Illustration wie aus einem alten Märchenbuch_alte Frau sitzt in einem Holzhaus am Tisch_großer Kessel steht auf einer Feuerstelle

Von der Beseeltheit aller Dinge

Aller guten Dinge sind drei, vor allem, wenn es darum geht, etwas gelingen zu lassen. Oder? Eine Interpretation des Märchens „Strohhalm, Kohle und Bohne“ der Gebrüder Grimm zum Thema Wertschätzung.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Ungleiche Freunde
  • Materielle und nichtmaterielle Werte
  • Wertschätzung und Anerkennung

Text Irmela Neu

Schwarz-Weiß-Bild von Prof. Dr. Irmela Neu.

Prof. Dr. Irmela Neu lehrt Interkulturelle Kommu­nikation in Spanien und Lateinamerika an der Hochschule München für angewandte Wissenschaften (HM), gibt Seminare zu empathischer Kommu­nikation, ist Autorin und studierte Politologin. www.irmela-neu.de

Das Märchen „Strohhalm, Kohle und Bohne“ der Gebrüder Grimm beginnt folgendermaßen:

„In einem Dorfe wohnte eine arme Frau, die hatte ein Gericht Bohnen zusammengebracht und wollte sie kochen.“

Sie entzündete zuerst das Feuer auf einer Handvoll Stroh, das sie dem Bündel auf dem Boden entnahm. Als sie die Bohnen in den Kochtopf schütten wollte, hüpfte eine davon zu Boden und landete neben einem dort liegenden Strohhalm.
Dann nahmen die Dinge ihren prozesshaften Verlauf.

Illustration wie aus einem alten Märchenbuch_eine Bohne, ein Bündel Stroh und ein Stück Kohle

Die Bildung einer Dreiergemeinschaft

Aller guten Dinge sind drei! Ein Stück Kohle machte sich ebenso selbständig, fiel zu Boden und landete neben den beiden anderen, so dass sie nun eine Trias bildeten. Fortan tauschten sie sich munter miteinander aus. Wie viel Glück sie doch gehabt hätten, ihrem sicheren Ende entgangen zu sein! Das schweißt natürlich zusammen und fordert geradezu dazu auf, gemeinsame Pläne zu schmieden.

Der Strohhalm begann die Konversation, indem er seine beiden Kumpanen neben sich fragte: “Liebe Freunde, von wannen kommt ihr her?“
Da legten sie los, die drei, und erzählten sich ihre Version, woher sie kamen; es entstand das Narrativ ihrer Rettung. Alle drei berichteten von ihrem Entkommen vor dem sicheren Tod, der sie beim Zubereiten der Mahlzeit erwartet haben würde. Natürlich wussten sie ihren Heldenmut der Befreiung gebührlich herauszustreichen.

Die Kohle hatte sich, wie sie berichtete, „mit Gewalt durchgesetzt“ – ansonsten wäre sie nämlich verbrannt und zu Asche geworden. Auch die Bohne gab ihrer Freude Ausdruck, von der „Alten“ nicht gekocht und zu Brei verarbeitet worden zu sein.
Das Stroh wiederum legte noch eins nach, um das Außergewöhnliche seiner Rettung deutlich zu machen. Ganze Büschel seiner „Brüder“ habe die „Alte“ gepackt, ins Feuer geschmissen und in Rauch aufgehen lassen. Ihm hingegen sei es gelungen, durch ihre Finger zu schlüpfen!

Allen drei ist es also dank ihrer rebellischen Aktivität gelungen, am Leben zu bleiben und das neue Dreierbündnis zu schmieden, dessen sie sich gegenseitig versichern. Eine konspirative Truppe gegen das Alte? Bleiben sie zusammen, gelingt ihnen ein neues Leben? Wir folgen dem weiteren Verlauf des Märchens.

