Pop Art Darstellung von Albert Einstein mit herausgestreckter Zunge

Das Schulsystem der Zukunft

Tragen die heutigen Schulsysteme den Erkenntnissen der Lernpsychologie Rechnung? Unser Autor schlägt etwas vor, das die Entwicklung des Menschen revolutionieren könnten: die MetaSchule.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Den Unterschied zwischen belehren und lernen
  • Wie sich der menschliche Geist entwickelt
  • Wie ein Schulsystem der Zukunft aussehen könnte

Text Giò von Beust

Gio von Beust

Giò von Beust ist Visionär, Künstler und Aktivist. Als Banker, Volljurist und Berater schöpft er aus der Berufs- und Lebenserfahrung als Autor, Übersetzer, Unternehmer, Buchverleger und Welt­reisender; sein Denken kreist um die Frage, „was die Welt im Innersten zusammenhält“.

Es gibt eine schöne Anekdote über Albert Einstein und seine Laufbahn als Schüler. Anders als oftmals kolportiert war er ein sehr guter Schüler, allerdings nur in Fächern, die ihn interessierten, also in Mathematik und Physik, aber auch in Geschichte.

Interessanter ist aber, dass Einstein, als er 1894 München Richtung Mailand ohne Schulabschluss verließ, schon länger nicht mehr in das Luitpoldgymnasium in der Müllerstraße ging, sondern zu Hause im Rückgebäude der Adlzreiterstraße 12, unweit vom Goetheplatz, unterrichtet wurde. Was dem Umstand geschuldet war, dass seine Lehrer ihn schlichtweg nicht mehr unterrichten wollten und ihm voraussagten, „es werde nie in seinem Leben etwas Rechtes aus ihm werden“.

Klein-Albert war unerzogen, renitent, schon in der Volksschule. In der Peterschule am Sendlinger Tor waren auch körperliche Züchtigungen nicht selten. Er beschreibt den Unterricht dort später einmal mit den Worten: „Ich ließ lieber jede Sorte von Bestrafungen über mich ergehen, als dass ich etwas auswendig herunterplappern lernte.“

Ein Schulsystem wie im 19. Jahrhundert

Heute, 120 Jahre später, ruht das Schul- und Bildungssystem auf denselben Fundamenten: auswendig statt denken lernen, wissen statt verstehen. Die Methoden der Beschulung sind zwar verfeinert worden, doch die Grundannahme, dass der Geist des jungen Menschen mit vorab ausgewähltem, segmentierten, aus dem Zusammenhang gerissenen und abstrahierten „Lehrstoff“ befüllt werden müsse, damit dieser „lebens- und gesellschaftstauglich“ werde, hat sich nicht geändert.

Klein-Albert hatte Glück, dass ihm seine Eltern Privatunterricht geben konnten und schließlich aus München weg- und ihn dem deutschen Schulsystem entzogen. Heute wäre er wohl in der Sonderschule gelandet oder man hätte ihn mit Ritalin gefügig gemacht und notfalls per Polizei in die Schule geschleppt – und es wäre nichts geworden mit der Relativitätstheorie und anderen genialen Entdeckungen.

Albert Einstein hatte auch das Glück, dass seine Genialität mit einem widerborstigen, unbeugsamen Charakter gepaart war, dem Bestrafungen und eine uninteressante Beschulung nichts anhaben konnten.

  • Demotiviertes Kind streckt die Zunge raus
  • 6 Geburtstagskerzen von denen 2 Brennen und 4 bereits ausgegangen sind

Verschleuderte Genialität

Die meisten Genies bringen heute diese Voraussetzungen nicht mit, und selbst wenn, wird ihnen ihre Genialität systematisch in Kinderkrippe, Kindergarten und Schule ausgetrieben. Wenn 100 von 100 Kindern im Alter von 3 Jahren Genies sind – so sieht es die Gehirnforschung –, so sind es nur noch zwei von hundert, sobald sie das Schulsystem durchlaufen haben.

Neurologen stimmen heute darin überein, dass alle normal entwickelten Kleinkinder höchst intelligent sind und die Gehirne von Genies im Kopfe haben. Diese Gehirne sind von unglaublicher Plastizität, und 3-jährige haben mehr als doppelt so viele Synapsen oder neuronale Verknüpfungen wie Erwachsene.

So können sie ganz unterschiedliche Verhaltensweisen, Sprachen, Lebensstile sehr schnell erlernen. Ihr Gehirn reagiert auf jede Stimulation mit der Bildung neuer Synapsen. Sie probieren alles aus und erkunden ihre Umwelt aktiv. Sie lernen, weil der Mensch eine Lernmaschine ist, und sie möchten verstehen, wie alles funktioniert und lösen Problemstellungen am liebsten „selber alleine“. Kleinkinder müssen und können nicht belehrt werden, sie sind auf selbsttätiges Lernen hin angelegt.

Use it or loose it!

Hinzu kommt, dass sich nur in den Jahren zwischen drei und sechs mehrere Entwicklungsfenster auftun, die z.B. entscheidenden Einfluss auf die Integration von Emotion und Intellekt haben oder die Kommunikation zwischen den Gehirnhälften aufbauen. Entwicklungsschritte, die später nur schwer nachholen sind.

