Zwei Menschen am Berggipfel vor Sonnenuntergang.

SOMMERHAUCH: eine Erinnerung

Lassen Sie sich von dieser Kurzgeschichte verzaubern und spüren Sie, welch große Kraft in diesen Gedanken liegt – eine Kraft, die Sie sicherlich auch schon kennengelernt haben …

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  • Neugier
  • Romantik
  • Liebesspiel

Text Wolfgang Eckstein

Schwarz-weiß-Porträt von Wolfgang Eckstein

Wolfgang Eckstein ist 96 Jahre jung. Der Jurist war u.a. Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bayerischen Bekleidungsindustrie, gründete den Verband deut­scher Mo­de­desig­ner, den Mo­de­kreis München und eine Stif­tung für die Modeindustrie. Für PURPOSE schreibt er exklusiv.

Ein warmer, aufregender Sommerabend. Die trockene, staubige Luft ist erfüllt von den zahllosen, sich zu einer hektischen, grellen Melodie vermischenden Geräuschen einer von Leben überquellenden Großstadt. Eine innere Sehnsucht schleicht sich in die Seele, eine Oase der Ruhe zu finden, in diesem Wirbel von Autos, Lichtreklame, Menschengedränge und betäubenden Lärm. Jetzt mit Menschen zusammen zu sein, die unbeschwert und losgelöst vom Alltag, den gleichen Wunsch haben! Menschen, die man noch nie getroffen hat, sodass das Erlebnis einer ersten Begegnung und des Zusammenfindens den Abend erfüllt und bereichert.

PLÖTZLICH VERTRAUT

In dieser ungereimten Stimmung steht sie plötzlich und unerwartet vor mir, ohne zu ahnen was mich bewegt. Mit leisen Worten und zarten, unbekümmerten Gesten sieht sie mich aus großen, sanften Augen an. Ich kann nicht wissen, dass sie Schmerzen hat, und sie nimmt meine angebotene Hilfe gerne an. Sie ist erstaunt über kleine selbstverständliche Gesten, so wie ich über ihre liebevolle Art, sich dafür zu bedanken.

Das lose herabfallende Frotteekleid mit dem lustigen, bunten Muster und dem verführerischen Seitenschlitz lässt ihre Figur nur erahnen. Braungebrannt, die dunklen, langen Haare offen, steht sie da, schaut mich lange prüfend an. Plötzlich, als ob es so sein müsste, legt sie ihre Arme um mich und erwartet, geküsst zu werden. So als wäre die erste Begegnung, nur die Fortsetzung einer längst begonnenen Geschichte. Als wären wir uns schon seit Jahren begegnet und würden heute ein neues schönes Kapitel schreiben.
Es wird ein langer Abend, ohne Abschied.

DIE VIELGESTALT DES LEBENS

Ein neues Wiedersehn, ohne Freunde und ohne das Verlangen, andere Menschen um uns zu haben. Sie ist merklich nervös und unausgeglichen. Wechselt von einem Extrem ins andere, macht sich Sorgen und Gedanken über Vergangenheit und Zukunft. Zärtlichkeit und Ablehnung halten sich die Waage. Ein unerwartetes, hingebungsvolles Nachgeben, das ich nicht werten kann. Sie weint unsichtbare Tränen. Wir sprechen noch lange, über die Vielgestalt des Lebens, über die Frage, welcher Weg wohl der richtige sei, um dem Leben einen wirklichen Inhalt zu geben.

Ich glaube, ich kann meinen Augen nicht trauen, als sie barfuß, mitten in der Nacht, in mein Auto steigt, als wäre es eine Selbstverständlichkeit in einer zivilisierten Welt, mitten in einer Großstadt, mit bloßen Füssen auszugehen. So eigenartig wie ihre Kleidung ist, wird auch der Abend. Stunden vergehen, ausgefüllt mit tiefsinnigen Gedanken über alles, was die Welt bewegt und was den Menschen, der in ihr leben muss, berührt.

ABSCHIED OHNE VERLANGEN?

Wir spüren heute sehr deutlich, dass sich unsere Auffassungen in vielen Dingen gleichen, sich unsere Meinungen, obwohl extrem, in vielen Punkten finden. Ohne bestimmten Anlass sieht es am Ende nach einem Abschied ohne Verlangen nach einem Wiedersehen aus. Auf meinem Heimweg schließe ich wehmütig ein Kapitel, das so kurz und doch so reich an unterschiedlichen Erlebnissen war. Jetzt weiß ich, dass mich ihre widersprechende Art, die am Ende immer wieder in einer alles umschließenden Zärtlichkeit endete, verzaubert hat. Diese glückliche Verbindung nüchterner Logik mit tiefem weiblichem Gefühl und grenzenloser Intuition, war außergewöhnlich.

