Weihnachtspost
Unsere Autorin hat einen Entschuldigungs-Brief an unserer aller Mutter geschrieben: Mutter Erde. Und hier ist deren Antwort darauf.
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- Umweltpolitik
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- Unverzeihliches
Text Barbara Imgrund
Barbara Imgrund ist freie Literaturübersetzerin und Autorin sowie ehrenamtlich im Hospizdienst und im internationalen Tierschutz tätig. barbara-imgrund.de
LIEBE MUTTER,
Du wunderst Dich sicher über Post von uns. Aber Weihnachten naht, und natürlich denken wir jetzt besonders an unsere Lieben – vor allem an Dich. Unsere Staatsoberhäupter haben sogar eine Weltklimakonferenz einberufen, weil sie sich Sorgen um Deine Gesundheit machen. Und ein Teil unseres eigenen Nachwuchses geht regelmäßig für dich auf die Straße und klebt sich daran fest – das ist doch mal voller Körpereinsatz, oder?
Wir, der Rest der Menschheit, wollen da nicht hintanstehen und das Unsere tun. Du bist eine rüstige Dame, und wir haben Dir Kummer gemacht, und jetzt bist Du vielleicht nicht mehr ganz so rüstig. Das tut uns leid.
Wir dachten, Du seist unsterblich, aber denken Kinder das nicht immer von ihren Eltern? Zum Glück lebst Du ja noch. Und wir machen es wieder gut. Versprochen.
Na, vielleicht nicht alles. Aber viel. Oder doch einiges. Du hast ja recht, wenn du uns nun bestrafst; bestraf uns nur nicht zu hart. Vielleicht hätten wir es mit etwas weniger Hybris und etwas mehr Haltung angehen sollen. Vielleicht hätten wir unsere Brüder und Schwestern, die so gut schmecken, nicht rücksichtslos ernten und schlachten sollen. Vielleicht hätten wir nicht ausrotten und ausbeuten sollen, was wir in die Finger bekamen. Aber wir waren eben Kinder und wussten es nicht besser.
Deshalb musst Du uns verzeihen – aber das tun Mütter ja sowieso immer. Es wird nicht wieder vorkommen. Höchstens vielleicht nur noch ganz ausnahmsweise. Du weißt doch, wie das ist, wenn man Verpflichtungen hat. Und schließlich: Jeder hat eine zweite Chance verdient. Oder?
Hast Du uns jetzt wieder lieb?
Wir wünschen Dir frohe Weihnachten!
Deine Kinder
P.S.: Und gute Besserung!!!
LIEBE KINDER,
Ihr könnt mich mal. Rüstige Dame? Potzblizzard, Tsunami und Taifun! Spart Euch Eure besinnliche Betroffenheit, Eure Lippenbekenntnisse, Eure Selbstgeißelung: Das zieht bei mir nicht. Hätte, hätte, Fahrradkette …
Ich bin alt und Eurer Selbstherrlichkeit müde – aber so alt und müde nun auch wieder nicht, dass ich nicht noch ein paar Sternzeiten weitermachen könnte. Und sehr gern auch ohne Euch, wenn Ihr nicht bald die Klappe haltet und die Ärmel hochkrempelt.
Vernunft und Gefühl hatte ich Euch mitgegeben und Euch dann machen lassen, um zu sehen, ob das geht. Es ging, und zwar in die Hose.
Dumme Gören seid Ihr, die ständig mit dem Feuer spielen und erst erschrecken, wenn alles lichterloh brennt.
Ihr schlagt mir tiefe Wunden, die vielleicht nie wieder heilen, und reißt mir die Eingeweide aus dem Leib; Ihr vergiftet die Luft, sodass sie alles krank macht, was atmet; Ihr trübt mein Wasser mit Eurem Dreck; Ihr zerstört und tötet, worauf Euer Blick fällt. Eure Geschwister, die Wesen, die neben Euch leben, hätten Eurer Fürsorge bedurft – zu spüren bekamen sie nichts als Raffgier, Gewalt und Herzlosigkeit.
Lasst Euch daran erinnern, dass Ihr mich mehr braucht als ich Euch. Ihr wart ein Experiment, eine Laune. Doch Experimente schlagen fehl, und Launen gehen vorüber. Es wird sein, als hätte es Euch nie gegeben, als hättet Ihr nie meine Kreise gestört. Und es wird sicher gut so sein.
Liebt mich in Euren lichten Momenten. Und fürchtet mich, wenn es dunkel wird, wenn ich Stürme entfessle, Erdbeben und Sintfluten, Dürren, Hungersnöte und Epidemien. Ich überlebe, so oder so. Ihr, wenn ihr so weitermacht, nicht.
Bessert gefälligst Ihr Euch!
Eure Mutter
P.S.: Zweite Chance? Wovon träumt Ihr nachts?
Fotos: DALL-E