Zwei Spiele des Lebens
Zwei Spiele beeinflussen maßgeblich unsere Zufriedenheit im Leben – ein äußeres und ein inneres. Acht Erkenntnisse darüber, wie sich beide erfolgreich gestalten lassen.
Text Felix Grewe
Felix Grewe ist Journalist, Autor, Coach und zertifizierter Facilitator der weltbekannten „The Inner Game“ Methode von Timothy Gallwey. Neben dem Tennissport sind Glück & Zufriedenheit sowie Sinn & Erfüllung seine Lebensthemen.
Wann haben Sie sich das letzte Mal so richtig angestrengt? Bestimmt kennen Sie dieses Phänomen: Sie wollen unbedingt ein Ziel erreichen – sei es im Job, im Sport oder im Privatleben – und geben sich größte Mühe, um nicht zu tun, was nicht getan werden darf und stattdessen das zu befolgen, was scheinbar befolgt werden sollte.
Zuerst die schlechte Nachricht: Dieser Weg führt nur selten zum Erfolg, und wenn, dann nur kurzfristig und unter Aufgabe jeglicher Leichtigkeit.
Die gute Nachricht: Es gibt einen einfacheren Weg, seine Leistungen zu verbessern und die Ziele zu erreichen.
Die Kurzform: Man verzichte auf jede Form angestrengten Bemühens und ersetze es durch das Vertrauen in die natürliche Fähigkeit des Menschen, direkt aus seinen Erfahrungen zu lernen.
„The Inner Game“ von Timothy Gallwey
Was erst einmal überraschend klingen mag, ist der zentrale Grundsatz der „The Inner Game“-Methode von Timothy Gallwey. Der 83-jährige Amerikaner wird häufig als „Vater des modernen Coachings“ bezeichnet, sein Coaching-Ansatz gilt als einer der erfolgreichsten der Welt.
Gallwey entwickelte „The Inner Game“ in den 70er-Jahren auf einem Tenniscourt in Kalifornien, als er feststellte, dass seine Schüler ihr Spiel durch einfache Wahrnehmungsübungen viel schneller und nachhaltiger verbesserten als durch technische Anweisungen des Trainers. In den vergangenen Jahrzehnten transferierte er die Erkenntnisse aus dem Sport in die Businesswelt. Er coachte bis heute Tausende Mitarbeiter globaler Konzerne von AT&T und Coca-Cola über IBM bis zu Apple.
Mein inneres Spiel
Das innere Spiel beschäftigt mich nun seit mehr als 20 Jahren. Alles begann mit ein paar Niederlagen zu viel auf dem Tennisplatz. Als Jugendlicher wollte ich verstehen, was in meinem Kopf passierte und warum ich in den wichtigen Momenten oft nicht in der Lage war, mein Potenzial abzurufen. Mir fiel Gallweys Bestseller „The Inner Game of Tennis“ in die Hände und er veränderte mein Leben – weit über den Court hinaus. Heute arbeite ich selbst mit der Methode, durfte mich von Gallwey persönlich ausbilden lassen. Entwickelt haben sich einige grundlegende Erkenntnisse.
Sie lauten so:
1. Es gibt zwei Spiele des Lebens!
Den Großteil des Lebens bestreiten wir Menschen zwei Spiele – ein inneres und ein äußeres. Was banal klingt, ist die Grundlage für alles, was folgt. Im äußeren Spiel geht es meist darum, Leistungsziele zu erreichen, Aufgaben zu bewältigen oder Anerkennung zu ernten. Parallel dazu findet das innere Spiel statt – gegen Hindernisse wie Zweifel, Sorgen, Ängste, Vergleiche oder Erwartungshaltungen.
Beide Spiele hängen unmittelbar miteinander zusammen und doch schenken wir ihnen selten gleichermaßen viel Aufmerksamkeit. Die Bewusstheit für die Existenz des inneren Spiels, das ständig läuft, ist der erste (und deshalb der wichtigste!) Schritt, um es erfolgreicher zu gestalten.
2. Im Kopf finden ständig Dialoge statt!
Wer spricht bei inneren Dialogen mit wem? Gallwey erklärt dieses Phänomen, dem jeder Mensch ausgesetzt ist, mit dem Modell von „Selbst 1“ und „Selbst 2“. Es macht die komplexe Psychologie des Menschen greifbar, anschaulich, verständlich.
„Selbst 1“ ist der Kommentator im Kopf, der Anweisungen gibt, bewertet, beurteilt oder vergleicht. Sie kennen ihn garantiert, er arbeitet ständig und kann zudem äußerst penetrant sein.
„Selbst 2“ ist der Macher, der mit allen vorhandenen natürlichen Fähigkeiten und einem faszinierend großen aber selten ausgeschöpften Potenzial für die praktischen Umsetzungen zuständig ist.
Die Beziehung zwischen „Selbst 1“ und „Selbst 2“ ist der entscheidende Faktor für Leistungen – im Job, beim Sport, im Alltag.
Das Ziel: die Störfeuer von „Selbst 1“ reduzieren und den Zugang zu „Selbst 2“ stärken.
3. Widerstand gegen Selbst 1 ist zwecklos!
Was tun gegen die die oft erdrückende Kraft von „Selbst 1“?
