Wearable Art

SINNTERVIEW MIT ROGER DIEDEREN: IST MODE KUNST?

Kann Kunst Mode sein? Und was ist ihre Bedeutung für uns? Eine Ausstellung diskutiert diese Fragen mit den Couture-Kreationen der Modeschöpfer Viktor&Rolf — unser Autor befragte den Leiter der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung in München.

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Interview Hans Christian Meiser

Roger Diederen

Roger Diederen, geb. in Heerlen (Niederlande), promovierte an der Universität von Amsterdam in Kunstgeschichte und arbeitete an vielen renommierten Museen in Amerika. Seit 2013 ist er Direktor der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung.

Roger Diederen, als Leiter der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung zeigten Sie dem Münchner Publikum nicht nur grandiose Werke vieler bildender Künstler, sondern auch von Menschen, die in der Mode beheimatet sind, wie die Werke der Modeschöpfer Jean-Paul Gaultier und Thierry Mugler, den Modefotografen Peter Lindbergh und jetzt (bis 6.10.2024) das niederländische Duo Viktor&Rolf, die mit ihren oftmals fast schon surrealen Kreationen die Welt immer wieder zum (positiven) Staunen bringen. Wie stellt sich für Sie das Verhältnis Mode – Kunst dar?

Nachdem ich die Leitung der Kunsthalle übernommen habe, habe ich ganz bewusst Mode in das Ausstellungsprogramm aufgenommen. Bei Viktor&Rolf ist die enge Verbindung zwischen Mode und Kunst überdeutlich. Sie haben eine sehr konzeptuelle Auffassung von Mode. Die beiden gehen von einem grundlegenden Thema für eine Modenschau aus und entwickeln daraus dann ihre Kollektion.

Immer wieder findet man Referenzen zur bildenden Kunst, beispielsweise zur Malerei, zur Skulptur oder zu Strömungen wie der Kubismus. Daraus generiert sich nicht zuletzt auch das Statement, dass Mode Kunst ist. Häufig entzieht sich ihr Schaffen durch dieses grundlegende Denken dem Schnelllebigen oder dem Trend, der sonst so untrennbar mit der Modewelt verbunden ist. Vielmehr entfaltet sich eine zeitlose und grundlegende Reflexion über Mode, aber auch über unsere Gegenwart und Gesellschaft im Allgemeinen. Daher sind die Kreationen von Viktor&Rolf ideal für die Präsentation im musealen Kontext geeignet.

Es geht hier auch nicht um die Frage, ob man das tragen kann oder möchte, genau wie ich nicht jedes gute Gemälde über mein Sofa hängen würde. Wichtiger ist, wie stark die Aussagekraft eines Kunstwerks oder eine Couture-Kreation ist und welche Erfahrungen man damit sammeln kann.

Viktor&Rolf

Gerade bei Viktor&Rolf vermischen sich höchste handwerkliche Kunst mit besten Materialien und einer schier nicht enden wollenden Kreativität. Um damit aber weltberühmt zu werden, braucht es noch mehr, z.B. andere Künstlerinnen wie Madonna und Lady Gaga, welche die Kreationen präsentieren, oder berühmte Fotografen, die aus den Vorlagen wieder eigene Kunstwerke schaffen. Empfinden Sie das, was Sie in der Ausstellung zeigen, als Einheit der Gegensätze oder als sich einander bedingende Facetten ein und desselben Genres?

Für uns als Rezipienten geht das in der Ausstellung sicherlich Hand in Hand. Viktor&Rolf betrachten ihre Kreationen jedoch als autonome Werke. Sie denken bei ihren Entwürfen kaum über einen Träger oder eine Trägerin nach. Im Gegensatz zu anderen Designern bezahlen sie auch keine Stars, damit diese in ihren Gewändern über einen roten Teppich schreiten. Das heißt, wenn sie ihre Kollektion in Paris präsentiert haben, ist das Werk für sie abgeschlossen.

Natürlich sehen sie es als Zeichen der künstlerischen Anerkennung, wenn Größen wie Madonna oder Lady Gaga ihre Kleider tragen oder Fotograf:innen wie Cindy Sherman und Andreas Gursky ihre Mode zum zentralen Bildmotiv erklären. Aber im Prinzip ist für Viktor&Rolf das Wichtigste, mit ihren Modeschauen ihre Ideen zu visualisieren.

  • Mode und Kunst
  • Mode & Kunst

Beobachtet man das Publikum bei einer solchen Ausstellung, merkt man schnell, dass nahezu ein jeder sich speziell von den scheinbar „verrückten“ Werken angezogen zu fühlen scheint. Was macht die Attraktion solcher Ausstellungstücke aus?

Bei den wahren Fashionistas sind Viktor&Rolf natürlich schon längst Kult, aber ein breiteres Publikum weiß zu Beginn gar nicht, was sie erwartet, wenn es diese Ausstellung besucht. Umso so größer ist dann das Staunen, wenn man diese oft außergewöhnlichen Kreationen in unserer aufwendigen Inszenierung persönlich erfährt. Diese unglaubliche Handwerkskunst aus der Nähe und in aller Ruhe betrachten zu können, kann nur Begeisterung auslösen und ist in der Tat eine einmalige Gelegenheit, da die Kleider sonst in einem Archiv verwahrt werden.

