Zufriedenheit statt Optimierung (Teil 1)
Der Philosoph Søren Kierkegaard wusste schon bevor es das Internet gab, dass das Vergleichen das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit ist. Warum, lesen Sie hier. Im zweiten Teil folgt, was Sie dagegen tun können.
Hier erfahren Sie mehr über
- Kierkegaard und Hegel
- Midlifecrisis und Selbstoptimierung
- Glücksdiktat und Glücksempfinden
Text Ariane Gärtner
Ariane Gärtner studierte Volkswirtschaftslehre, Politikwissenschaften und Philosophie. Zudem ist sie als Start-Up Investorin, Business Angel und Unternehmensberaterin tätig.
Sich mit anderen zu vergleichen, war selbst für einen Dänen wie Søren Kierkegaard im 19. Jahrhundert – die Dänen belegen heute immerhin regelmäßig einen der vorderen Plätze im Ranking der zufriedensten Nationen der Welt – bereits ein offensichtliches Problem, das seiner Zufriedenheit im Weg stand, auch ganz ohne Internet.
Jetzt könnte man natürlich feststellen, das mit dem Vergleichen ließe sich wohl kaum vermeiden. Denn es gehört ja zur Lebensform des Menschen, sich regelmäßig, ob freiwillig oder nicht, in Gesellschaft anderer aufzuhalten. Da vergleicht man gewissermaßen automatisch. Dieser Punkt ist kaum zu leugnen.
Nur, während die Vergleichsmöglichkeiten früher meist am Nachbarzaun oder spätestens an der Dorfgrenze Halt machten, wissen wir heute dank Internet, wie viel besser es Menschen am anderen Ende der Welt geht. Oder schlechter.
Aber Letzteres ignorieren wir gerne. Das Problem an der Sache ist nicht, dass es überhaupt Ungleichheiten gibt, oder dass Einkommen, Schönheit und Glück unterschiedlich verteilt sind. Das war unbestritten wohl nie anders, auch wenn vor- und frühzivilisatorische Gruppen keine Hierarchien oder sozialen Unterschiede der Art kannten wie wir heute.
Das Problem ist, dass diese Ungleichheiten im digitalen Zeitalter so viel allgegenwärtiger und sichtbarer geworden sind, vor allem, was die interpersonelle Vergleichbarkeit unter Menschen mit ähnlichen Ausgangsbedingungen betrifft. Unser Vorstellungshorizont dessen, was für uns theoretisch erreichbar wäre oder sein sollte, hat sich erweitert.
KANN MAN SICH DEM VERGLEICH ENTZIEHEN?
Und so kommen Sie nicht umhin festzustellen, wie unfair das Leben doch ist, während Sie sich beim Warten auf die U-Bahn mal wieder die Zeit mit Instagram vertreiben und Ihnen in Ihrem Feed angezeigt wird, dass man hauptberuflich als offizielles Vollzeit-Testimonial für das Great Barrier Reef auf Social Media werben kann. Tägliches Schnorcheln, Strandspaziergänge und gratis Unterkunft in einer Luxusresidenz inklusive.
Wenn dann auch noch die Durchsage erklingt, dass die U3 mal wieder ausfällt und Sie im strömenden Regen zum nächsten Bus sprinten müssen, damit Sie nicht zu spät am Arbeitsplatz Ihrer schlecht entlohnten, befristeten Teilzeitstelle ankommen, erfordert das Ihrerseits vermutlich deutlich mehr Frustrationstoleranz als die, die Kierkegaard damals aufbringen musste.
Die Lösung kann, sofern Sie kein Leben als Eremit anstreben, offensichtlich nicht darin liegen, sich überhaupt nicht mehr in Gesellschaft anderer aufzuhalten, um sich dem Vergleich gleich ganz zu entziehen. Warum ist der Impuls sich zu vergleichen nur so schwer zu überwinden?
WARUM VERGLEICHEN WIR?
