Die Wunder des Hundes

Die Wunder des Hundes

„Das letzte Wort über die Wunder des Hundes ist noch nicht geschrieben“ – diesem Satz des amerikanischen Schriftstellers Jack London habe ich nichts hinzuzufügen. Außer meiner eigenen Geschichte.

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Text Barbara Imgrund

Barbara Imgrund

Barbara Imgrund ist freie Literaturübersetzerin, Autorin und ehrenamtlich im Hospiz- und Besuchshunde­dienst tätig. Sie liebt Tiere; Hunde im Allgemeinen und Mali im Besonderen sind ihre Seelentiere. Mehr über sie: www.barbara-imgrund.de

Der vertraute Wolf

Der Haushund kommt in der Natur nicht vor, er ist eine Erfindung des Menschen. Sein wissenschaftlicher Name Canis lupus familiaris deutet es an: Er ist der „vertraute Wolf“, den wir aus dem wilden Wolf (Canis lupus) gezüchtet haben, damit er unser Leben leichter und schöner machen möge – als Jagdhelfer, als Beschützer unserer Herden und unseres Besitzes ebenso wie als treuer Freund und Kamerad.
Doch weil der Hund auf das Zusammenleben mit dem Menschen hin programmiert wurde, wird er immer dessen Nähe suchen müssen; er kann gar nicht ohne ihn leben, selbst wenn er nicht mit ihm leben darf. Millionen Straßenhunde, die rund um den Globus ein elendes Dasein fristen, zeugen von dieser unserer Verantwortung, der wir nicht nachkommen.

Für mich war daher immer klar, dass ich mir keinen Rassehund bestellen würde, der noch gar nicht auf der Welt war. Ich wollte nicht dazu beitragen, dass noch mehr Hunde produziert wurden, während es doch schon so viele gab, die pfotenringend auf ihren Zweibeiner warteten. Ich wollte lieber einen jener Ausgestoßenen adoptieren, um wenigstens diesem einen ein schönes Leben zu machen – und mir ein gutes Gewissen.

Bild eines Waldes

Hündisch für Anfänger

Er wurde eine Sie. Ich erinnere mich noch genau an den ersten Blick in ihre bernsteinfarbenen Augen, in die zu schauen ich bis heute nicht müde werde. Mali saß in einer Transportbox auf einem Gepäckwagen, den ihr Flugpate an jenem späten Sonntagabend in die Ankunftshalle des Frankfurter Flughafens schob. Neugierig sah ich durch den Sichtschlitz ins dunkle Innere der Box. Zwei Augen leuchteten mir wie Sterne entgegen, so eindringlich, dass es mir den Atem verschlug. Mein kleiner Import aus Madrid wirkte ganz und gar nicht verstört vom Flug, von der Umgebung. Sie zog sich nicht in sich zurück. Sie wollte wissen. Fragte, wer ich war. Und ich begann zu ahnen, welch großer Geist in diesem mageren Körper wohnte.

Es war dennoch keine Liebe auf den ersten Blick. Zu Hause angekommen, entpuppte Mali sich als kleiner Dämon, fahrig, unsicher, hektisch. Sie schottete sich hermetisch gegen jeden Annäherungsversuch ab, physisch wie psychisch; ein bisschen Streicheln ging zur Not, mehr konnte ich bitte schön nicht erwarten. Und sobald wir das Haus verließen, löste ich mich für sie sowieso in Luft auf. War ich drinnen in ihren Augen noch halbwegs hinnehmbar, so verlor ich jenseits der Haustür jegliche Existenzberechtigung und wurde zum lästigen Klotz am Bein. Und dann diese Leine! Den Jagdhund, der in Mali steckte, behinderte sie doch sehr. Es gab so viel Wichtiges da draußen, und das war so ziemlich alles, was nicht ich war.

Dankbarkeit? Treue Ergebenheit? Selten so gelacht! Mali wurde mir täglich fremder. Ich ging tapfer mit ihr in die Hundeschule und beherrschte längst die Zwei-Sekunden-Regel und das kleine Einmaleins der positiven Verstärkung, doch ich bekam einfach keinen Zugang zu ihr.