Mitten hinein in die sachliche Atmosphäre meines Büros kommt ihr unerwarteter Anruf. Sie will mich unbedingt sehen, aber ich habe nur wenig Zeit. Sie reagiert wie ich es von ihr erwarte. Es gibt nur ein Wiedersehen, wenn ich auch die entsprechende Zeit mitbringe. Da dies nicht möglich ist, bleibt dieses sehnlich erhoffte Wiedersehen unerfüllt. Ich bin enttäuscht, aber auch beeindruckt von ihrer Konsequenz.

DAS WIEDERSEHEN

Schwarz, von Kopf bis Fuß, eine Samtmütze auf dem frech frisierten Kopf, ein paar verlorene Sommersprossen auf der Nase und dazu ihre langen, seidigen Wimpern. Wer könnte sich bei diesem Anblick nicht verlieben?

Doch trotz dieser schmeichelhaften Äußerlichkeiten spüre ich, dass innerlich ihre Seele leidet und unser Zusammensein ihr nicht die innere Zerrissenheit nehmen kann. Ich versuche alles, um sie wieder herunterzuholen und ihr klarzumachen, wie schön diese Welt sein kann, wenn man sich ihr öffnet und sie mit Herz und Seele wahrnimmt. Ihr unendlich trauriges und verzweifeltes Gesicht, wird mir unvergesslich bleiben. Ohne sich umzudrehen, geht sie mit gespielter Gleichgültigkeit und traurigem Herzen die Straße entlang.

Ein Brief von mir bleibt nicht ohne Antwort. Wenn auch verspätet, so könnte ich doch die Welt umarmen, wegen ihrer Bitte, sie zu besuchen. Das Wetter ist so ungewiss, wie ihr Kommen zum verabredeten Zeitpunkt. Da entdecke ich sie auf dem See. So, als ob sie unbegrenzt Zeit hätte, kommt sie näher, mit langen Pausen, aber doch neugierig blickend. Sie hat mich bis jetzt noch nicht gesehen. Als ich im letzten Moment hinter einem schützenden Baum hervortrete, schenkt sie mir eine stürmische Begrüßung.

Wir fahren weit hinaus in den See, lassen unser Boot auf den leichten Wellen treiben. Klammern uns, wie schon so oft, an einem Thema fest. Sie vertritt ihren Standpunkt mit Hartnäckigkeit. Sie will nicht einsehen, dass eine Biene, die man vom Tod errettet, trotzdem sticht. Sie bekommt eine Lehre für ihre Ansicht und einen geschwollenen Arm Es wird kühl, Regen setzt ein. Wir suchen Schutz in einer Bootshütte. Die Kälte kriecht langsam die Beine hoch und uns bleibt nur ein starker Wodka im nicht weit entfernten Club.

Der Bootssteg verführt zu kleinen Zärtlichkeiten. Die Sonne versteckt sich hinter dicken
Regenwolken und „Fischmörder“ blicken uns zornig an, wenn wir ihren ausgelegten Angeln zu nahekommen.

Sie begleitet mich noch, eng angeschmiegt, zu meinem Wagen. Die ersten Fledermäuse huschen im hektischen Flug über uns hinweg. Ein Zug fährt laut ratternd vorbei. Es klingt so, als wollte er mich auffordern, mitzukommen. Der leichte, warme Regen stimmt mich melancholisch. Ich spürte ihre Lippen, die zum Abschied ein Wiedersehen hauchen.

Abstraktes Bild zweier sich Küssender.

UND ES IST SOMMER…

Ein umgepflügter, brauner Acker, mit tiefen Furchen ist heute ihr Spielplatz. Mit bloßen Füssen zertritt sie die feuchten, kühlen Schollen und träumt vor sich hin. Erst als ich ganz nahe bei ihr bin, schaut sie völlig überrascht auf. Mit großen Sprüngen kommt sie mir mit weit ausgebreiteten Armen entgegen. Zu so später Stunde hatte sie mich nicht mehr erwartet. Umso glücklicher ist sie über das Wiedersehn. Wir fahren durch die Abenddämmerung, die den Horizont wie einen Scherenschnitt gegen die untergehende Sonne zeichnet, zu einem versteckten Gasthaus. Die ersten Rehe treten auf die saftiggrüne Waldlichtung. Eine Elster stößt warnende Schreie aus.

