern haben mich erwischt und mir die Haut gegerbt.“ Gleichmütig machte ihn der herb beschuldigte Fuchs auf sein eigenes Verhalten aufmerksam: „Warum bist du so ein Nimmersatt.“ Tja …das Verhängnis nimmt nun seinen Lauf.

Der schlaue Fuchs

Bislang ging der nahrungsbeschaffende Fuchs bei seinen Beutezügen für seinen Herrn leer aus. Nicht so bei der dritten Tour. Der Wolf verlangte mit der stereotypen Formel erneut, der Fuchs solle ihm etwas zu fressen herbeibringen, sonst … Also machte er sich wieder auf den Weg.

Dieses Mal berichtete der Fuchs von einem jüngst angelegten, großen Fleischlager im Keller eines Bauernhofes. Der Wolf wollte, dass der Fuchs mitginge, um ihm bei seinem Vorhaben zu helfen, denn er wollte sich eine ausgiebige Schlemmermahlzeit gönnen. Unser schlauer Fuchs ahnte, ja wusste wohl, dass sich der Wolf – von der Gier angefeuert – kugelrund fressen würde.

Also machten sich beide auf den Weg zum Vorratskeller; der Fuchs war es, der die besten Geheim- und Schleichwege zum ersehnten Ort kannte. Als Wegexperte war er der Leiter der Exkursion zum Tatort. Dort angekommen, gönnten sich beide eine ausgiebige und köstliche Mahlzeit.

Der umsichtige Fuchs

Während der genüsslichen gemeinsamen Mahlzeit sprang der Fuchs immer wieder zum Schlupfloch, durch das sie in den Vorratskeller gelangt waren. Er vergewisserte sich, dass er noch in der Lage wäre, durch dieses Loch gegebenenfalls behende zu fliehen.

Der Wolf hingegen frönte ausgiebig seiner Gier und verhielt sich nach der Devise: „Bis ich aufhöre, hats Zeit.“ Nach einer Weile bemerkte er dennoch das Hin- und Herlaufen vom Fuchs und stellte ihn zur Rede: „Lieber Fuchs, warum springst du so hin und her, und springst hinaus und herein?“ Auf einmal war dieser der „liebe Fuchs“! Nun ja, der Wolf wollte ja etwas von ihm. „Ich muss doch sehen, ob niemand kommt“, antwortete der Listige, „friss nur nicht zu viel.“ Offensichtlich hatte der Fuchs einen Plan …

Mensch mit Fuchskopf.

Der listige Fuchs

„Ich gehe nicht eher fort, als bis das Fass leer ist.“ Das war die Antwort auf die Ermahnung des Fuchses! Der unbelehrbare Wolf fraß und fraß und fraß. Die Gier hatte vollständig von ihm Besitz ergriffen.

Die Sprünge des Fuchses machten Lärm, so dass der Bauer aufmerksam wurde und in den Keller ging, um nach dem Rechten zu schauen. Der Wolf war so mit Fressen beschäftigt, dass er ihn gar nicht wahrnahm – was zu erwarten war, und womit unser listiger Fuchs auch gerechnet hatte. Sie ahnen sicher, was nun geschah.

Der Fuchs sprang schnell und geschickt durch das Schlupfloch, der Wolf wollte es ihm nachmachen. Doch ob seines prallen Bauches blieb er darin stecken. Der Fuchs hatte ihn davor gewarnt! Vergeblich. Was tat der Bauer? Er erschlug den Wolf. Und der Fuchs? Der „war froh, dass er den alten Nimmersatt los war.“

Die Schlauheit des Fuchses

Schauen wir uns die Lage und das Verhalten der beiden genauer an:
Der Fuchs ist in den Fängen des stärkeren Wolfes, muss ihm seine Nahrung beschaffen. Er tut dies kenntnisreich, aufmerksam, umsichtig und geschickt, so dass er den Befehl seines Gebieters immer wieder erfüllt. Es gelingt ihm, beim Stehlen nicht erwischt zu werden.

Allerdings begnügt er sich damit, nicht alles, was sich ihm darbietet, erhaschen zu wollen, sondern nur das, was gefahrlos zu haben möglich ist. Er hat im Blick, wie sich sein von Gier getriebener Gebieter verhält. Er warnt ihn sogar – erst sanft, dann direkt.  Gleichzeitig will er sich von dem lästigen Nimmersatt und Befehlshaber befreien. Das gelingt ihm auch – doch wie kommt er auf die zum Erfolg führende Lösung?

Er weiß genau, dass der Wolf nur eines kennt: alles, was er sich einverleiben kann, will er sofort und vollständig haben. Genau das wird ihm zum Verhängnis. Der Fuchs besiegt ihn schließlich, weil er diese Dynamik gegen den Wolf wirken lässt. Warum das gelingt, liegt im Wesen der Gier, die der schlaue Fuchs kennt.

Frau mit Wolfskopf.

Die Auswirkungen der Gier

Die Gier macht süchtig nach mehr, sie macht nimmersatt, ist herrschsüchtig, wenn sie sich ungebremst austoben kann. Der von der Gier Besessene wird Opfer seiner eigenen Triebhaftigkeit. Er braucht den gewieften Fuchs, um dieses unstillbare Verlangen zu befriedigen. Er ist von beiden abhängig. Seine Gier hat ihn fest im Griff, er ist ihr Gefangener. Im Märchen entkommt er dem Keller nicht – wie symbolträchtig! Der Keller, das Unbewusste …

Gier macht blind, einseitig und abhängig. Wie ein innerer Antreiber wird die „Lust auf mehr“ zum Motor des Lebens. Geist und Körper sind auf der ständigen Suche nach diesem Habenwollen, Dauerstress vorprogrammiert! Nimmersatt auf der ganzen Linie. Von Reflektieren, Innehalten, Nachspüren und -denken nicht die Spur! Mitgefühl? Fehlanzeige! Narzisstische Egomanie lässt grüßen….

Der Gier den Laufpass geben

Die Gier ist in unseren modernen Zeiten mehr denn je eine Falle. Wir sind einerseits umgeben von den Verlockungen der Konsumanreize, andererseits von realen oder vermeintlichen Bedrohungen, die Angst erzeugen – eine Mischung mit der Sprengkraft, uns aus der Balance zu bringen.

Gier und Geiz sind etymologisch miteinander verwandt. Hinter beiden steckt die Angst, im Leben zu kurz zu kommen, kein Ansehen zu haben, nicht richtig anerkannt zu werden. Die Gier will immer mehr, der Geiz gibt nicht her.

Sich dessen bewusst zu werden, ist schon der Weg heraus aus den Zugriffen von außen, die sich im Innen mit der Gier verbünden. Gleichmut, tiefes Durchatmen und Innehalten sind gefragt! Gier ade, ich verabschiede dich!

Ein bisschen Selbstbeobachtung mit dem Abstand des Adlerblicks hilft, sich selbst auf die Schliche zu kommen. Dann kann der Verstand seine eigentliche Rolle wahrnehmen: anschauen, abwägen – und erst dann handeln. So holt er auch die Intuition mit ins eigene Boot – und den Humor. Tiefenentspannung garantiert!

Fotos: Adobe Stock, Unsplash / Enrique Ibarra, Philipp Pilz 

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