Ich hatte das Gefühl, dass sie mich an ihrem sechs Monate alten spanischen Dickschädel zerschellen lassen wollte.

Da war kein Miteinander, nur Kleinkrieg. Als ich mich nach vier Wochen bei dem Gedanken ertappte, sie zurückzugeben, heulte ich wie ein Schlosshund. Das hier war ein Albtraum, aus dem ich nicht aufwachen konnte, weil ich schon wach war.

  • Labrador frisst ein Leckerlie
  • Jack Russel Terrier

Ich helfe dir, mir zu helfen

Ende Gelände – allmählich ging es ans Eingemachte für mich. Denn es gab noch einen Grund, warum ich einen Hund in mein Leben gelassen hatte: Dort war kein Licht mehr, nirgends, und ich hatte gehofft, mein Vierbeiner könnte das Schwarz vertreiben. Weit gefehlt. In der ersten Zeit mit Mali fiel ich erst einmal ins Bodenlose, bis ich den tiefsten anzunehmenden Punkt erreicht hatte. Da saß ich in meinem schwarzen Loch und verzweifelte vor mich hin, und erst, als es nicht noch dunkler werden konnte, ging mir ein Kronleuchter auf. Ich begriff, dass ich es nicht meinem Hund aufbürden durfte, für meine Auferstehung wie Phönix aus der Asche zu sorgen. Das war ganz allein meine Baustelle.

Diese veränderte Sicht auf die Dinge brachte die Wende. Vor mir lag plötzlich ein Weg ins Freie, wo ich mir vorher in einer Sackgasse den Kopf blutig gestoßen hatte. Zu den Sanierungsarbeiten auf meiner Baustelle gehörte zuallererst, dass ich das Hintertürchen zumauerte, das ich mir die ganze Zeit über offengehalten hatte. Ich hatte dieses Tier in mein Leben geholt, und jetzt war sein Schicksal meine Pflicht und Schuldigkeit, ohne Wenn und Aber und Umtauschrecht.

Zweitens fielen mir die Spiegelneuronen ein: Ich selbst musste ruhiger und sicherer werden, damit mein Hund ruhiger und sicherer werden konnte. Und drittens hieß das Gebot der Stunde Schleppleinentraining, dreimal täglich drei Monate lang: Bindungsarbeit zwischen Zwei- und Vierbeiner, voller Erfolgserlebnisse und Rückschläge, anstrengend und intensiv und der Schlüssel zum Glück, den ich hiermit jedem überreiche, der ihn haben will.

Ich begann, nichts weniger als das Beste zu geben. Ich arbeitete ebenso an mir, wie ich Mali an sich arbeiten ließ. Wir wuchsen zusammen und aneinander, jeden Tag ein winziges bisschen mehr. Wir lernten Geduld, Nachsicht und Vertrauen. Mali begriff, dass ich ihre Lebensversicherung war, dass ich auf sie aufpasste und dass sie sich auf mich verlassen konnte.
Und ich begriff, dass sie meine Lebensversicherung war, dass sie auf mich aufpasste und dass ich mich auf sie verlassen konnte.

Frau hält den Hund in den Armen

Die unsichtbare Leine

Dann kam der Pfingstmontag jenes ersten gemeinsamen Jahres: Mitten im Wald überfiel uns der Heilige Geist, ich weiß es noch wie heute – er flüsterte, dass wir so weit waren. Ich beschloss, ihm zu glauben, nahm all meinen Mut zusammen und leinte Mali ab. Sie flitzte davon, begann mit zuckender Nase hier und dort zu schnuppern und gab mit nichts zu erkennen, dass sie sich noch an meine Wenigkeit erinnerte.

Mit klopfendem Herzen ließ ich sie eine Weile gewähren, dann holte ich tief Luft und rief unser Zauberwort. Und das Wunder geschah: Sie riss den Kopf hoch, blickte zurück … und raste im Schweinsgalopp zu mir, als hätte ich soeben lebenslang freie Leberwurst für alle ausgelobt. Im Freudentaumel versenkte ich das schwer verdiente Leckerli in meinem Hund und konnte mein Glück kaum fassen.

