Sonne scheint durch die Mitte eines Kleeblatts

SEHNSUCHT UND HOFFNUNG – REFLEXIONEN ZU KRISENZEITEN

Wir sehnen uns nach Frieden, nach einer besseren Welt, nach Liebe – etwa sinnlos und vergebens? Oder anders gefragt: Wie können wir nicht nur hoffen, sondern auch erreichen, was wir uns wünschen?

Hier erfahren Sie mehr über

  • Hoffnung
  • Die Sehnsucht nach Geborgenheit
  • Mystische Erfahrung

Text Barbara Strohschein

Schwarz-Weiß-Bild von Dr. Barbara Strohschein.

Dr. Barbara Strohschein ist Philosophin und Expertin für Wertefragen. Sie ist in Forschung und Beratung tätig. Warum wir Anerkennung brauchen und wie wir mit Kränkungen umgehen können – das sind ihre Hauptthemen.

Jeder von uns kennt es: Etwas oder jemand ist nicht da und wird ersehnt. Wir hoffen auf etwas, was kommen soll. In diesen Krisenzeiten ist die Sehnsucht nach Frieden und die Hoffnung auf bessere Zeiten größer als je zuvor, wie auch die Angst, dass Sehnen und Hoffen nichts mehr nützt. Und dazu gesellt sich die Hoffnungslosigkeit, etwas ändern zu können.

Zweifellos ist Desillusionierung naheliegend: Es gibt es viele Fakten, auf die ein Einzelner keinen Einfluss hat: auf die weltpolitische Lage, auf den Ukraine-Krieg, auf den Niedergang der deutschen Industrie, auf das Klima. Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen.

Warum wir uns nach etwas sehnen

Ist Sehnen und Hoffen immer mit einem vergeblichen Versuch verbunden, dem schlechten Hier und Jetzt zu entrinnen?

Vielleicht gibt es einen anderen Weg mit dieser Frage umzugehen, nämlich diesen: Welche Kraft gibt die Sehnsucht oder die Hoffnung – beides mentale und seelische Haltungen, die durchaus mit positiven Gefühlen verbunden sein können.

Wir wissen: Sehnsucht ist eine Sucht, die jeder Mensch kennt. In ihr liegt das innere Drängen, dass das, was fehlt, sich eines Tages erfüllt. 

Abgesehen davon, dass Sehnsucht und Hoffnung immer einer Mangelerfahrung entspringen, unterscheiden sie sich. Wer sich sehnt, hat ein Bild von Vervollkommnung in sich. Die vollkommene Liebe, der nie endende Frieden, das Einssein mit allen und allem. Dieser Wunsch nach Vollkommenheit ist nicht verwunderlich, denn niemand ist vollkommen, und alles im Leben ist fragmentarisch.

Doch das vermeintlich Unvollkommene oder Mangelhafte hat nicht nur Schattenseiten.

Die Sehnsucht lässt fühlen und das Hoffen schafft einen Raum, auf dem die Ideen für eine andere Zukunft wachsen.

Mensch mit hängendem Kopf auf Gleisen

Das Sehnen und Hoffen aus philosophischer Sicht

Wer sehnsüchtig ist, scheint eher zu leiden, als erfreut zu sein. Wer sich in der Liebe nach jemanden sehnt, kennt das Gefühl von Schmerz und Glück. Denn immerhin gibt es jemanden, auf den sich das Sehnen bezieht. Das gilt auch für die Sehnsucht nach Einheit und Einssein in einem religiösen Sinn.

Das Hoffen wiederum richtet sich nicht nur auf einen Menschen, sondern auf alle Aspekte des Lebens. Und obgleich Hoffen enttäuscht werden kann, wie Nietzsche es betont, kann es zum Antrieb werden, wenn wir weiterdenken. Und dazu können wir den Philosophen Ernst Bloch zu Rate ziehen.

Bloch besteht darauf, dass wir das richtige Hoffen lernen können. Und das heißt: die Realität auf ihre Möglichkeiten hin zu überprüfen, ob und wie das Gehoffte auf den Boden eben dieser Realität gebracht werden kann.