Das Dreierbündnis auf Abenteuertour

Die Kohle stellt die Gretchenfrage an die anderen, was sie denn nun anfangen wollten? Die Bohne macht daraufhin folgenden konstruktiven Vorschlag:

„Ich meine, weil wir so glücklich dem Tode entronnen sind, so wollen wir als gute Gesellen zusammenhalten und, damit uns hier nicht wieder ein neues Unglück ereilt, gemeinschaftlich auswandern und in ein fremdes Land ziehen.“

Dankbarkeit und ein Bekenntnis zur festen Freundschaft – so viel Herz enthält der Vorschlag der Bohne! Ja, dem stimmen die anderen zu. Fortan wollen sie eine feste Gemeinschaft bilden und füreinander da sein. Gemeinsam ist ab sofort die Devise!

So beschlossen, so getan! Die drei begeben sich also guten Muts auf die gemeinsame Wanderschaft. Da passiert dann so allerlei …

Illustration wie aus einem alten Märchenbuch_in einem magischen Wald führt ein Steg über einen Bach

Die Herausforderungen auf der Wanderschaft

Das Trio erreicht einen Bach, dessen Überquerung für sie eine gewisse Logistik erfordert. Wie kann es gelingen, den Bach unbeschadet zu überqueren? Da ist guter Rat erst einmal teuer. Schließlich fällt dem Strohhalm die rettende Idee ein: er würde sich quer über den Bach legen, also eine Brücke bilden, damit seine zwei Mitstreiter Kohle und Bohne über ihn gehend den Bach überqueren und so unbeschadet das andere Ufer erreichen könnten. Dieser Vorschlag findet die allgemeine Zustimmung der Drei.

Der Strohhalm bildete also eine Art Brücke über den Bach. Die „von Natur aus hitzige Kohle“ betrat beherzt die Notbrücke aus Stroh. In der Mitte verließ sie der Mut, als sie das Rauschen des Wassers in aller Lautstärke vernahm; und dann? Sie blieb einfach verängstigt stehen …

Untergang und Rettung

Sie ahnen es schon, geneigte Leser: die beiden gingen mit Glanz und Gloria unter. Erst brachte die Kohle den Strohhalm zum Brennen, dann fiel dieser ins Wasser; die Kohle ereilt dasselbe Schicksal. Sie fiel zischend ins Wasser und gab ihren Geist auf.

Und die Bohne? Nun, sie war als Beobachterin am Ufer geblieben. Angesichts des Schauspiels, was sich vor ihren Augen abspielte, verfiel sie – nein, nicht in Traurigkeit, sondern in ein nicht enden wollendes Gelächter:

Die Bohne musste über die Geschichte lachen, konnte nicht aufhören und lachte so gewaltig, dass sie zerplatzte.“

Vor Lachen zerplatzen, und das angesichts des Dramas ihrer zwei Reisekumpels! Na ja, sie war doch vorher so freundschaftsbetont – war das am Ende nur die Not? Wer weiß das schon so genau … jedenfalls fügte sie sich selbst ihr Ende bei – nicht ganz! Es kam nämlich ein Schneider vorbei, der Mitleid mit ihr verspürte und sie zusammennähte. Er hatte ihr Leben gerettet! Die Bohne dankte es ihm herzlich.

Wie geht denn nun die Geschichte aus? War’s das? Nicht ganz:

Der Schneider hatte einen schwarzen Faden verwendet, und „so haben seit der Zeit alle Bohnen eine schwarze Naht.“ Damit endet unser Märchen.

Illustration wie aus einem alten Märchenbuch_ein alter Schneider sitzt in seiner Werkstatt und näht

Das materielle Verständnis von Dingen

Das Märchen dürfte Erstaunen, Verwunderung, ja Kopfschütteln hervorrufen, weil es nichts mit der Realität zu tun hat – ein Märchen, ein Fantasieprodukt eben. Wie sollten sich die drei – Strohhalm, Kohle und Bohne – denn überhaupt verständigen können, verfügen sie doch nicht über die Sprachfähigkeit von Menschen? Absurd, surrealistisch!

Aus der Sicht der materiellen Orientierung sind es schlicht nützliche, dem Menschen dienende Objekte: das Stroh zum Entfachen von Feuer, die Kohle zum Einheizen beim Kochen und mehr, die Bohne zur Nahrung für den Menschen, die nur gekocht zu genießen ist. Sie haben so gesehen keinen Wert an sich, sondern nur in Bezug auf ihre Verwertbarkeit.

