Von der Raupe bis zum Schmetterling sind verschiedene Entwicklungsstadien an einem Ast aufgereiht.

„WENN DU DICH NICHT ÄNDERST …“

Nicht wenige Beziehungen leiden darunter, dass ein Partner den anderen verändern möchte, weil er der Ansicht ist, eine Veränderung täte ihm gut. Hierbei gibt es freilich manches zu bedenken.

Text Hans Christian Meiser

Portrait in Schwarz-Weiß von Hans Christian Meiser

Dr. Hans Christian Meiser ist Philosoph und Publizist, zudem Herausgeber und Chefredakteur von PURPOSE, dem Magazin für Sinnhaftigkeit. Dieses Thema zieht sich durch sein gesamtes Werk.

Veränderung ist immer dann gut, wenn man sie bei sich selbst herbeiführt. Nicht nur Superstars wie Madonna haben erkannt, dass es nichts schadet, sich gelegentlich neu zu erfinden, auch wir selbst tun gut daran, die eingetretenen Pfade zu verlassen, um die Fülle der Möglichkeiten des Seins zu erfahren.

Dies gelingt umso besser, je offener wir für das sind, was uns im Leben begegnet. Freilich müssen wir uns dann auch darauf einlassen, mit allen Konsequenzen. Oft schrecken wir aber gerade davor zurück und belassen lieber alles so wie es war.

Veränderung ist schwer, das wissen nicht nur die, die nach dem langen Corona-Lockdown abnehmen wollen. Noch schwieriger fallen geistige Veränderungen, denn wir sind so sehr in unserem Gedankenkarussel gefangen, dass wir den Ausbruch nur dann wagen, wenn uns nichts mehr anderes übrigbleibt. Das betrifft unser Privat- wie unser Berufsleben gleichermaßen.

„Wolle die Wandlung“ rät der Dichter Rainer Maria Rilke und vergisst dabei leider, dass gerade dieser Wille zur Veränderung ein starkes Individuum voraussetzt, das sich seiner selbst bewusst ist und auch über die notwendige Kraft zum neuen Leben verfügt.

  • In eine alte Mauer wurde ein Durchgang geschlagen.
  • Ein Paar blickt sich glücklich an.

VERÄNDERUNG IN DER LIEBE

Noch schwieriger freilich wird es, wenn man in einer Beziehung lebt. Denn fast nie lassen sich die Liebenden so wie sie sind und weshalb sie sich anfangs voneinander angezogen fühlten. Irgendwann wird das, was einst so begehrenswert schien, zur Last und man beginnt unwillkürlich zu versuchen, den anderen zu verändern, ihn „auf Linie zu bringen.“

Dabei übersehen wir bei unseren Veränderungsversuchen Folgendes:

  • 1) Wir setzen den, den wir uns zu lieben erkoren haben, als bedürftig voraus. Deshalb wollen wir ihm das, was ihm unserer Meinung nach fehlt, angedeihen lassen.
  • 2) Wir wissen gar nicht, ob er damit überhaupt einverstanden, womöglich sogar überfordert ist.
  • 3) Wir handeln, wenn wir das tun, letztlich übergriffig – es sei denn, unser Partner hat uns ausdrücklich dazu aufgefordert, ihm zu helfen.
  • 4) Wir denken, das, worin wir ihn ändern wollen, besser zu verstehen als andere.

Das Problem: Wir handeln in guter Absicht, wollen dem geliebten Menschen helfen, übersehen dabei aber, dass wir ihn dadurch entweder unbewusst von uns abhängig machen wollen oder aber meinen, durch diesen selbstlosen Akt würde er uns noch mehr lieben.

LIEBE KENNT KEIN DEFIZIT

Sicher ist es gut, wenn beide Partner immer wieder daran arbeiten, sich zu vervollkommnen, am besten geht das freilich zu zweit. Wenn nun aber einer meint, er könne das Defizit des anderen ausgleichen, dann übersieht er dabei etwas ganz und gar Wesentliches.

Was das ist, zeigt ein Internetfund, bei dem der Autor offenbar unbekannt ist. Der Text trägt den Titel „Gedicht für eine erwachte Seele“. Ich bin der Ansicht, er könne uns allen helfen, unser Gegenüber besser zu verstehen bzw. uns unserem Nächsten gegenüber richtig zu verhalten, sollten wir bei ihm ein vermeintliches Defizit ausmachen, von dem wir meinen, er sei ohne dieses glücklicher.

GEDICHT FÜR EINE ERWACHTE SEELE

„Versuche nicht, jemanden zu ändern: Strahle einfach; denn es ist dein Licht, das deinen Nächsten zur Veränderung einlädt. Denn in diesen seltsamen Zeiten, in denen du dich entschieden hast, zurückzukommen, ist deine Aufgabe, mein Freund, nichts anderes als zu „sein“.

Und wenn derjenige, der an deiner Seite geht, vielleicht schläft, dann respektiert seine Entwicklung und seine vermeintliche Verzögerung. Betrachte ihn mit Zärtlichkeit, akzeptiere ihn und lass ihn weitergehen auf seinen eigenen Füßen. Erkenne, dass er seinem „Lebensplan“ folgt, dem Plan, den seine Seele für ihn vorhat.

Du wirst nicht erreichen, dass er seine Schwingungen erhöht, weder mit offenem Druck noch mit einem subtilem Stupser, denn es gibt Phasen im Leben, die nicht übersprungen werden können. Sein Herz wird sich eines Tages weit öffnen! Und er wird voll und ganz verstehen, klar und präzise, dass dieses Leben nur eine vorübergehende Illusion ist …

Bleib in deiner Stille und erlaube, dass dein Licht sich sanft und leise in deinem Blick zeigt. Durch deine klare und stille Präsenz berührst und inspirierst du den Anderen. Erlaube ihm, sich durch sein eigenes Licht zu verwandeln. Versuche niemanden zu verändern. Durch dein Licht wird es von selbst geschehen.“

Dieser Rat, den ich für mehr als klug, also für weise, halte, möchte ich hiermit weitergeben. Denn letztlich verändern wir dadurch nicht nur den anderen, sondern auch uns selbst. Dann befinden wir uns mit unserem Nächsten auf einer gemeinsamen geistig-seelischen Ebene, und diese wiederum trägt den Namen: Liebe. Durch unser Licht erwecken wir sie zum Leben.

Fotos: iStock, Unsplash / Connor Misset, Marek Piwnicki

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