Hoffnung bringt mehr Energie

Das Hoffen ist eine Triebkraft, welche die Energie liefert, die schmerzliche Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit aufzuheben durch Phantasie und Tatkraft. Durch Phantasie, sprich ein lebendiges Vorstellungsvermögen: Wie soll das Leben sein, das ich mir wünsche? Und durch Tatkraft, sprich Tätigsein: Was kann ich tun, um mein erhofftes Ziel zu erreichen?

Zum Beispiel: Wer sich einen interessanteren Beruf wünscht, kann viel dafür tun, um diesen Wunsch umzusetzen: Sich prüfen, welche Arbeit Freude macht und welche nicht; sich fragen, was man zu leisten fähig ist und was nicht. Weiterbildung und Stellenanzeigen studieren, in Kontakt mit möglichen Kooperationspartnern gehen. Jemand, der hoffnungslos ist, würde sich diese Mühe gar nicht machen, aufgrund der Annahme, die Mühe lohne sich nicht.

Hoffnung jedoch beflügelt dazu, aufzubrechen und macht einen Menschen mutig und kreativ. Allerdings nur dann, wenn die Hoffnung auf ihren möglichen Realitätsgehalt überprüft wird und nicht zu einer Illusion ohne Grund und Boden ausartet.

Das Sehnen ist weit mehr mit einem individuellen Empfinden verbunden als das Hoffen. Hoffnung kann den Zeitgeist bestimmen, Sehnsucht nicht, weil es beim Einzelnen bleibt.

Wenn ein ganzes Land aufhört zu hoffen, dann entsteht eine kollektive Depression, die es faktisch erschwert oder unmöglich macht, irgendwo anders hin als in den Pessimismus aufzubrechen.

"Hope" in Leuchtschrift

Die seelischen Aspekte der Sehnsucht und des Hoffens

Der Mangel kann einen Menschen motivieren, etwas in seinem Leben zu ändern. Gilt das auch für die Sehnsucht? Interessanterweise nicht. Der Sehnsüchtige, dem etwas fehlt, verhält sich anders als der Hoffende. Warum? Dazu betrachten wir jetzt das Thema aus psychologischer Sicht. Das Sehnen ist ein Gefühl, das bei sich bleibt und nicht durch eine Aktion nach außen tritt, wie schon angedeutet.

Das heißt, die Sehnsucht löst nicht die gleiche Antriebskraft aus wie das Hoffen. Das Ersehnte, etwa Liebe, Glück und Gesundheit, kann nicht erzwungen werden. Wir können auf Teufel komm raus eben nicht erkämpfen, dass die geliebte Person uns liebt. Wir können Gesundheit nicht erzwingen; selbst dann, wenn eine Krankheit offensichtlich notwendig ist, dass ein Mensch über sich etwas lernt und etwas in sich und in seinem Leben ändert. Auch das Glück ist nicht durch Handeln allein zu verwirklichen, wie ebenso wenig Frieden in einem selbst, im eigenen Umfeld und in der Welt.

Nüchterne Fakten

Es ist viel mehr dazu nötig als nur ein Gefühl. Zum Beispiel die Fähigkeit, sich nüchtern mit den Fakten zu befassen, den Konflikten nicht auszuweichen, phantasievoll zu sein und sich Möglichkeiten des Handelns auszudenken. Aber auch darin, zu vertrauen, eine Krise als eine Chance und eine Herausforderung zu akzeptieren. Dazu gehört auch, zu begreifen, dass wir nicht alles in der Hand haben.
Die Leistungsgesellschaft aber erwartet und verlangt genau dies von jeder und jedem: zu funktionieren und fast technologisch alle Probleme lösen zu können. Und da sehr viele Frauen und Männer, wie leider auch mittlerweile Kinder und Jugendliche, diese Anforderungen klaglos und unkritisch verinnerlicht haben, fällt der Umgang mit dem Sehnen und dem Aushalten der unerfüllten Wünsche schwer. Man sieht sich dann als Versager, wenn nicht alles gelingt im Leben.

