Eule vor dunklem Hintergrund

Was ist Ihr Handlungsmotor?

Welcher Motivation entspringt Ihr Handeln? Ist es Angst oder Übermut wie im Märchen „Die Eule“ der Gebrüder Grimm? Eine Betrachtung realitätsferner Emotionen und die Kraft eines Narrativs.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Motivation & Das Grimm’sche Märchen „Die Eule“
  • Ansteckende Angst
  • Mut und Übermut

Text Irmela Neu

Schwarz-Weiß-Bild von Prof. Dr. Irmela Neu.

Prof. Dr. Irmela Neu lehrt Interkulturelle Kommu­nikation in Spanien und Lateinamerika an der Hochschule München für angewandte Wissenschaften (HM), gibt Seminare zu emphatischer Kommu­nikation, ist Autorin und studierte Politologin. www.irmela-neu.de

Das Märchen „Die Eule“ versetzt uns gleich zu Beginn in frühere, vom Aberglauben, von Geisterwelten und Gespenstern geprägte Zeiten, indem es uns mit folgenden Worten in das spätere Geschehen einführt:
„Vor ein paar Hundert Jahren, als die Leute noch lange nicht so klug und verschmitzt waren, wie sie heutzutage sind, hat sich in einer kleinen Stadt eine seltsame Geschichte zugetragen.“

Ob sich daran wirklich auch in unserer, als „Moderne“ geltenden Zeit etwas grundlegend oder auch nur ein bisschen geändert hat, nun, diese Entscheidung überlasse ich Ihnen, geneigte Leser.

Doch schauen wir uns des Weiteren das Märchen im Detail an.

Was also war in grauer Vorzeit geschehen?

Aus ihrer Gemeinschaft des Eulenverbandes besonders großer Eulen, den sog. „Schuhu“ Eulen im Walde, hatte sich eine große Eule in eine Stadtscheune („Scheuer“) verirrt. Heutzutage sind Eulen eine Seltenheit geworden, ihr Ruf ist deshalb im Stadtgebiet gar nicht mehr zu hören. Erinnern wir uns: Eulen sind als Nachttiere seit der Antike das Symbolzeichen für Weisheit.

Die entschwundene Eule hat sich in einem Schlupfwinkel der Scheune eines Grundbesitzers niedergelassen. Des Tags traute sie sich aus ihrem Schutzwinkel gar nicht mehr heraus, weil andere Vögel bei ihrem Anblick in ein „furchtbares Geschrei“ verfielen. So blieb sie also weit oben auf einem sicheren Balken in einer Ecke der Scheune und verharrte dort zumindest tagsüber.

Des morgens kam nun der Hausknecht in die Scheune und erschrak fürchterlich, als er ihrer gewahr wurde. Er war gleichermaßen in Schockstarre, dann in wilder Panik. Doch warum eigentlich?

Eule in einer Scheune umringt von Bauern

Von der Kraft der Vorstellung und der inneren Bilder

Nun, ganz klar: unser Knecht nahm die Eule nicht als ein vielleicht verängstigtes, aufgescheuchtes Tier wahr, sondern ein gewaltiges Ungeheuer. Er lief zu seinem Herrn und vermeldete ihm das Vorhandensein eines „Ungeheuers, wie er Zeit seines Lebens keins erblickt hätte; es dreht die Augen herum und könnte einen ohne Umstände verschlingen.“

Ein schlangenähnliches Monsterwesen also! Ein bedrohliches Ungetüm! Gefahr im Verzuge!

Und was löst diese Notmeldung bei seinem Herrn aus? Aktivierte sie dieselbe Panik und blind machende Angst vor Ungeheuern wie bei seinem Knecht? Glaubte er ihm überhaupt? Nein….

Von der ansteckenden Dynamik der Angst

In den Augen seines Herrn war unser Knecht alles andere als glaubwürdig. Er hält ihn sogar für überaus ängstlich – so sehr, dass er ihm ins Gesicht schleudert:

„Ich kenne dich schon! Einer Amsel im Feld nachzujagen, dazu hast du Mut genug, aber wenn du ein totes Huhn liegen siehst, so holst du dir erst einen Stock, ehe du ihm nahekommst.“

Drastische Worte, eine klare Ansage. Vertrauen in seinen Knecht, was dessen Mut angeht, sieht wahrlich anders aus! Der Herr hält sich für gewappnet, sich selbst ein Bild von dem Ungeheuer in der Scheune und diesem den Garaus zu machen. Deshalb geht er schnurstracks in die Scheune und blickt umher. Und was geschieht?