Der offensichtlichste Grund ist, dass wir schlicht das Bedürfnis haben zu wissen, wo wir stehen. Wie wir im Spiel des Lebens abschneiden. Der vielleicht wichtigste Orientierungspunkt, an dem wir messen können, wo wir uns verorten sollen – so glauben wir jedenfalls – ist unsere gesellschaftliche Stellung. Das mit dem Vergleichen ist so gesehen ein Hilfsbarometer unserer Identität, denn die, so stellte schon Georg Wilhelm Friedrich Hegel in seiner Phänomenologie des Geistes fest, braucht die Erfahrung des anderen, des Andersseins, von dem es sich abzugrenzen gilt, um ein Bewusstsein-von-sich zu entwickeln.
Hegel und der Kampf um Anerkennung
Hegel prägte in diesem Zusammenhang den Begriff des Kampfes um Anerkennung. Der intersubjektiv ausgeführte Kampf um den höheren Rang in einem Hierarchiegefälle aus Herrschaft und Knechtschaft ist Triebkraft gesellschaftlicher Entwicklungen an sich. Wo wir stehen, meinen wir, gibt uns Grund zu Zufriedenheit oder eben nicht, und können wir nicht zufrieden sein, müssen wir mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln eben härter um Anerkennung kämpfen.
Der Zusammenhang zwischen dem Vergleichen und dem Mangel an Zufriedenheit gilt allerdings nicht nur dann, wenn wir uns mit anderen vergleichen. Womöglich ist der schlimmste Vergleich, den wir ziehen können, sogar der zu alternativen (auf die Vergangenheit bezogene) oder potenziellen (auf zukünftige) Versionen unserer selbst.
Wir spielen gedanklich unser vergangenes Ich gegen das gegenwärtige oder zukünftige Ich aus.
Vielleicht, denken wir, wären wir heute glücklicher, hätten wir damals das Auslandsemester nicht in Spanien, sondern in Australien verbracht, vielleicht hätten wir dann heute andere (sprich bessere) Freunde, einen anderen (sprich besseren) Partner, hätten Kinder oder wären nicht geschieden.
Vielleicht hätten wir nicht BWL, sondern Archäologie studieren sollen – dann wäre das Einkommen zwar geringer, aber wenigstens wären wir unserer Leidenschaft gefolgt, anstatt unseren Eltern den Gefallen zu tun, die sicherere Option mit besseren Rentenaussichten zu wählen und würden heute, statt anderer Leute Einkommenssteuererklärung zu erstellen, Ausgrabungsstätten in Kleinasien leiten. Wie aufregend!
DAS NEUE SELBST
An irgendeinem Punkt sind wir also falsch abgebogen, so diagnostizieren wir, spätestens, wenn die Midlife-Krise an die Tür klopft, sich die „was wäre nur wenn“-Fragen häufen und die Entscheidungen, mit denen man einmal zufrieden war, plötzlich wie Trostpreise wirken im Vergleich zu dem Leben, das das alternative Ich hätte führen können. Dass sich das subjektiv empfundene Lebensglück trotz vieler Erfolge und eigentlich vormals als glücklich empfundener Lebensumstände in der Lebensmitte verschlechtert, ist hingegen ein Muster, dass sich länderübergreifend, unabhängig vom durchschnittlichen Niveau der Lebenszufriedenheit, abzubilden scheint, wie der Wirtschaftswissenschaftler David Blanchflower und der Ökonom Andrew Oswald 2004 nachzuweisen glauben.
Der relevante Faktor ist dabei weder wo Sie leben, noch wie hoch Ihr Einkommen ist, sondern schlicht das Alter an sich. Was aber passiert genau in der Lebensmitte, dass sich dieser Einbruch bei Menschen weltweit so abzeichnet? Eigentlich ist die Antwort recht einfach: ab einem gewissen Punkt gilt es, sich von bestimmten Vorstellungen und Wünschen, von alternativen Ichs zwangsläufig verabschieden zu müssen und zu akzeptieren, dass manche Chancen und Träume unrealisiert bleiben müssen.
Sprich: in der Lebensmitte betrauern Sie Ihr ungelebtes Leben. So illusorisch die Vorstellung ohnehin schon immer gewesen wäre, sich jederzeit einfach ein neues Selbst überstreifen zu können, wie einen neuen Anzug, der uns besser steht als der alte, verkauft sich diese Idee trotz der Unmöglichkeit ihrer Umsetzung dennoch blendend.