 

Zwei Menschen umarmen sich

Selbstwirksamkeit und Aushalten-Müssen

Da die Sehnsucht nicht durch Handeln allein zu beenden ist, fehlt auch die Befriedigung, durch das eigene Tun etwas zum Glück selbst beigetragen zu haben. So ist die Sehnsucht mit einem Aushalten-Müssen verbunden, wie auch mit der möglichen Aussichtslosigkeit, das Ersehnte zu bekommen. Dieser merkwürdige Tatbestand hat damit zu tun, das Hoffen und Sehnen unterschiedliche Hintergründe und Bezugsfelder haben:

Das Hoffen beruft sich grundsätzlich und immer wieder neu auf einer Möglichkeit und bezieht sich auf das konkrete Leben.

Die Sehnsucht entspringt einem Vollkommenheitsbild, einer Vorstellung von einem Idealzustand und bezieht sich auf einen Zustand, der nicht dauerhaft ist.  Denn sobald der ersehnte Idealzustand, wenn auch nur kurzfristig, erreicht ist, hört das Sehnen sofort auf. Das einst erstrebte Ziel ist dann nicht mehr wichtig.

In unserer Vorstellungswelt hingegen können wir dann etwas bewegen, wenn wir uns bewusst dafür entscheiden, unsere Idealbilder, auch die vielleicht illusionären, zu überprüfen und womöglich zu ändern oder aufzugeben.

Aus diesem Grund gibt es vielleicht heute immer mehr Menschen, die es gar nicht mehr wagen, sich nach etwas zu sehnen und auf etwas zu hoffen. Diese Sehnsuchts- und Hoffnungsverweigerer sind vor allem jene Menschen, die einem Perfektionsideal von sich und dem Leben erliegen und oft enttäuscht worden sind.

Aber auch das ist wieder nur die eine Seite der Medaille. Denn Sehnsucht kann mit einem süß-bitteren Gefühl verbunden sein. Dieses Gefühl zeigt nämlich an, dass wir fühlende Wesen sind und nicht abgestumpfte Sozialautomaten, die vor lauter Angst, mit dem Mangel nicht fertig zu werden, sich keine Gefühle mehr erlauben. Wer sich sehnt, ist lebendig und fühlt, dass irgendetwas oder jemand wertvoll ist.
Das Hoffen schafft Licht in die Zukunft für die, die zu hoffen verstehen.

Was die Sehnsucht von der Hoffnung unterscheidet

Erforschen wir also weiter die Facetten der Sehnsucht und der Hoffnung. Die Sehnsucht erinnert daran, dass wir einmal mit etwas eins gewesen sind. Im Einssein gibt es keine Gegensätze, die wehtun. Ein Kind ist vor der Geburt mit der Mutter eins. Und erst mit dem Geborenwerden erlebt es den Schock des Abgekoppelt- und In-der-Welt-Seins.

Doch das ist nicht die einzige Art der Trennung, die dann stattfindet. Diese Einheit hört nach dem Geborenwerden und vor allem mit dem beginnenden Selbst-Bewusstsein auf. Das Ich erlebt sich in der Unterscheidung von anderen und von der Welt als abgetrennt. Sehr viele Menschen empfinden dieses Abgetrenntsein als sehr schmerzlich, ohne die Ursache ihres Schmerzes zu erkennen.

Die selbstverständliche Annahme dieses Abgetrenntseins spiegelt sich bis heute auch in einer materialistischen, wissenschaftlichen Weltvorstellung wider, sieht man von der Quantenphysik und der Parapsychologie einmal ab. In der Medizin, aber auch in der Psychologie, in den Natur- und Sozialwissenschaften wird der Mensch als isoliertes Einzelwesen interpretiert, als ein Objekt der Untersuchung, als eine Maschine, die zerlegt, behandelt und repariert werden kann.

Von dieser Ansicht weiche ich hier jedoch ab. Nicht zuletzt deshalb, weil ich sicher davon ausgehen kann, dass Maschinen weder Sehnsucht noch Hoffnung kennen – eine Antriebskraft für den Widerstands gegen das schrecklich unvollkommene Leben.

Blauer Stein mit Schrift "Hope"

Vom Tagtraum zur Weiterentwicklung

Das Hoffen ist ein bewusster Akt, mit vorbewussten Tagträumen. Sie sind der Stoff, aus dem die Menschheit ihre Kultur gestaltet hat. Und zwar mit der Fähigkeit, sich etwas vorzustellen, was es noch nicht oder so noch nicht gibt.