Die wichtigste Regel: Widerstand ist zwecklos. Der Kritiker im Kopf wird niemals dauerhaft schweigen. Die beste Verteidigung gegen seine Störungen ist konzentrierte Aufmerksamkeit. Nur wenn der Geist klar ist, kann der Körper sein gesamtes Potenzial abrufen. Bei voller Konzentration bleibt kein Platz für störende Gedanken. Bewusstheit sorgt für Klarheit. Sie ebnet den Weg zum Vertrauen – in die individuellen Stärken, die natürlichen Fähigkeiten und den Fluss des Lebens.
4. Bewertungen führen in einen Teufelskreis!
Vielleicht die Königsdisziplin: weniger bewerten und stattdessen nur das wahrnehmen, was wirklich ist. Ohne Schubladendenken. Auf Bewertungen zu verzichten, bedeutet natürlich keineswegs, Fehler zu ignorieren. Es bedeutet nur, das Resultat so klar und deutlich zu sehen, wie es ist – und ihm nichts hinzuzufügen, was nicht da ist. Die Einordnungen von „Selbst 1“ sind häufig vernichtend. Sie lösen emotionale Reaktionen aus, die zu Verkrampfungen und übermäßigem Bemühen nach besserer Leistung führen.
So entstehen neue Bewertungen und Verurteilungen. Der Beginn eines Teufelskreises. Eine wohltuende Erinnerung: „Selbst 1“ lässt häufig jeden Bezug zur Realität vermissen!
5. Die Aufmerksamkeit bestimmt die Wahrnehmung!
Zwei Gefangene sehen durch das Gitter in die Ferne. Der eine sieht nur Schmutz, der andere die Sterne. Das, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, verstärkt sich. Das Bedürfnis lenkt den Fokus. Wer jeden Tag auf dem Tennisplatz seine Vorhand trainiert, wird mit der Zeit mindestens über eine passable Vorhand verfügen.
Wer sich täglich über das Leben beschwert, entwickelt sich zwangsläufig zu einem Profi im Beschweren – und findet immer mehr Gründe, die seine Meinung bestätigen. In jedem Moment besteht Wahlfreiheit, welches Bedürfnis man nähren möchte – und welches nicht!
6. Lernziele und Freude beeinflussen die Leistung!
Spätestens mit Schulbeginn werden wir alle auf Performance getrimmt. „Jetzt geht der Ernst des Lebens los“, heißt es. Kurz vor dem Abschluss hören wir: „Genieße deine Schulzeit – so entspannt wird das Leben nie wieder sein!“ Wir lernen früh: Was im Leben zählt, sind unsere Leistungen. Und: Arbeit bedeutet Druck und Stress.
Freude und Lernziele hingegen werden vernachlässigt. Obwohl diese Faktoren – daran besteht kein Zweifel! – langfristig unsere Leistungen erheblich beeinflussen. Wer den Weg zum Ziel genießt, ihn nicht beschreitet, um anzukommen, sondern um Erfüllung zu empfinden und sich dabei weiterzuentwickeln, erreicht die besten Ergebnisse. Immer!
Wie könnte unsere Arbeitswelt aussehen, würden alle Unternehmen diesen einfachen Grundsatz beachten und ihre Werte und Führungskulturen entsprechend anpassen? Und wären Mitarbeiter selbst noch mehr bestrebt, ihren Fokus auf die Faktoren „Freude“ und „Lernen“ zu legen?
7. Bewegungsfreiheit – das Ziel im Blick
Bewegungsfreiheit ist ein zentraler Begriff aus dem „Inner Game“. Er steht für die Fähigkeit, sich in die Richtung seiner gewünschten Ziele zu bewegen und sie zu erreichen – zur rechten Zeit auf eine erfüllende Art und Weise. Eine schöne Gewissheit, die bedeutet: den Weg mit wahrer Freude zu bestreiten, unabhängig von Erfolg oder Anerkennung.
John F. Kennedy sagte einmal: „Engagement und Mut bringen dir nichts, wenn du kein Ziel und keine Richtung verfolgst.“
Die eigenen Lebensziele zu entdecken, sein persönliches „Warum“ dahinter zu erforschen und sich zu jedem Zeitpunkt Kurskorrekturen zu erlauben, ist ein wesentlicher Bestandteil der eigenen Bewegungsfreiheit.
8. Das Leben ist eine kostenlose Fortbildung!
„Die größte Fortbildung der Welt findet jeden Tag statt. Sie ist kostenlos und für alle zugänglich.“ Worte von Gallwey.
Gemeint ist das Leben selbst, natürlich. Eine Perspektive, die all den Niederlagen und Verletzungen aus der Vergangenheit eine Berechtigung verleiht. Die sogenannten Fehler bekommen eine andere Bedeutung. Plötzlich scheint alles einen Sinn zu ergeben, selbst die härtesten Rückschläge, die tiefsten Narben. Das Leben ist auf einmal leichter. Verkrustete Bewertungen und vorgefertigte Meinungen können losgelassen werden. Nur so kann Raum für Neues entstehen. Lernen aus Erfahrung – der zentrale Grundsatz der „Inner Game“ Methode.
Was bleibt am Ende? Zum einen die Erkenntnis, dass beide Spiele des Lebens, das äußere sowie das innere, zu jedem Zeitpunkt gespielt werden. Sie bedingen einander.
Vor allem aber die Gewissheit: Um die nötige Balance zu erreichen, ist eine bewusste und wertfreie Wahrnehmung der wichtigste Schlüssel.
Fotos: iStock, Unsplash / Pablo Garcia Saldana, Kevin Lanceplaine