Nicht anders verhält es sich mit älteren Kindern, denn die Plastizität der Gehirne nimmt erst mit etwa zehn Jahren rapide ab, allerdings nur, wenn die vorhandenen Potenziale nicht genutzt werden, denn das Gehirn arbeitet nach dem Motto: Use it or lose it, also: Verwende es oder verliere es.

Diesen Erkenntnissen wird in den Schulsystemen der westlichen Länder, die unter dem Leistungsdiktat der PISA-Studien stehen, in keinster Weise Rechnung getragen.

Die Schulpflicht: ein Anachronismus aus der Nazizeit

Vor allem im deutschen Schulpflichtland ist die Schule ein Ort des Leidens geworden, für Schüler, Lehrer und Eltern gleichermaßen. Die Schule ist heute ein Ort der Ineffektivität. In der Schule wird nichts mehr gelernt, was die Schüler interessiert. In der Schule wird, sofern die Stunden nicht ohnehin ausfallen, nichts gelehrt, was draußen im Leben, weder in der zukünftigen Berufswelt oder Universität noch privat, sinnvoll und nützlich ist.

Es wird nichts gelehrt, was für die menschliche Interaktion wichtig ist, was für die persönliche Entwicklung auf physischer und psychischer Ebene entscheidend ist. Vor allem wird nichts gelehrt, was Spaß macht und den persönlichen Interessen, Neigungen und Begabungen Rechnung trägt.

Angesicht der sich rasch wandelnden, immer unsicherer und unübersichtlicher werdenden Lebenswelten ist deshalb ein radikales Umdenken erforderlich.

Mit diesem Umdenken muss zunächst und vor allem eine andere Sicht auf die Kindheit und menschliche Entwicklung einhergehen. Tatsächlich müssen wir grundsätzlich überdenken, wie menschliches Leben überhaupt gestaltet werden sollte.

Eine neue Sicht auf „das Kind“

Das neugeborene Kind ist nicht etwa ein leeres Gefäß, das von den Erwachsenen mit Lebenswissen abgefüllt werden muss, damit es existieren kann. Der neugeborene Mensch bringt nicht nur ein ungemein funktionsfähiges Gehirn mit auf die Welt, sondern er verfügt bereits über alles Wissen, das er zum Überleben und für das Leben braucht.

Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass der wundersame Prozess, der mit dem Verschmelzen von Ei und Spermium beginnt und bei der Geburt ein komplettes Wesen hergestellt hat, nun plötzlich abbricht – und von den Erwachsenen geführt und gestaltet werden müsse. Das geborene Wesen bringt mit sich nicht nur eine Körperlichkeit in die Welt, sondern auch eine geistige, psychische Dimension, die sich in seinem Leben entfalten will.

In diesen fein abgestimmten, weisen, natürlichen, mit der Körperlichkeit und allen Anlagen korrelierenden Entfaltungsprozess, muss nicht, ja darf nicht, eingegriffen werden. Alles, was es braucht, ist ein Umfeld, in dem sich das junge Menschenwesen gemäß seiner Natur entwickeln kann.

Und wir beginnen erst jetzt zu erkennen, dass diese Natur mit ganz speziellen Eigenschaften der Wirklichkeitserfassung ausgestattet ist. Und dass der Mensch in vielerlei Hinsicht ein Mischwesen ist, dass sich sein Geist, seine Psyche und sein Bewusstsein aus einer Vielzahl von Quellen, sowohl physisch-natürlichen als auch kollektiv-archetypischen und kulturellen Ursprungs speist.

Eine transhumane Zivilisation

Kurz gesagt, es stellt sich heraus, dass das menschliche Bewusstsein womöglich tatsächlich der einzige „Meta“-Faktor ist, der das Menschenwesen zusammenhält.

Unsere Vorstellungen, was richtig und gut für ein Menschenleben und insbesondere für heranwachsende Menschenwesen ist, sind zum allergrößten Teil aus kulturellen Prägungen entstanden. Sie erfassen bestenfalls holzschnittartig die komplexen menschlichen Selbstentfaltungsvorgänge und sind zudem oftmals überlagert, von kulturellen Konditionierungen und von absurden religiös-transzendenten Ideen.

Je weiter wir uns von den natürlichen – wie sich heute in der Rückschau herausstellt – weisen Lebensweisen entfernt haben, welche die wenigen indigenen Völkern heute noch verzweifelt versuchen, aufrecht zu erhalten, desto unterdrückerischer, lebensfeindlicher, verrückter und mörderischer hat sich die menschenfeindliche und heute transhumane Zivilisation auf unserem Planeten breitgemacht.

Das elitistische Vorstellungsgebäude

Die sogenannten Hochkulturen der Geschichte wurden auf der Grundlage von Angst, Gehorsam, Stress, Verschuldung und Unterordnung errichtet. Sie beruhen auf einem elitistischen Vorstellungsgebäude, das von materialistischen, rationalistischen, mechanistischen, patriarchalen Säulen getragen wird, welches bis heute unsere Welt prägt und insbesondere ein lebensfeindliches Schul- und Bildungswesen stützt.