Mit diesem Schritt sind zwei Stufen zu bewältigen: die Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit und die Weiterentwicklung des Wirklichen durch das Mögliche. Und auf diese Stufe hat die Tat zu folgen: ein Denken und Handeln, durch das eine konkrete Situation hoffnungsgetragen verändert wird.

Die Sehnsucht wie auch das Hoffen ermöglichen es uns, uns weiterzuentwickeln.

Die Sehnsucht ist ein seelischer Vorgang, der uns den unerlösten Teil unserer Seele bewusst macht und uns an die Einheit, die verloren gegangen ist, erinnert.

Das Hoffen, auf das die Enttäuschung wie die Erfüllung folgen kann, ist mit einer Experimentierfreude verbunden.

Mystische Aspekte der Sehnsucht – die Sehnsucht nach dem Einssein

Dieser Zustand des Sich-eins-Fühlens, auf welche das Sehnen zielt, das sich nicht nur in einer Verliebtheit spiegelt, ist ein Charakteristikum einer mystischen Erfahrung.  „Mystisch“ bedeutet „dunkel“, „geheimnisvoll“, „nicht erklärbar“, „sich den Worten entziehend“. Das ist ein Erlebnis, das nicht einfach per Willen herbeigeführt werden kann.

Solche Einheitserfahrungen haben die Mystiker wie Hildegard von Bingen und Jakob Böhme, aber auch Philosophen wie Ludwig Wittgenstein und Theodor Adorno erlebt. Sie versuchten dann, dieses Erlebnis zum Ausdruck zu bringen oder bestanden darauf, dass man nur darüber schweigen könne.

Weil es so schwer oder gar unmöglich ist, diese ungeheure Erfahrung in Bilder und Worte zu bringen, wissen wir letztlich nicht genau, wie diese Einheitserfahrung erlebt wird oder erlebt wurde.

Herz im Licht

In ihr wohnt ja selbst ein Widerspruch: Diejenigen, die diese mystischen Erfahrungen machen, sind denkende, bewusste und fühlende Subjekte, deren Denken, Bewusstheit und Fühlen sich im Moment der mystischen Erfahrung radikal verändert.

Diese Denk-, Bewusstseins- und Fühlweisen lösen sich in der Einheitserfahrung auf. Sie finden sich jedoch auf einer anderen Ebene wieder, weil das Bewusstsein nicht verloren geht. Es schafft vielmehr die Voraussetzung dafür, dass sich die Mystiker erinnern können und wissen, was sie erlebt haben. Ein mystisches Erlebnis vergeht und kann nicht erzwungen werden, ist nicht voraussehbar und steuerbar. Es verändert nachhaltig den Menschen, der es erlebt.

Dieses Erlebnis hat keine Muster, ist höchst subjektiv, nicht vermittelbar und nicht erklärbar. So bleiben spannende Fragen: Hört nun die Sehnsucht nach der Einheit bei jenen auf, die ein mystisches Erlebnis hatten? Und spielt die mystische Erfahrung, die Einheitserfahrung eine Rolle für Gesundheit, Glück und Liebe?

Menschen, die sie erlebt haben, müssen nicht glauben, dass es die Möglichkeit des Einswerdens gibt. Sie wissen es, weil sie es erlebt haben.

Diese Erfahrung beendet zwar nicht die Sehnsucht, aber sie kann dazu beitragen, dass Vertrauen, Akzeptanz des Lebens mit seinen Aufs und Abs entsteht. Die Erfahrung, das durch das Hoffen sich etwas im Leben verändert, bestätigt, wie die Vorstellungs- und Tatkraft eines Menschen wirken kann.

Ein hoffnungsvoller oder sehnsüchtiger Mensch, der solche Erfahrungen macht, ist nicht unbedingt deshalb gesünder und glücklicher. Aber solche Menschen können kreativer mit den Wechselfällen des Lebens umgehen, weshalb diese ihnen weniger anhaben können.

Hoffnung und Sehnsucht führen – ungewollt – zu innerer Stärke.

Fotos: iStock, Unsplash / Gabriel E, Nick Fewings, Priscilla du Preez, Ron Smith

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