Ob sie zusammenpassen, ist demnach auch keiner Überlegung wert. Natürlich! Kohle und Stroh dienen dazu, ein Bohnengericht herzustellen. Punkt. Nützlichkeit und Verwertbarkeit als einzigen Aspekt zur Bewertung von Material heranzuziehen, ist typisch für die output-orientierte Ausrichtung in einer materiellen Sichtweise.

Doch es gibt auch ein anderes Verständnis von Dingen.

Die Seele als Eigencharakter aller Dinge

Traditionelle Gesellschaften wie indigene Kulturen gehen davon aus, dass in allem, was aus materieller Perspektive ein „Ding“ ist, eine eigene Seele steckt, die gewürdigt werden will. In jedem Gegenstand ist ein innerer, nicht materieller Wert verborgen, den er verkörpert.

So sind Strohhalm, Bohne und Kohle Produkte der Zusammenarbeit von Mensch und Natur, ohne die es sie nicht gäbe. Insofern enthalten sie sowohl die Gaben der Natur als auch die gekonnte Bearbeitung durch den Menschen. Sie wohnt ihnen inne, das ist ihr eigentlicher Wert, ihre Seele. Welchen materiellen Wert sie dann von außen erhalten, ist davon nur teilweise abhängig.

Darüber hinaus hat die Transformation ihres ursprünglichen Zustandes in einen neuen, von Menschen gewollten, dank eines alchimistischen Prozesses stattgefunden; dem wurden sie unterzogen. Der Umgang mit ihnen verlangt deshalb Dankbarkeit, Achtsamkeit und Wertschätzung. Grober Umgang könnte ihnen ja weh tun und ihre Würde verletzen!

Damit verbunden ist die Anerkennung, was nötig war, dass es sie überhaupt gibt! Viele Arbeitsschritte und Prozesse im Zusammenwirken! Achtlos behandeln, einfach wegwerfen? Das geht gar nicht….

Ob im Zeitalter der industriellen Produktion diese Sichtweise noch angebracht ist? Die Antwort darauf lautet: mehr denn je! Nur so geht Nachhaltigkeit und ein menschlicher Umgang in Wertschätzung gegenüber der Natur, den Menschen und den aus ihrer Schöpfung entstandenen Dingen. Nichts ist nur ein für die Verwertung nützliches Produkt, alles ist in sich schon Ergebnis einer produktiven Zusammenarbeit!

Faktoren einer erfolgreichen Zusammenarbeit

Was bedarf es, damit die Zusammenarbeit in Gemeinschaft erfolgreich ausgeht?

1. Angemessene Selbsteinschätzung

Es braucht in erster Linie die Erkenntnis dessen, welcher Beitrag des einzelnen möglich ist. Überschätzung, Fehleinschätzung oder eine falsche Selbsteinschätzung der eigenen Qualitäten und Möglichkeiten sind fatal. Gar nicht so einfach, wenn hierfür noch keine Erfahrungswerte vorliegen! Eben alles eine Frage der Perspektive als geduldiger Prozess….

2. Ausgehend hiervon eine gute Planung

Das meint, in das Reich der Möglichkeiten und Wahrscheinlichkeiten einzutauchen, um daraus eine geeignete Lösung herauszukristallisieren. Was gilt es zu beachten? Wie sind die Gegebenheiten? Gefragt sind Analysefähigkeiten, Lösungsorientierung und die Kraft der Umsetzung.

3. Erkunden der neuen, ungewohnten Umgebung

Welche Herausforderungen bestehen, um Handlungsmöglichkeiten in einer bestimmten Umgebung einschätzen zu können? Das erfordert eine Öffnung des eigenen, engeren Erfahrungs- und Kenntnisschatzes, um Neues aufnehmen zu können. Doch nicht nur das: das Unbekannte will erforscht werden, wie auch immer. Ein spannender Prozess!

An dessen Anfang mag folgender Impuls stehen: „Allem wohnt eine Seele inne.“
Ein wahrer Türöffner für die Freisetzung von Kreativität! Einfach selbst ausprobieren – und genießen! Spätestens, wenn Sie ein Bohnengericht für Ihre Mahlzeit zubereiten …

Fotos: DALL – E

Donner & Reuschel

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