Fraktale

WIE DIE SEELE SICH ÄHNELT

Wir Menschen lassen uns von unseren individuellen psychischen Fraktalen beeinflussen und leiten. Deshalb ist es spannend, die eigene Seelenstruktur und die darin möglicherweise verborgenen Potenziale zu erkennen.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Fraktale
  • Selbstreflexion
  • Tieferes Verständnis

Text Salome Fischer

Salome Fischer

Salome Fischer, Kommunikationspsychologin, begeistert sich für Sprache und Wahrnehmung und lebt ihre Leidenschaft für Persönlichkeitsentwicklung und deren Einfluss auf gesellschaftliche Strukturen aus.

Der Begriff „Fraktal“ leitet sich von den lateinischen Wörtern „fractum“ für „gebrochen“ und dem dazugehörigen Verb „frangere“ für „zerbrechen“ ab. Er könnte auch als „Fragmente bilden“ übersetzt werden.
In der Mathematik beschreiben Fraktale bestimmte Strukturen mit besonderen Eigenschaften. Fraktale sind nicht ganzzahlig, sie sind selbstähnlich, skaleninvariant und nicht differenzierbar.
„Psychotrop“ setzt sich aus den Worten „Psyche“ – altgriechisch für Seele – und „tropein -“ für „wirken“ zusammen und wird gemeinhin als „einflussnehmend auf die Psyche“ übersetzt.

Was sind Fraktale

Was sind Fraktale?

Fraktale sind geometrische Phänomene, Funktionen, die uns von unserem ersten Herzschlag an begleiten. Schauen wir in den Himmel und sehen Wolkenformationen, betrachten wir die Natur, die Verästelung der Bäume, Gebirgsketten, Meereswellen oder einen Brokkoli, dann sehen wir Fraktale. Fraktale bestimmen die Welt um uns herum, von der Anhäufung von Sternen in Galaxien bis hin zu Polymermolekülen oder der Verästelung unserer Arterien in unseren Körpern. Wie oben, so unten; wie innen, so außen: Fraktale scheinen die göttlichen Gesetze der Geometrie zu verkörpern, lange bevor der Mensch die rechtwinklige und ideale Objektgeometrie zur Raumgestaltung perfektionierte.

Doch auch in den künstlerischen und kulturellen Werken, die wir Menschen geschaffen haben, zeigen sich elegante Fraktalformen, die wir heute in Gemälden wie z.B. „Die große Welle von Kanagawa“ (Katsushika Hokusai), oder in Kompositionen, wie „Atmosphères“ (György Ligeti), bewundern können. Fraktale sind in der technischen Nutzung längst „state of the art“ und werden bspw. in der Bild- und Videobearbeitung für Animationen in Filmen oder PC-Spielen, statistischen Annäherungen in der Finanzmathematik und Wahrscheinlichkeitstheorie, aber auch in der Medizin- und Antennentechnik verwendet.
Ein Beispiel hierfür ist die Verwendung fraktaler Antennen in unseren Mobiltelefonen, da ihre besonderen Eigenschaften dafür sorgen, dass mit wenig Material eine große Oberfläche erzeugt wird, auf der Wellenlängen verschiedener Bandbreiten auftreffen können.

  • Muschelartige Form
  • Fraktale in der Pflanzenwelt

Bildung von Antennen ~ Bildung von Fraktalen

Die wichtigste und spezifischste Eigenschaft ist wahrscheinlich die Selbstähnlichkeit und die damit verbundene Skaleninvarianz. Selbstähnliche Formen sehen im Großen genauso aus wie im Kleinen. Es wirkt und ist so, dass die gesamte Gestalt aus vielen sehr ähnlichen Teilen zusammengesetzt ist. Auf den ersten Blick ist nicht klar, in welche Skala diese Form eingebettet ist, also zum Beispiel, wie weit man in die Form hineingezoomt ist.

Ein dicker Baumstamm mit seinen Verzweigungen ähnelt dem Aufbau eines Astes mit seinen weiteren Verzweigungen. Ähnlich verhält es sich, wenn wir ein Gebirge betrachten: Die Bergspitzen ähneln einander, ebenso wie die kleineren Spitzen der großen Bergspitze. Selbst ein kleiner Stein, wenn man näher heranzoomt, könnte wie ein Berg erscheinen.

