Fluss im Wald mit Nebel

DIE TRÄUME DER RAUHNÄCHTE

Wenn die stade (stille) Zeit vorüber ist, wird’s auch wieder ruhiger“, beschrieb Karl Valentin das Abebben der vorweihnachtlichen Betriebsamkeit. Den zwölf „Rauhnächten“ zwischen Heiligabend und Heilige Drei Könige wird im Brauchtum eine weissagende Kraft für das nächste Jahr zugesprochen.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Aberglaube und Neurowissenschaft
  • Alles über die Rauhnächte
  • Aufblühen im Neuen Jahr

Text Brigitte Berger

Paartherapeutin Brigitte Berger

Brigitte Berger ist Erziehungswissenschaftlerin und Paartherapeutin. Sie arbeitet mit Träumen und bietet als ehemalige Dozentin an der vormaligen Bayerischen Akademie für Gesundheit eine Ausbildung zur Traumarbeit für therapeutische Berufe an. Zudem ist sie Mitglied der Martin-Buber-Gesellschaft.

Was sind die Rauhnächte

Es wird berichtet, die erste Rauhnacht, beginnend um Mitternacht am 24. Dezember, behandele im Traum die Thematik des Monats Januar im Neuen Jahr. Vom 25. auf den 26.12. schaue die zweite Rauhnacht auf innere Beweggründe im Februar und so fort. Schließlich am 5. Januar, der letzten Rauhnacht, zeige der Traum, worum es uns vom Herzen her im Dezember des vorausliegenden Jahres gegangen ist. Mit dem Ende der Rauhnächte läge das neue Neue Jahr in zwölf Träumen und Themen vor uns ausgebreitet.

Bedeutet das, dass Träume die Zukunft voraussehen können? So formuliert, hört sich das eher abergläubisch als wissenschaftlich fundiert an. Genauer betrachtet ist es jedoch so, dass Bewusstseinsprozesse, die sich heute in unseren Träumen abbilden, unsere Zukunft bahnen. Das entspricht dem Wissensstand der Neurowissenschaft und der Psychologie.

Wer sich mit den Träumen über längere Zeiträume beschäftigt, wird einen „roten Faden“, einen Sinnzusammenhang zwischen ihnen herausfinden und feststellen, wie lange wir uns in Träumen mit einem Thema auseinandersetzen, bevor sich eine neue Lebensgestaltung zeitigt. Und, Brauchtum ist ja nicht gleich Unsinn, sondern entspringt einem Leben nahe der Natur und deren Beobachtung.

Die Rauhnächte oder „Wolfsnächte“ liegen in einer Jahreszeit, in der die Natur sich vor dem Zugriff der Kälte vollständig zurückgezogen hat und scheinbar in einen Stillstand getreten ist.

Die Vorbereitungen für den neuen Austrieb, das Wachstum, sind ganz nach innen, meist unter die Erde verlagert. Die Nächte werden langsam wieder kürzer, das Licht nimmt allmählich erneut zu – und doch ist es noch die dunkle Zeit. Jene, in der das alte Jahr zur Neige geht und das Neue Jahr ahnungsvoll näher rückt. Auch wir modernen Menschen schauen zurück, werten aus, schließen ab und planen ins Neue Jahr hinein. Wir besinnen uns darauf, was wirklich wesentlich ist, was zählt und worauf wir uns künftig ausrichten wollen.

Wir freuen uns an dem, was wärmt.

  • Fackeln im Boden
  • Nächtlicher Himmel

Die Themen der Rauhnächte

Jeder einzelnen der zwölf Rauhnächte wird im Brauchtum eine bestimmte Thematik zugeordnet. Dazu gibt es Geschichten und allerlei Rituale. Das Internet hat da viel zu bieten. Es geht aber auch mit einem Buch. „Das Wunder der Rauhnächte“ von Valentin Kirschgruber zum Beispiel gibt viele Anregungen zur Gestaltung dieser besonderen Zeit.

Die Themen der Rauhnächte sind wie folgt überschrieben:

  • Rauhnacht 25.12. – Altes Abschließen
  • Rauhnacht 26.12. – Still werden
  • Rauhnacht 27.12. – Sich öffnen
  • Rauhnacht 28.12. – Seiner inneren Weisheit vertrauen
  • Rauhnacht 29.12. – Den Körper heiligen
  • Rauhnacht 30.12. – Die Gefühle umarmen
  • Rauhnacht 31.12. – Seine Herzensziele umfangen
  • Rauhnacht 01.01.– Eine Entscheidung treffen
  • Rauhnacht 02.01. – Verzeihen, Versöhnen, Frieden schließen
  • Rauhnacht 03.01. – Achtsam werden
  • Rauhnacht 04.01. – Dankbar sein
  • Rauhnacht 05.01. – Zum Licht erwachen

Die Überschriften der einzelnen Rauhnächte, in ihrer Abfolge betrachtet, beschreiben Stationen eines Prozesses, sich aus Vergangenem heraus in eine Zukunft hineinzuentwickeln.