Die letzten Bauern kehren von ihren Feldern heim. Die Positionslampen eines Flugzeuges blinken unruhig am nächtlichen Himmel. Zum ersten Mal gestehst Du mir Deine Zuneigung mit vorsichtigen Worten. Ich bin in diesem Moment so überrascht, dass ich kaum antworten kann. Deine letzten Worte begleiten mich auf meinen Weg aus der Stille der Nacht, zurück in den Trubel der Großstadt.

WO BIST DU?

Unser verabredeter Treffpunkt ist leer und ausgestorben. Du konntest scheinbar nicht kommen. Dafür finde ich Dich in einer knappen Bikinihose und einem unter der Brust verknoteten Hemd, das einen verführerischen Blick freilässt, beim Malen. Deine Haare sind zu lustigen Zöpfen gebunden, die im Nacken ein kleines Dreieck bilden, bei dessen Berührung Du wohlig zusammenzuckst. Später gleitet langsam und weich unser Boot durch die Wellen.

Als ein mit neugierigen Touristen besetzter Ausflugsdampfer an uns vorbeifährt, tanzt es mit schlangenartigen Bewegungen auf den hohen Bugwellen. Im nahen gelegenen schützenden Hafen sammeln sich zahllose Segler zu einer friedlichen Regatta. Ein Flugzeug zieht tief über den See und erfüllt die Luft mit fremdartigem, störendem Lärm. Ein hoher Schilfwald nimmt uns auf.

Tauchenten verschwinden „verschämt“ blitzartig unter der Wasseroberfläche, als sie mich küsst. An einer flachen Stelle macht es ihr Spaß, im weichen, schlammigen Grund, zu waten und ich fürchte, sie würde vor meinen Augen versinken. Ein schilfbewachsener Kanal, der in einem einsamen See endet, zeigt uns einen romantischen Weg. Arm in Arm schlendern wir auf dem Damm entlang, sehr zum Missvergnügen vorbeirudernder keuscher Nonnen, die unseren, durch ständige Umarmungen unterbrochenen Spaziergang, sicher nicht gutheißen können. Zahllose Fische stehen, wie festgehalten, in der Strömung des Kanals und spähen gierig nach Beute.

Bild zeigt eine winzige Person, die auf einer Rose sitzt.

ZU ZWEIT IN DER EINSAMKEIT

Eine betäubende Stille ist um uns, gelegentlich abgelöst durch geheimnisvolles Rascheln im dichten Schilf. Flimmernde Hitze steht über dieser Szenerie. Kein störender Mensch, soweit das Auge blickt. Alle diese Eindrücke machen uns unbeschwert und fordern auf zum Verweilen. Wir lassen uns am steinigen, von Sonne und Wasser gebleichten Ufer nieder. Stunden vergehen, bis wir die herrliche Ruhe und die Schönheit der Natur, dieses Gefühl des gemeinsamen Erlebens voll ausgekostet haben.

Unmerklich langsam, aber stetig, wandert die goldgelbe Sonne am strahlend blauen Himmel entlang. Die einzige Zeugin unseres verliebten, harmlosen Spiels. Von Zeit zu Zeit erinnert der steinige Boden daran, dass wir uns in Gottes freier Natur befinden. Ein geheimnisvolles Gurgeln unter den Steinen, klingt wie ein murmelndes Lästern eines heuchlerischen Moralisten. Ein vorbeifliegender Vogel gibt einen aufgeregten, lang gezogenen Schrei von sich, als wollte er sich über uns beschweren, oder ist es gar Neid? Wir schmiegen uns noch enger aneinander, um jedem unsere einsame glückliche Zweisamkeit zu zeigen.

Vorwitzige Fische springen aus dem Wasser, wahrscheinlich um zu sehen, was es dort am Ufer Aufregendes zu sehen gibt. Die Sonne durchglüht unsere Körper bis ins Innerste. Sie versteckt sich hinter kleinen Wolken, wenn meine Hand zart über ihre braungebrannten Arme und Beine streicht. Sie schließt, dem Augenblick ergeben, ihre schönen, großen Augen, wenn meine Lippen ihr Ohr oder ihren Nacken berühren.

Laut jubelnd könnte ich in dieser Stunde und vor die ganze Welt hintreten und ihr zeigen, dass die schönsten Dinge im Leben frei sind, aber nur wenn man die wirklichen Werte erkennt. Weite Räume könnte man füllen mit so viel Harmonie, soviel Schönheit der Natur und menschlichen Zusammenspiel von Gefühlen.