Die Strukturen ähneln sich und sind dennoch nicht identisch: „Seltsame Attraktoren“ ordnen das System in einer paradoxen, chaotischen und dennoch regelmäßigen Art und Weise. Das wohl bekannteste Fraktal ist die Mandelbrot-Menge, die nach ihrem Entdecker Benoit Mandelbrot benannt ist. Weiterhin kann ich die Arte-Dokumentation „Fraktale – Die Faszination der verborgenen Dimension“ (2008) empfehlen, die mittlerweile auch auf YouTube verfügbar ist.

Als ich während meiner Abi-Zeit eine Facharbeit in Mathematik über dieses Thema schrieb und keine Ahnung hatte, dass ich später Psychologie studieren würde, endete meine Arbeit mit dem Gedanken, dass die Erkenntnisse über den fraktalen Aufbau der Natur auch Relevanz in der Hirn- und Verhaltensforschung haben könnten. Scheinbar einer eigenen fraktalen Gesetzmäßigkeit folgend, blieb mein Interesse an dieser Kombination ungebrochen, und nun habe ich zum Anlass dieses Artikels erneut meine Arbeit gelesen. Ich bin mir also selbstähnlich.

Noch wichtiger ist jedoch, dass wir alle von unseren psychotropen Fraktalen beeinflusst werden.
In der Entwicklungspsychologie sind sich Forscher längst einig, dass unsere Prägungen, Traumata und frühen Erfahrungen Einfluss auf unsere Entwicklung nehmen. Sie wirken gewissermaßen als Attraktoren, die Wahrscheinlichkeiten für Lebensverläufe vorgeben, ähnlich wie Vektoren den Raum definieren.

Gut erforscht sind beispielsweise die Bindungsstile, die wir in unseren frühesten Beziehungen mit unseren Eltern erwerben und die uns dann in unseren Beziehungen zu anderen Menschen lebenslang prägen. Ohne näher darauf einzugehen, was in der populärwissenschaftlichen Literatur, unter anderem durch Stefanie Stahl, bereits bekannt ist, ist dieses Phänomen gut erforscht und ermöglicht Vorhersagen über (Paar-) Beziehungen, aber auch Karrierebeziehungen. Genauso gut belegt ist jedoch, wie das Aufarbeiten der eigenen Beziehungsgeschichte aus der frühen Kindheit zu Transformationen in eine der eigenen Weiterentwicklung dienlicheren Richtung beitragen kann. Dies geschieht in analytischen Therapieschulen wie der Tiefenpsychologischen Therapie oder der Verhaltenstherapie, bei der unerwünschtes Verhalten vermieden oder gewünschtes Verhalten entwickelt wird – ein großartiges Werkzeug, wenn man es als solches versteht.

Natürliche widerkehrende Muster

Was können wir tun, um Fragmente zusammenzuführen, Fraktale zu erkennen und warum ist es wichtig?

Aus meiner Perspektive birgt die Schaffung von Selbst-Erkenntnismomenten, auch in der Therapie, ein unschätzbares Potenzial, um Bewusstsein für individuelle Muster und Selbstähnlichkeiten zu entwickeln. Dies bedeutet für mich eine ganzheitlich integrale Sichtweise. Eine psychologische Schule, die sich der Idee eines fraktalen Grundmusters der Psyche annimmt und sich dabei bewusst ist, dass Veränderungen stets skaleninvariant und selbstähnlich wirken, kann verschiedene Therapie- und Coaching-Formate in einem anderen Licht erscheinen lassen. Dabei wird klar, dass der Klient oder Patient den Therapieprozess, (sofern keine neuropathologische Erkrankung vorliegt), aus eigener Verantwortung und Selbstermächtigung angeht und aus dieser Perspektive seine Veränderungen selbst erkennt und im Leben entdecken kann. So entsteht keine machtorientierte Therapeuten-Patienten- oder Coach-Coachee-Beziehung, sondern der Therapeut wird zu einem Begleiter oder einer Hebamme in der eigenen Selbst- und Seelenkenntnis.

Ich stelle mir eine analytische Psychologie in metamodernen Zeiten vor, in der klar ist, dass die Herausforderungen und Phänomene, die ein Individuum auf der Mikroebene des Alltags sieht, stets auf weiteren Ebenen mitwirken und weiterwirken. Dabei ist die Situation, die beispielsweise ein Coaching erfordert, stets nur ein Symptom einer unbewussten Schicht, die das Handeln so beeinflusst, dass die Situation erst erschaffen wird und somit erkannt werden möchte. Gelingt es tatsächlich, dies zu erkennen und zu transformieren, entsteht eine Veränderung, die auf verschiedenen Ebenen weiterwirkt. Das Individuum erkennt sich selbst in seiner Eigenverantwortung und wird in seine Macht und Kraft versetzt.