Beim Anblick des vermeintlichen Ungeheuers verfällt er in dieselbe Angst geladene Panik und rennt innerlich entflammt aus der Scheune. Augenblicklich alarmiert er alle Nachbarn und bittet sie „flehentlich um Beistand, dieses unbekannte und gefährliche Tier“ zu besiegen.

Welch ein bedrohlicher Feind, die Eule! Die Nachbarn reagieren prompt auf das Alarmschreien ob des Ungeheuers, das alle Bürger der Stadt bedroht und selbstsicher seinen Platz behauptet.

Wie nun bekämpfen sie das zweifellos angriffslustige Monster?

Bauer mit Mistgabel vor einem Haus

Von der Kraft des Narrativs

Es war längst ein Narrativ entstanden, dem alle wehrbereiten Bürger folgten – und handelten. Sie waren dadurch hochmotiviert, gemeinsam die sichere Bedrohung und ihren Untergang abzuwenden – nach dem bewährten Motto aller Zeiten: „Angriff ist die beste Verteidigung“.

Es war völlig klar: „Die ganze Stadt könnte in Gefahr kommen, wenn es aus der Scheuer, wo es säße, ausbräche“, wie der Herr in die aufgebrachte und kampfbereite Menge schrie.

Darum kamen auch die Autoritäten zusammen, der Herr Bürgermeister daselbst, und gemeinsam vereint schritten alle zur Tat.

Sie bewaffneten sich mit allem, was ihnen damals zur Verfügung stand, also Gerätschaften, die uns Städtern heute weniger bekannt sind, wie „Spieße, Heugabeln, Sensen und Äxte“. Sie stellten sozusagen eine Notarmee der tatkräftig Gewillten auf, und das „mit dem Bürgermeister an der Spitze.“ Jetzt war Führung gegen den Feind gefragt! Eine von Mut geprägte Strategie war überlebenswichtig! Ja, und wie sah diese aus?

Vom Übermut

Die kampfbereiten Kämpen umringten die Scheune vollständig; doch noch war kein einmütiges Vorgehen erkennbar; es preschten einige besonders mutige, nun ja, eher übermütig Beherzte hervor, um eine Heldentat zu begehen.
Doch beim Anblick der tödlichen Bedrohung von Angesicht zu Angesicht verfielen sie in dieselbe Schockstarre und Panik wie gleich zu Beginn der Knecht und sein Herr. Das Blut wich aus ihren Körpern, sie wichen – der Ohnmacht nahe – zurück und flohen in Panik.

Doch da meldet sich ein heldenhaft kriegserprobter Veteran, ein besonders kräftiger, starker Mann im besten Alter. Er fühlt sich dazu ausersehen, das Ungeheuer aus der Welt zu schaffen; „Ernst“ will er angesichts der bisherigen Kinkerlitzchen machen, mannhaft vorgehen, schleudert er doch der erwartungsvollen Menge der Wehrbereiten den Vorwurf entgegen „ihr seid alle zu Weibern geworden.“ Alle, außer ihm.
Also geht er nun tatkräftig gezielt vor. Wird er es schaffen?

Er lässt sich „Harnisch, Schwert und Spieß bringen“ und macht sich daran, die Stadt und ihre Bewohner zu retten. Die wackeren Kämpen begleiten ihn dabei mit aufmunternden Rufen. Schließlich verlangt er nach einer langen Leiter, um sich voller Kampfesmut ans heldenhafte Werk zu machen, das Ungeheuer im Zweikampf von Angesicht zu Angesicht zu besiegen. Daran waren ja bislang alle Waghalsigen vor ihm gescheitert.

Brennende Scheune in einem Dorf

DER SCHLACHTRUF DER MENGE

Inzwischen hatte sich die Eule auf einen großen Querbalken in der Mitte der Scheune gesetzt. Unser Held in spe (?) erklomm majestätisch die ersten Stufen. Der unter ihm gespannt wartende Trupp empfahl ihm so Manches, ja sogar, sich des „heiligen Georg“ gewärtig zu sein, „der den Drachen getötet hatte.“

Er näherte sich langsam der Eule. Angesichts des Geschreis der Menge, der Nähe seines Widersachers, der allgemein aufgeheizten Stimmung reagierte die Eule nervös mit Augenverdrehen, mit weitem Aufspannen ihrer mächtigen Flügel und mit dem typischen Kreischen von „Schuhu, schuhu“, das dieser eigentlich im Wald vertretenen Eulenart ihren Namen verliehen hatte. „Stoß zu, stoß zu“ rief die Menge in Analogie dazu unserem tapferen Helden zu. Folgte er diesem lautstarken Aufruf der Menge?

Beim Anblick des Ungeheuers hatte ihn der Mut verlassen, das Herz war ihm buchstäblich in die Hose gerutscht. „Zitternd“ vor Angst und wie betäubt war er; er schaffte gerade noch den Abstieg von der Leiter…. Sein Mut war eben Übermut; doch worin liegt eigentlich der Unterschied?