Die Stunden verfliegen wie in einem schönen Traum. Die Sonne wirft bereits lange Schatten. Die allabendliche Brise verwandelt den See in einen rauen Teppich. Weiße Gischt spritzt über das Boot. Die letzten späten Segler nützen den frischen Wind für die Heimfahrt. Der Horizont hebt sich in verschiedenen Grünfarben ab.

Maroder Steg.

ERSTE HERBSTNEBEL

Wie Gottes Finger strecken sich die Glockentürme der Dorfkirchen der versinkenden Sonne entgegen. Sie steht tief am Himmel und bildet eine Farbpalette vom dunklen Rot bis zum hellen Braun. Die ersten fein gesponnenen Herbstnebel liegen wie weiche Schleier in den feuchten Niederungen. Traurigkeit befällt uns und andächtige Ehrfurcht, vor so viel Schönheit und Stimmung. Die abendliche Kühle des nahenden Herbstes hält uns nicht von einem erfrischenden Bad ab. Als wollten wir unsere verlangenden Gefühle zurückdrängen, schwimmen wir weit in den dunklen See hinaus.

Zurück am Ufer strömt die Körperwärme langsam zurück und erzeugt eine wohlige Geborgenheit. Der abnehmende Mond steht klar und kalt am nächtlichen Himmel. Vielleicht hat ihm die Sonne schon die Geschichte unserer Liebe am Nachmittag erzählt. Während er schmunzelt, wundern sich die strahlenden Sterne über die verhaltene Fröhlichkeit ihres Herrn.
Tiefblau, still und unheimlich zugleich, wie ein samtenes Zaubertuch, liegt der See, eingebettet in den flachen Hügeln der Voralpen. Vereinzelt strecken vertäute Boote ihre kahlen Maste stolz in die Höhe, als trügen sie noch ihre weißen, aufgeblähten Segel. Unsere Worte sind sparsam und vorsichtig, angesichts dieser verzauberten Nacht. Es ist wie ein stilles Ausklingenlassen der mit wunderschönen Erlebnissen angefüllten letzten Stunden. Ein Hineinhorchen und ein heimliches Prüfen, ob dies alles wahr sein kann, oder ob es ein unwirklicher Traum ist, der nun sein Ende findet.

Zur mitternächtlichen Stunde trennen sich zwei Menschen, deren Schatten miteinander verschmolzen schienen. Gute Nacht, lebe wohl und bewahre Dir diese Stunden wie ein süßes Geheimnis. Vielleicht wirst Du es eines Tages noch einmal durchleben wollen, denn die Erinnerung ist das einzige Paradies auf Erden, aus dem uns niemand vertreiben kann.

DER LETZTE GEMEINSAME TRAUM

Wir wollen, wie schon so oft, alleine sein. Ungestört vor den vielen neugierigen Blicke der gelangweilten Urlauber am Strand und durch das laute Schreien der herumtollenden Kinder. Nach einem erfrischenden Bad wandern wir deshalb barfuß und oft mit schmerzverzerrtem Gesicht einen steinigen Weg entlang zum schattigen und ruhigen Wald. Der weiche, morastige Boden kühlt angenehm die schmerzenden Füße. Auf einer kleinen Lichtung, unter jungen Buchen, deren Blätter gegen die grelle Sonne blassgrün erscheinen, finden wir auf weichem Laub einen stillen, verträumten Platz.

Unruhig schwirren Insekten in allen Farben und Größen eilig vorbei und erfüllen die Luft mit eintönigen Summen. Kleine Käfer suchen ihren Weg durch welke Blätter. Ein grüner Frosch, springt wie aus Übermut mit einem weiten Satz in eine schlammige Pfütze. Dieser Stimmung kann sich niemand entziehen, der sich den Sinn und das Gefühl für die Natur und die in ihr wirkenden Kräfte bewahrt hat.

Wir konnten nicht ahnen, dass es der letzte Traum war, den wir zusammen träumten. Es war ein harmonisches und glückliches Zusammenspiel zweier wohl gestimmter Instrumente, deren wunderbaren Klängen wir mit geschlossenen Augen lauschten; doch deren Melodie durch eine verständnislose Umwelt jäh unterbrochen wurde. Von einem Ende zu sprechen, solange dies alles noch in einer neuen, vielleicht tieferen Form andauert, würde heißen, das Schicksal voreilig in eine Bahn zu lenken, die ihm nicht vorbestimmt ist.

Der einzige Trost für uns ist, dass der Schmerz des Abschieds zum Glück des Zusammenseins gehört!

Fotos: Unsplash / Aziz Acharki, Cesar la Rosa, Hoach le Dinh, Dan Musat, Mathias Reding

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