Fraktale

Der bewusste Prozess der Selbstreflexion

Um die Fragmente unserer psychotropen Fraktale zusammenzuführen und die Selbstähnlichkeiten zu erkennen, bedarf es eines bewussten Prozesses der Selbstreflexion und des Erkundens unserer eigenen inneren Muster. Dieser Prozess kann in verschiedenen Bereichen der persönlichen Entwicklung von großer Bedeutung sein.
Ein erster Schritt in diese Richtung könnte darin bestehen, sich der eigenen Prägungen und Erfahrungen bewusst zu werden, insbesondere derjenigen aus der frühen Kindheit. Wie haben diese Erfahrungen unsere Denkmuster, Überzeugungen und Verhaltensweisen geformt? Welche Attraktoren haben unser Verhalten in bestimmte Richtungen gelenkt? Das Erkennen dieser Muster ermöglicht es, bewusstere Entscheidungen zu treffen und Veränderungen gezielt anzugehen.

In der therapeutischen Arbeit kann dies bedeuten, dass der Klient mit Hilfe eines Therapeuten seine eigenen psychotropen Fraktale erforscht und versteht. Durch diesen Prozess kann er tiefer liegende Ursachen für bestimmte Verhaltensweisen oder Probleme erkennen und transformieren. Die Selbstähnlichkeit dieser Veränderungen kann sich dann auf verschiedene Lebensbereiche auswirken, da die inneren Muster in vielfältigen Situationen und Beziehungen wirksam sind.

Auch im Coaching kann dieser Ansatz fruchtbar sein. Ein Coach kann seinem Coachee dabei helfen, seine psychotropen Fraktale zu erkennen und die Selbstähnlichkeiten in seinem Verhalten und seinen Zielen zu identifizieren. Dies ermöglicht es dem Coachee, seine persönliche Entwicklung bewusst zu gestalten und seine Potenziale voll auszuschöpfen.

psychotrope Fraktale

Moderne, integrale Psychologie

Die Idee einer integralen Psychologie in modernen Zeiten geht über die traditionellen Ansätze hinaus und erkennt die Komplexität und Vernetzung unserer inneren Welten. Sie betont die Eigenverantwortung und Selbstermächtigung des Individuums, um Veränderungen auf verschiedenen Ebenen zu bewirken.

Insgesamt betrachtet birgt die Betrachtung unserer psychotropen Fraktale und ihrer Selbstähnlichkeiten ein enormes Potenzial für persönliches Wachstum und Bewusstseinsentwicklung. Sie ermöglicht es uns, die Brücken zwischen verschiedenen Ebenen unseres Seins zu erkennen und zu nutzen. Dieser ganzheitliche Ansatz kann dazu beitragen, ein tieferes Verständnis von uns selbst und unserer Welt zu entwickeln und uns in unsere eigene Macht und Kraft zu setzen.

In einer Zeit, in der die Komplexität und Vernetzung unserer Lebenswelten immer offensichtlicher wird, könnte die Integration dieser integralen Perspektive und die Berücksichtigung der psychotropen Fraktale zu einer umfassenderen und effektiveren Herangehensweise an persönliche Entwicklung und Kulturentwicklung führen. Es ist eine Einladung, die Selbstähnlichkeit unserer eigenen Seele zu erkunden und die Fragmente unserer Existenz bewusst zusammenzuführen, um ein tieferes Verständnis und eine bewusstere Lebensweise zu ermöglichen.

Quellen
1. Mandelbrot, B. B. (1991). Fraktale Geometrie der Natur. Taschenbuch.
2. Peitgen, H.-O., Jürgens, H., Saupe, D. (2012). Bausteine des Chaos: Fraktale. Springer Verlag.
3. Jürgens; Saupe, D. (1989): Chaos und Fraktale, Heidelberg, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
4. Fischer, S. (2018). Facharbeit „Fraktale“ im Fach Mathematik.
5. ARD (Produzent). (n.d.). Fraktale [Dokumentation]. Verfügbar unter https://programm.ard.de/TV/arte/fraktale/eid_287246003033096
6. DocCheck (Autor). (n.d.). Psychotrop [Webseite]. Verfügbar unter https://flexikon.doccheck.com/de/Psychotrop

Fotos: iStock, Unsplash / Sergio Medina

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