Dazu werden wir eingeladen, eine Nacht und einen Tag den inneren Fokus auf das jeweilige Rauhnachtsthema zu richten. Nehmen wir z.B. die erste Rauhnacht ab Heiligabend Mitternacht. Sie ist überschrieben mit „Altes Abschließen“. Geben Sie der Frage in sich Raum: Was vollendet sich in diesem ausgehenden Jahr? Was möchten Sie beenden? Womit möchten Sie aufhören? Gehen Sie mit dieser Frage schlafen und tragen sie sie durch den kommenden Tag. Vielleicht geschieht im Außen etwas, das eine Antwort in Ihnen auslöst. Eine andere Möglichkeit zu diesem Thema wäre, in der Meditation oder im Alltag das Abschließen und Sich-Lösen bewusst mit dem Ausatmen zu praktizieren.

Vollmond am dunklen Himmel

Fragen an Ihren Traum

Sollten Sie einen Traum erinnern, schreiben Sie ihn möglichst bald nach dem Aufwachen auf, und zwar so, wie er Ihnen in die Feder fließt. Dieses Prinzip gilt immer: nichts besonders schön oder logisch schreiben. Aber fragen Sie sich: An welchem Geschehen des Vortages könnte der Traum andocken? Welcher berührende Moment des Vortages könnte den Traum ausgelöst haben? Was war der Spannungspunkt in diesem Traum? Wo wurde es knifflig oder gefährlich oder emotional sehr dicht? Wodurch ist im Traum diese Spannung entstanden? Wenn Sie diesem Traum eine Überschrift geben wollten, wie würde sie lauten? Oder anders, welche Melodie hat dieser Traum? Stellen Sie das Traumgeschehen sanft in die Thematik der Rauhnacht hinein. Welche Hinweise ergeben sich? Womit schließen Sie ab oder was möchten Sie beenden?

Machen Sie sich aber bitte niemals Stress, wenn Sie den Traum einer Rauhnacht nicht erinnern! Das ist kein Problem. Der südafrikanische Traumforscher Mark Solms stellte die These auf, dass wir 24 Stunden lang träumen. So, als würde immer ein „Film“ der inneren Auseinandersetzung ablaufen mit dem Ziel, Lösungen für die Herausforderungen in unserem Leben zu finden, um zu innerem Gleichgewicht zu gelangen. Eine interessante Sichtweise, die uns klar macht, wozu Träume da sind.

Wenn Sie also keinen Traum erinnern, achten Sie besonders unter Tags auf das, was Sie gerade erleben. Was will Ihnen das sagen über Sie?

Ein weiteres: Das jeweilige Thema der Rauhnacht muss sich nicht in diesem Erleben oder im Traum wiederfinden. Biegen Sie hier nichts zusammen, konstruieren Sie nichts. Lassen Sie das Thema einfach als Anregung neben dem Traum stehen. Die 5. Rauhnacht ist zum Beispiel dem Thema „Den Körper heiligen“ gewidmet. Nehmen Sie das schlicht zum Anlass, sich ganz bewusst auf der körperlichen Ebene etwas Gutes zu tun: Ein langer Spaziergang, ein ausgiebiges Bad, eine Massage mit einem besonderen Körperöl oder früh schlafen gehen.

Blick in den Wald bei Nacht

Der Schatz der Rauhnächte

Sowohl im therapeutischen Setting als auch in der persönlichen Betrachtung stellen die zwölf (Tag)Träume in der Reflexion auf ein vergehendes und der Vorausschau auf ein Neues Jahr einen besonderen Schatz dar. Sie können kreativ damit umgehen, indem Sie z.B. die Traumfolge in einem Bild, etwa als Jahreskreis gestalten, mit Zeichnungen versehen, Gedichte hinzufügen etc.. Vielleicht möchten Sie einen Traum mit dem Band eines Geschenkes schmücken, das Sie erfreute. Lassen Sie Ihrer Phantasie freien Lauf und gestalten Sie die Notate der Rauhnachtsträume zu einer Navigationskarte für das Neue Jahr.

Schenken Sie Ihrer Sehnsucht Raum. Jeder Weg, jede Abzweigung, die Ihnen der Traum vorschlägt, ist individuell und exakt auf Sie zugeschnitten. Träume bieten keine Konfektionslösung an. Träume sind immer Haute Couture, und das sind Sie! Geben Sie Ihren Träumen die Chance, Ihnen eine große Wegbeschreibung aufzuzeigen mit dem übergeordneten Ziel, zu sich selbst zu erblühen. Dazu sind Sie doch hier. Die Rauhnächte helfen Ihnen dabei, dies zu entdecken.

Fotos: Unsplash / Roman Datsiuk, Dillon Kydd, Daniel Lincoln, Harald Pliessnig, Astrid Schaffner

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