Menschen Hand und Hundepfote berühren sich

Seit dieser Sternstunde hält unsere unsichtbare Leine: Mali darf frei laufen, doch ich weiß, dass ich ihr Leuchtturm bin, zu dem sie immer wieder zurückfinden will. Dieses Miteinander, für das wir beide hart geschuftet haben, machte weite Räume auf. Mein kleines Fräulein gab Verantwortung und Kontrolle an mich ab, weil sie mir endlich zutraute, dass ich sie beschützen konnte. Mit einem Mal war sie die Ruhe in Person, ausgeglichen und zufrieden. Und als ich das sah, konnte auch ich endlich gelassen und glücklich werden, weil ich plötzlich wusste, was mir wirklich wichtig war.

Und selbst heute, viele Jahre später, rücken wir enger und enger zusammen in unserer verschworenen Schwesternschaft, die längst symbiotisch geworden ist. Oft genug stehe ich dabei in Malis Schatten, denn noch als Seniorin verbreitet sie Sonnenschein, Liebreiz und Lebensfreude, wo sie geht und steht – was uns nicht nur im Alltag, sondern auch bei unseren ehrenamtlichen Einsätzen als ausgebildetes Besuchshundeteam auf einer Heidelberger Palliativstation Türen und Herzen öffnet.

Hund rennt neben einem Feld Sonnenblumen
Und das ist "Mali"

Mein Guru hat vier Beine

Über das Wesen von Beziehungen habe ich nie mehr gelernt als in dem Intensivkurs, den ich bei Mali belegt habe. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Hund ist tatsächlich persönlichkeitsbildend – für den Halter, versteht sich, das andere Ende der Leine hat ja schon eine Persönlichkeit. Die Reise an der Seite unseres Vierbeiners führt uns durch dick und dünn und an die fernsten Ziele, die uns vorher nicht erreichbar schienen, und am Ende sogar zu uns selbst. Wir müssen seine Sprache lernen, denn schließlich sind wir die Intelligenzbestien, haben Misserfolge zu verkraften und machen uns kleine und große Sorgen um dieses Kind, das nie erwachsen werden wird, und das wir meistens doch irgendwann gehen lassen müssen. Aber wir bekommen dabei auch so viel: Sinn, Selbsterkenntnis, sofern wir sie zulassen, Wachstum als Mensch, Freude jeden einzelnen Tag, an dem die Sonne wieder aufgeht, und den treusten Freund, den wir diesseits des Regenbogens kriegen können.

Der Deal ist, dass wir uns all das verdienen müssen. Unser Hund ist kein Spielzeug, sondern ein Lebewesen aus eigenem Recht. Er hat nicht darum gebeten, zu uns kommen zu dürfen – es war unsere Entscheidung, deshalb müssen wir ein Hundeleben lang dafür geradestehen. Futter, medizinische Versorgung, Zeit, Familienanschluss im Haus, nicht in der Hundehütte, Auslauf in der Natur, Kontakt mit Artgenossen, sach- und artgerechte Erziehung und liebevolle Zuwendung sind das Honorar für die Wunder, die unser Hund in unserem Leben wirkt. Es zu begleichen, sollte so selbstverständlich sein wie die Bezahlung beim Einkaufen: Unser Hund hat schließlich dasselbe Recht auf Glück wie wir.

Meiner ist bis heute ein Freigeist geblieben, der durchaus nicht immer aufs Wort gehorcht – er ist eben kein Automat wie aus dem Lehrbuch, sondern ein Geschöpf aus dem richtigen Leben. Umso stolzer bin ich darauf, dass ich mich des Respekts und der Zuneigung meiner kleinen Lebensgefährtin für würdig erwiesen habe.

Mali bedeutet übrigens „Reichtum“ auf Swahili, und ich hätte keinen besseren Namen für sie finden können. Denn für mich ist sie wirklich ein Schatz: Sie hat mir den Lichtschalter gezeigt, ich musste ihn nur noch umlegen; jetzt ist es viel heller in meinem Leben als zuvor. Kein Zweibeiner hat je etwas so Großes für mich getan.

Fotos: Privat, Adobe Stock, iStock, Unsplash / Victor Grabarczyk, Helena Lopes, Tamas Pap

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