Ausschnitt eines Luxus-Autos.

WAS IST LUXUS?

Nichts ist so umstritten wie der Luxus, der auf unanständige Weise den Reichen vorbehalten zu sein scheint. Doch wer will nicht zu ihnen gehören? Zu recht!?

Text Nicole Roesler

Schwarz-Weiß-Bild von Nicole Roesler.

Nicole Roesler ist Marketing Expertin im Luxury und Lifestyle Segment. Als Gründerin von „German Wunderwerk“ etabliert sie europäische Marken in China und chinesische Marken in Europa.

Kaum ein Begriff polarisiert so sehr wie der des LUXUS. Wir assoziieren ihn mit Dekadenz, Überfluss, unanständigem Schwelgen in Reichtum, Saus und Braus. Kurz: unnötigem Prunk und Protz. Wo es doch einem Großteil der Bevölkerung immer schlechter geht. Der Luxus scheint dem exklusiven Club der Reichen und Mächtigen vorbehalten. Er löst weltweit Neid und Missgunst aus. Allerdings auch: großartige Begehrlichkeit.

Keine andere Branche erweckt mehr Lust auf „Haben wollen“ als die des Luxus. Wer will nicht diesem exklusiven Club angehören? Sich in der Sonne der Reichen und Schönen aalen. Und sei es nur durch den Besitz eines Statussymbols. Zum Beispiel dargestellt dadurch, dass die Spitze eines Montblanc-Füllers aus der Sakkotasche von Brioni lugt … Die Kelly Bag von Hérmes lässig am Ärmel des Gucci-Outfits schlenkert, der Louis Vuitton-Vielreisekoffer stolz ins Gepäckfach der ersten Klasse der Emirates gelegt wird? Keine Frage, die Darstellung solcher Statussymbole macht viele stolz.

Doch geht es beim Luxus wirklich nur um Status und dessen Darstellung? Die Unvernunft der Geldverschwendung? Wo dieses Gut doch so ungleich verteilt ist …

PRUNK UND PROTZ? ODER MANIFESTATION WAHRER WERTE?

Ich möchte eine Lanze brechen für den Luxus. Schauen wir uns diesbezüglich seine Definition an. Luxus = „kostspieliger, verschwenderischer, den üblichen Rahmen (der Lebenshaltung) stark übersteigender, nur dem Genuss und Vergnügen dienender Aufwand“.

Das klingt verwerflich. Sündhaft. Verschwenderisch. Hirnverblendet und, oh Hölle, so, als ob den Jüngern des Luxus jegliche Bodenhaftung verloren gegangen ist. Wieso muss ein Besos ins All fliegen, anstatt sein Vermögen den vielen Opfern eines Lebens in Armut zu spenden?

Diese Frage stellt sich ein Großteil unserer Weltbevölkerung. Natürlich führen solche überflügelten Ausflüge zu den Sternen des Luxus zu Kritik, Sympathieverlust, Neid, Missgunst und zum Feindbild des Begriffs per se. Zu Recht!?

MANIFESTATION WAHRER WERTE?

Vielleicht ist es an der Zeit, diesen Begriff, der weltweit Verwerflichkeit wie Begehrlichkeit erweckt, neu zu definieren? Gerade in dieser Zeit sich wandelnder Werte einer Welt, die sich radikal im Umbruch befindet. Werte werden neu definiert. Warum also nicht auch der des Luxus?

Sehen wir uns dazu benachbarte Werte an, machen wir ein „Benchmarking“ ,wie es in Marketing-Kreisen so schön heißt. Wer sind denn Schwesterlein und Brüderlein von „GRAND MADAME LUXUS“? Ich würde sagen: DEKADENZ und HEDONISMUS.

Genau betrachtet gibt es einen eklatanten Unterschied zwischen den Geschwistern:
DEKADENZ: „[kultureller] Zustand, der als durch Überfeinerung in Lebensgewohnheiten und Ansprüchen entstandener Verfall angesehen wird.“

HEDONISMUS: „Anschauung, nach der das höchste ethische Prinzip das Streben nach Sinnenlust und -genuss ist, das private Glück in der dauerhaften Erfüllung individueller physischer und psychischer Lust gesehen wird“.

  • Blick von oben auf große Häuser am Wasser.
  • Mann vor einem Sonneuntergang.

LUXUS, DEKADENZ, HEDONISMUS.

Der gemeinsame Nenner, darum kommen wir nicht herum, ist: Egozentrik samt Überhöhung. Genau das sind die Mechanismen, mit denen die Luxusindustrie erfolgreich wirbt und agiert. Dazu kommt ein weiteres wichtiges Element: LIMITATION! Denn Luxus ist begrenzt. Was begrenzt ist, ist begehrlich und wird zum Luxusgut.