Vom Unterschied zwischen Mut und Übermut

Unser Möchtegern Held hatte sich auf seine früheren Ruhmestaten verlassen und hielt sich für bestens gerüstet für diese so wichtige Mutprobe als Retter der Stadt. Seine Kraft kam aus dieser Überzeugung, er wollte seinen ehrenhaften Mut beweisen. Doch dieser erwies sich als Übermut. Worin liegt der Unterschied?

Übermut entsteht aus der inneren Überzeugung, einer gefahrvollen Situation gewachsen zu sein. Der Adrenalinpusch lässt grüßen! Den Unterschied zum Mut können wir aus heutiger Sicht so formulieren: dem Übermut fehlt die gezielte, situativ angemessene mentale Vorbereitung; diese kennzeichnet den Mut, der dann beim Handeln auch zum gewünschten Erfolg führt.

Zu dieser mentalen Vorbereitung gehört zum einen die Fähigkeit, ein Narrativ als solches zu erkennen; es ist immer einseitig. Mehrere mögliche Optionen mental durchzuspielen, kennzeichnet den ersten Schritt der mentalen Vorbereitung; der zweite Schritt besteht in der klaren Entscheidung für eine Option, der dritte in der inneren Vorwegnahme der erfolgreichen Ausführung beim konkreten Handeln.

Tja, hätte unser Möchtegern Held doch diese Methode angewendet, dann wäre das Schlussdrama vielleicht vermieden worden. Doch so war sein Übermut ebenso zum Scheitern verurteilt wie bei den übrigen Kandidaten vor ihm…. Und nun?

Eule fliegt vor dem Mond

Von der Logik des Narrativs bei der Auswahl des ultimativen Mittels

Nun war guter Rat teuer. Es wollte sich niemand mehr an die Beseitigung der Bedrohung durch das gewisslich todbringende Monster heranwagen. „Das Ungeheuer hat unseren stärksten Mann durch sein Geschrei und durch Anhauchen allein vergiftet und tödlich verwundet, sollen wir anderen auch unser Leben in die Schanze schlagen?“

Aha, jetzt war unser hoffnungsfroher Held sogar vom Ungeheuer durch Gift wie beim Drachenmythos getötet worden, wie die Menge behauptete. Na klar, wer einen einzelnen tötet, kennt auch mit einer ganzen Stadt und seinen Bewohnern kein Pardon, das liegt doch auf der Hand! Höchste Gefahr im Verzug! Die weitere Dynamik nimmt ihren gradlinigen Verlauf….

Nach längeren Beratungen fand schließlich der oberste weltliche Würdenträger der Stadt, nämlich der Herr Bürgermeister, die endgültige Lösung aus der unmittelbar bevorstehenden Katastrophe:

Aus dem Budget der Stadt sollte dem Eigentümer der Scheune eine Entschädigung gezahlt werden. Dann solle die gesamte Scheune und mit ihm „das fürchterliche Tier“ verbrannt werden. Die Lösung schlechthin! Niemand braucht sein Leben zu riskieren, und mit dieser Maßnahme kommen sie garantiert ans Ziel. Erfolg auf der ganzen Linie! Schluss mit der Bedrohung! Der Sieg ist gewiss! Das Geld aus der Staatskasse sei also, so das Argument des Bürgermeisters, bestens angelegt. „Knauserei wäre an der falschen Stelle angesetzt und von Übel.“

Diesem sehr einleuchtenden Vorschlag stimmten alle begeistert zu. „Also ward die Scheune angezündet und mit ihr die Eule jämmerlich verbrannt.“ Der Schlusssatz des Märchens besagt: „Wer’s nicht glauben will, der gehe hin und frage selbst nach.“

Nachfragen wäre eins; überlegen, inwieweit dies im übertragenen Sinn auch heute noch oder wieder möglich wäre, das andere.

Über die Orientierung am Narrativ

Die letzte, drastische Maßnahme ist das Ergebnis eines Narrativs, das der Vorstellungswelt der Angst entspringt. Das Unbekannte wird dämonisiert; es findet in uns eine Verknüpfung mit einschlägigen Phantasien statt.

Was völlig fehlt: die emotionslose, und in diesem Sinn sachliche Beobachtung und Bestandsaufnahme von dem, was eigentlich real geschehen ist, zu sehen, zu hören war. Dies blockiert mögliche Lösungen, empathisch-kommunikative ganz und gar. Stattdessen ist sofort klar: es handelt sich um ein feindliches, bedrohliches Geschehen, das es zu bekämpfen gilt.

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