ECKSTEINE DES LEBENS: VON KINDERN LERNEN
Nicht selten denken wir an die meist unbeschwerte Zeit unserer Kindheit zurück und wollen sie in die Gegenwart holen. Das ist sinnvoll! Von Kindern lernen wir viel.
Hier erfahren Sie mehr über
- Das „Ewig-Kindliche“
- Spielerisches Kulturschaffen
- Kind bleiben als Erwachsener
Text Wolfgang Eckstein
Wolfgang Eckstein ist 95 Jahre jung. Der Jurist war u.a. Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bayerischen Bekleidungsindustrie, gründete den Verband deutscher Modedesigner, den Modekreis München und eine Stiftung für die Modeindustrie. Für PURPOSE schreibt er exklusiv.
Eigentlich bin ich nie richtig erwachsen geworden. Wahrscheinlich, weil ich mich ein Leben lang dagegen gewehrt habe, das zu werden, was man heutzutage einen richtigen Erwachsenen nennt: ein entzaubertes Krüppelwesen, das in einer banalen, aufgeklärten Welt voller fantasieloser Realitäten existiert.
Bestätigung für mein Verhalten habe ich in dem Wort eines großen Schriftstellers gefunden: „Wenn wir ganz und gar aufhören, Kind zu sein, dann sind wir schon tot.“ (Michael Ende). In jedem Menschen, der noch nicht ganz unschöpferisch geworden ist, lebt dieses Kind.
DIE URALTEN FRAGEN
Was haben denn die großen Philosophen und Denker anderes getan, als sich den uralten Kinderfragen neu zu stellen: Woher komme ich? Warum bin ich auf der Welt? Wohin gehe ich? Was ist der Sinn des Lebens? Es kann nicht anders sein, dass die Werke der unvergessenen, überragenden Dichter, Maler, Musiker und Kreativer auf vielen Gebieten dem Spiel des ewigen und göttlichen Kindes in ihnen entstammen.
DAS EWIG-KINDLICHE
Unabhängig vom äußeren Alter lebt das Kind in uns und es verliert nie die Fähigkeit, zu staunen, zu fragen und sich zu begeistern. Dieses Kind ist verletzlich, leidet, hofft, verlangt nach Trost. In ihm liegt bis zu unserem letzten Lebenstag unsere Zukunft. Man könnte dem Begriff Goethes vom „Ewig-Weiblichen“ das „Ewig-Kindliche“ hinzufügen, ohne das der Mensch aufhört, Mensch zu sein. Der literarische Kreis umfasst auch noch Erich Kästner, der kategorisch sagt: „Nur wer erwachsen wird und ein Kind bleibt, ist ein Mensch.“
„ICH WILL DOCH NUR SPIELEN“
Wenn Marc Chagall auf seine Bildern Liebespaare über die Dächer von Paris fliegen lässt, wenn auf einem Hüttendach ein Ziegenbock Geige spielt, wenn Engel mit Bettlern wie mit ihresgleichen reden, dann erzählt uns der Maler Dinge, die den Herz-Ton des Ewig-Kindlichen treffen. Und wenn uns diese Bilder in Begeisterung versetzen, so hat eben dieses in uns geantwortet.
Selbst der große Frauenverächter Nietzsche war sich des Ewig-Kindlichen bewusst und formuliert es auf seine, nicht ganz umfassende Weise: „In jedem Mann ist ein Kind verborgen, das spielen will.“ Es wäre nötig, ihn zu korrigieren und ergänzend zu sagen: „In jedem Menschen ist ein Kind verborgen, das spielen will.“
NICHT WIE DIE KINDER SEIN, SONDERN WIE SIE WERDEN
Haben Hundertwasser, Heller, Dali, Picasso, Gaudi und eine Vielzahl anderer großer Künstler auf allen Gebieten nicht auch wie Kinder mit ihren Ideen, Fantasien und Vorstellungen gespielt und unvergessliche Werke für unsere Augen und Ohren geschaffen? Und sind dies nicht überzeugende Argumente, sich dagegen zu wehren, erwachsen zu werden, um auf diese Weise die Neugierde und die Fantasien des Kindes in uns zu erhalten und ein Leben voller absichtsloser Abenteurer zu leben?
„Wenn ihr nicht umkehrt und werdet wie die Kinder“, heißt es im Matthäus-Evangelium, „werdet ihr nicht in das Himmelreich hineinkommen.“
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Fotos: iStock, Unsplash / Senjuti Kundu, Alina Prokudina, Jared Sluyter