Der ehemalige Vorstand von MONTBLANC Wolff Heinrichsdorff definiert es so: ein Luxusgut ist, was ich über Generation weitervererbe. Und genau hier, in der Limitation und in den nachhaltigen Werten von Tradition, Qualität und stetiger Passion zu weltbestem sogenannten „360 Grad“ Auftritt eines Markenunternehmen liegt das Rezept zum Erfolg.

Hinzu kommt noch: die Individualisierung! Der Luxus hilft uns, aus der Masse der Lemminge herauszustechen. Wobei wir wieder bei der Egozentrik sind. Doch ist die wirklich verwerflich?

WERTE FÜR DIE EWIGKEIT

Die nachhaltige Facette des Luxus: Werte für die Ewigkeit erschaffen. Ist es nicht unser aller Bedürfnis, den Menschen, die es uns etwas bedeuten, etwas Werthaltiges mitzugeben? Fußstapfen zu hinterlassen in einer Welt des Wandels! Was, bitteschön, ist denn daran verwerflich? Ist es doch seit jeher ein stetes Streben des Menschen, sich ein Stück Ewigkeit zu erschaffen in dieser Lebenszeit, die von Endlichkeit geprägt ist.

Der eine baut ein Haus, pflanzt einen Baum, die allermeisten Menschen pflanzen sich fort. Und die, die es sich leisten können, genießen das Leben eben auch im Luxus. Wenn Nachhaltigkeit, Achtsamkeit und Wertschätzung sowie Genuss statt Verdruss im Überfluss die Quellen der vermeidlichen Verschwendung sind und wir es uns leisten können: warum nicht?

Ich verlasse die Welt der Luxuslabels, die das bestens erkannt haben. Chapeau! Nachhaltige Qualität, Glaubwürdigkeit, Limitation, Individualisierung und die Umsetzung dieser Werte machen aus den weltweiten Luxusmarken Ikonen die, so sie das holistisch und richtig über alle Facetten hinweg leben, für immer erfolgreich sind!

Eine Yacht im Meer.

IST LUXUS VIEL MEHR?

Gerade in diesen Zeiten einer weltweiten Pandemie wird doch klar, welches die wahren Werte sind: Menschlichkeit. Zusammenhalt. Freiheit. Gesundheit. Liebe.

Ja, das Leben ist endlich. Das wird uns gerade drastisch klargemacht. Alles, was vorher selbstverständlich war, ist in Frage gestellt. Unsere Selbstbestimmung wird zum größten Luxus. Beziehungen leiden unter Spaltung. Unterschiedliche Lebenseinstellungen teilen die Welt. Es gibt eklatante Zerwürfnisse zwischen verschiedenen „Glaubensrichtungen“.

Auf diese möchte ich nicht näher eingehen. Denn die Essenz ist in folgendem Zitat von Johann Wolfgang von Goethe treffend zusammengefasst:
„Man tanzt, man schwatzt, man kocht, man liebt;/Nun sage mir, was es Besseres gibt“?

LUXUS IST LEBEN PUR

Worauf will ich hinaus? Luxus ist doch das Leben pur. Die Zeit, die wir auf dieser Welt verbringen dürfen. Gesundheit. Miteinander sein. Liebe. Die Natur. Die Genüsse wie gutes Essen und Trinken. Geselligkeit und die Freiheit, das zu tun, was unser Herz begehrt.

Die aktuelle Situation zeigt uns: All das ist limitiert. Vielleicht waren wir zu dekadent oder hedonistisch, dies für selbstverständlich zu nehmen. Wir denken ja stets viel mehr an das, was wir nicht haben anstatt uns an dem zu erfreuen, was wir haben.

Und: schlussendlich nehmen wir nichts mit ins Jenseits. Das letzte Hemd hat keine Taschen. Also gilt es doch, das Leben zu zelebrieren, solange wir es können. Das Leben, die Liebe, den Genuss. Und: warum nicht auch den Luxus?

Mein Fazit: Ich denke, es ist an der Zeit, den Begriff Luxus neu zu definieren.

Jeder für sich. Manch einer findet seinen Luxus in der Zeit für sich, ein anderer in einer warmen Mahlzeit am Tag. In der Reduktion auf das Wesentliche anstelle von Prunk und Protz. Und für manche oder auch nur manchmal darf es halt, frei nach Johannes Mario Simmel, auch Kaviar sein.

Fotos: Unsplash / Lance Asper, Arian Darvishi, Austin Mabe, Nikldn

Sie möchten nichts mehr verpassen? Hier erhalten Sie spannende Nachrichten zu Finanzen und vielen weiteren Themen.