In diesem Weltbild haben Lernziele wie Empathie, Potenzialentfaltung oder das Erspüren dessen, was das eigene Menschsein ausmacht, keinen Platz.

Es gilt also, Bildung und Schule neu zu denken, auf eine Grundlage zu stellen, die der Selbstentwicklung des jungen Menschenwesens Raum gibt.

Bunte Schulspinde

Die MetaSchule

Das Leben selbst ist die Mutter aller Schulen. Wir benötigen ein Bildungswesen, das offen, frei, nicht-lokal, allgegenwärtig, eingebettet, transgenerational ist. Eine Schule, die kreatives Denken, vernetztes und wildes Denken fördert. Eine MetaSchule, in der all das gelernt werden kann, was das eigene Leben gelingen lässt und die Verbindung zum Ganzen aufrechterhält.

Menschliches Lernen ist situativ und ein fortdauernder Prozess. Es wird von Emotionen und Begeisterung angetrieben. Daher bedarf es einer Schule, die an keine Stundenpläne gebunden ist, die in keinem bestimmten Gebäude verortet ist, die keine Klassenräume, Jahrgänge und Stundenpläne kennt, die überall ist, in der „am Leben“ gelernt wird, in der „Lernen zu leben“ im Mittelpunkt steht.

Die MetaSchule ist keine Institution mehr, vielmehr organisiert sie Lernen, indem sie ermöglicht „am Objekt“, in Lebenszusammenhängen zu lernen, Neigungen und Interessen (nicht nur Begabungen) nachzugehen und in allen Lebensfeldern, statt in „Fächern“ zu lernen, was erfüllend und bereichernd ist, und was ein – und insbesondere das eigene – Leben gelingen lässt.

In der MetaSchule wird gekocht, genäht, gepflanzt, gedacht, gesponnen, getanzt, gemalt, musiziert, gespielt, geschraubt, geklebt, gebaut, getüftelt, computerisiert, erfunden, geträumt, geturnt, gelesen, gerechnet, gezeichnet, gesammelt, kombiniert, gelacht, umarmt …

Zerbrochene Glühbirne deren Sockel wie ein Bleistift aussieht

Leben in der MetaSchule

Die MetaSchule schafft praktische Verbindungen, stellt Beziehungen her zum Leben, d.h. zu Situationen, in denen Menschen leben, lieben und arbeiten, zur natürlichen Umwelt, der sie entstammen und die sie eingebettet sind. Sie öffnet den Zugang zu den Dimensionen des Bewusstseins, über die Menschen ihr Sein erleben, erörtert die grundlegenden Bedürfnisse des Menschen, die Physiologie des menschlichen Körpers, die gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Organisationsformen, in denen sich Menschen bewegen und kommunizieren, kurz: Sie macht mit allen oder möglichst vielen Bedingungen des menschlichen Seins auf diesem Planeten bekannt.

In der MetaSchule findet Lernen auf Grundlage aktuellster Erkenntnisse der Hirnforschung, der Lernpsychologie und Didaktik statt; und es wird der Ansatz verfolgt und vertieft, dass es genügt, der selbstgesteuerten Wissbegier von Jungmenschen einfach Raum zu geben.

Die MetaSchule organisiert sich auch virtuell als Marktplatz, auf dem sich Lernfeld-Suchende und Lernfeld-Anbieter finden.

Die eigene Lebensvision entwickeln

In der MetaSchule lernen die Schüler zuallererst, eine eigene Lebensvision zu entwickeln, um dann das zu lernen, was der Verwirklichung dieser Vision zuträglich ist.

Die Schüler der Metaschule nutzen alle vorhandenen Bildungsangebote: selbstbestimmt, interessengeleitet, ergebnisoffen, prüfungsunabhängig, dauerunbestimmt.

Das Konzept „Schule“ wie es heute existiert, erweist sich im Anthropozän, in der „Epoche der menschengemachten Welt“, als überholt und in vergangenen Jahrhunderten verortet. Diese Schule stiehlt ihren Insassen wichtige Lern- und Lebenszeit.

Die Menschheit glaubt die Herrschaft über die Lebenswelt auf unserem Planeten an sich gerissen zu haben, es ist jedoch eher so, dass sie dabei ist, die ökologische Nische zu zerstören, in der sie auf dem Planeten lebt.

Der Generation der jetzt Geborenen muss daher die Erfahrung und Erfühlung der aller Aspekte der eigenen Existenz ermöglicht werden – und zwar unter den Vorzeichen einer radikalen Empathie für alle Mitmenschen und Mitwesen. Dies kann nur im Rahmen eines smarten, schlanken, offenen, vielseitigen und zukunftsorientierten Bildungssystems gelingen.

Geschieht dies nicht, wird das Anthropozän zugleich den Untergang der menschlichen Spezies einläuten.

Fotos: iStock, Unsplash / Moren Hsu, Hunter Johnson, Bakhrom Tursunov

 

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