Viktor&Rolf
Viktor&Rolf

Dienen Kunstausstellungen im Allgemeinen dazu, sich von den gezeigten Objekten in andere Welten führen zu lassen, die einem im „normalen“ Leben meist nicht begegnen? Oder anders gesagt: Dient Kunst generell dazu, unser Bewusstsein (ohne LSD) zu erweitern, ganz nach dem Motto von Salvador Dalí, der einmal sagte: „Nehmt mich, ich bin die Droge!“

Bei dieser Ausstellung wird man definitiv in andere Welten versetzt, da jeder Raum wieder ein eigenes Universum bietet und auch Musik und Duft eine wichtige Rolle spielen. Wobei es um mehr geht als bloß herkömmliche Schönheit zu bieten. Viktor&Rolf reflektieren die Bedeutung von Mode, die Modeindustrie, ihre eigene Position in diesem System, aber auch gesellschaftliche Fragen wie Diversität oder wirtschaftliche Umbrüche wie die Finanzkrise von 2009.

Es geht also auch darum, welche Botschaften die Kunst, die Mode und wir als Ausstellungsmacher vermitteln können. Wenn das zur Sucht führt und das Publikum immer wieder zurückkehrt, weil wir wieder den nächsten Kick bieten, bin ich gerne dabei.

I am not shy i just dpont like you

Ich frage Sie nun als den promovierten Kunsthistoriker, der Sie sind: Gibt es eine Grenze zwischen Leben und Kunst – in diesem Fall: zwischen Mode und Kunst – oder ist Kunst nur eine Kopie und/oder Weiterentwicklung dessen, was das Leben per se zu bieten hat?

Gute Kunst (Mode inklusive) ist im Idealfall eine Reflektions- und Projektionsfläche unseres Daseins. Wenn Kunst eine bloße Kopie des Lebens ist, dann ist sie schnell belanglos. Wenn Kunst Wiedererkennung bietet und zusätzlich neu Einsichten und Perspektiven eröffnet, dann erst wird es spannend und kann sie lange nachwirken.

Viktor&Rolf Mode

Viktor&Rolf studierten Mode an der Kunstakademie in Arnheim und nahmen 1994 in Paris zum ersten Mal an einer Kunstausstellung teil. Man kann also zurecht sagen, die beiden sind (im Vergleich zu anderen Modeschöpfern) eher Künstler als Vertreter der Haute Couture. Ist das auch der Grund, weshalb Sie in der Kunsthalle KEINE Modeschau mit Laufsteg und Modells präsentieren, sondern eher eine Werkschau?

Ob sie eher Künstler oder Modeschöpfer sind, weiß ich nicht. Sie wollen sich auch nicht festlegen und nennen sich ganz bewusst Fashion Artists – ein Begriff, der beides gezielt verbindet. Vielleicht ist diese Kategorisierung heutzutage auch wirklich nicht mehr sinnvoll. Welcher Künstler ist nur noch Maler oder nur noch Bildhauer? Es gibt auch nicht mehr das eine Kunstzentrum, wie Paris es im 19. oder New York im 20. Jahrhundert war. Heute passiert alles überall, auch im analogen wie im virtuellen Raum.

Viktor&Rolf Mode und Kunst

Kunst, aber auch Mode, ist ja immer ein Spiegelbild der Jetztzeit. Was sehen wir, wenn wir in diesen Spiegel blicken?

Viktor&Rolf bieten ganz gezielt den Zerrspiegel des Jahrmarkts, der Dinge auf den Kopf stellt, Proportionen aufbläst oder verkleinert. Erst muss man lachen, dann fragt man sich wie das sein kann oder ob das echt ist? Und wenn man dann noch länger hinschaut, kristallisieren sich Themen heraus, die die beiden beschäftigen und uns auch bekannt vorkommen. Wenn sie den absurden Druck beklagen, mehrere neue Kollektionen im Jahr liefern zu müssen, so können Angestellte sich wiederkennen, die sich ebenfalls einer kontinuierlich steigenden Erwartung der Vorgesetzten in Bezug auf die eigene Leistung ausgesetzt sieht.

Lady Gaga
Lady Gaga

Und wie kann uns die Kunst (und auch die Mode) dabei helfen, uns aus unserem Käfig zu befreien, in den wir uns täglich freiwillig begeben, um unser bürgerliches Dasein zu fristen und unser Auskommen zu haben?

Viktor&Rolf haben genau diesen ständigen Leistungsdruck immer wieder thematisiert, beispielsweise bei ihrer berühmten NO-Kollektion von 2008. Die Kreationen trugen ein „X“ oder den Schriftzug „NO“. Hier haben sie es geschafft, den inneren Widerstand gegen die hohen Erwartungen in etwas Positives zu wandeln. Auch die sensationelle „Zen-Garden“ Kollektion, mit der sie 2013 zurück in die Haute Couture gekehrt sind, hat die Konzentration, das Meditieren und Reflektieren als Ausgangspunkt als Gegenbewegung zur Schnelllebigkeit der Modewelt und dem Druck der kreativen Produktion.

Wenn wir Viktor&Rolf als Vorbild nähmen, was könnten wir von Ihnen lernen?

Genau diese letztgenannten Ansätze. Aber auch immer wieder eingefahrene Traditionen und starre Systeme zu hinterfragen und mal eine neue Perspektive einzunehmen.

Fotos: Kunsthalle München, Mariike Aerden, Inez & Vinoodh / VLM Studio, Bernhard Faber, Tom Munro, Philip Riches, Peter Stigter, Ellen von Unwerth

 

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