ZIELGRUPPE OPTIMIERUNGSWILLIGE
Ist die Vergangenheit schon unwiederbringlich verloren, wird in einem Anflug von Selbstverbesserungswahn der Versuch unternommen, wenigstens das Glück des künftigen Selbst zu potenzieren. Also wird fleißig an körperlicher Fitness und positivem Mindset gearbeitet, während man abends noch schnell zwei Runden um den Block geht, damit das Fitbit am Ende des Tages ja die zum Abnehmen erforderlichen 10.000 Schritte anzeigt.
Mangelt es an Disziplin, findet sich für den Optimierungswilligen genügend Unterstützung von Coaches, die ihm bei der Selbstoptimierung und Erweiterung seiner Optionen behilflich sind. Voraussetzung ist, dass wir bereit sind, uns ganz der Arbeit an uns selbst zu verschreiben. Dann wird aber auch, gegen eine jährliche Subskription von 99,99 Euro, endlich alles gut. Jedenfalls für diejenigen, die gut an unserem Glauben verdienen, mit der besseren Version des Ichs käme das Glück fast von allein. Vorausgesetzt man hat ein Visionboard gebastelt und das Glück anständig manifestiert.
DAS DIKTAT VOM GLÜCK
Diese Idee des in jeder Lebensphase form- und optimierbaren Ichs, so die Analyse der Sozialwissenschaftler Eva Illouz und Edgar Cabanas in ihrem Buch Das Glücksdiktat, hat dazu geführt, dass es mittlerweile eine ganze Selbstoptimierungsindustrie gebe, von Motivationstrainern, Datingcoaches, über Autoren von Selbsthilferatgebern und Beautydocs, die davon leben, dass das Subjekt sein ganzes Sein, vom Bindungsschema bis hin zu Stirnfalten, der Inventur unterzieht und zur Dauerbaustelle deklariert.
Und wenn das eine Problem beseitigt ist, ist da an anderer Stelle immer noch Raum für Optimierung. Das Selbst konsumiert nicht nur, sondern wird selbst zum Produkt in einer Lebenswelt, in der jeder einen Marktwert hat – beruflich wie privat – dessen Positionierung im Kampf um Anerkennung stets optimiert werden muss.
Ein Mangel an Willen zur Verbesserung ist fast schon ketzerisch. Der Schuldige steht in der Logik der Selbstoptimierung, so Illouz, bei Nichtgelingen von Vorneherein fest: Wenn wir trotz Yoga Retreat und Achtsamkeitsübungen immer noch erfolglos und unzufrieden sind, kann es ceteris paribus nur an uns selbst liegen.
All dieser Optimierungswahn wirft ein weiteres Problem auf, das man nach Voltaire beschreiben kann als das Bessere ist der Feind des Guten. Wenn das Gute doch aber das eigentliche Ziel ist, wollen wir das immer noch Bessere vielleicht nur deshalb, weil wir unfähig geworden sind, das Gute überhaupt noch zu erkennen? Warum nur glauben wir so fest daran, dass uns die alternativen Optionen wirklich zufriedener gemacht hätten oder machen würden?
IST WENIGER MEHR?
Was sich über die letzten Jahrzehnte verändert hat, ist unsere Erwartung an das, was man vom guten Leben erwarten kann, welche Optionen uns tatsächlich offenstehen. Die Möglichkeiten zur freien Lebensgestaltung haben sich erweitert. Offensichtlich muss es eine Korrelation geben zwischen der Existenz von (realisierungsfähigen) Optionen und dem Grad unserer Lebenszufriedenheit.
Um das vorwegzunehmen: anders, als wir vielleicht intuitiv vermutet hätten, machen uns mehr Optionen insgesamt weder glücklicher noch zufriedener. Im Gegenteil! Je größer die Anzahl der Optionen ist, aus denen wir wählen können, desto unzufriedener sind wir mit der Wahl, die wir tatsächlich treffen werden. Das erklärt den Charme der „Alternatives-Ich-Szenarien“.
DAS WAHLPARADOX
Den Zusammenhang zwischen der Anzahl an Wahlmöglichkeiten und dem subjektiven Glücksempfinden will die Forschung des amerikanischen Psychologen Barry Schwartz zeigen. Er bezeichnet das kontraintuitive Phänomen der unzufrieden machenden Optionenvielfalt als Paradox of choice. Also: Wahlparadox.
Dieses Phänomen besagt, je größer der Überfluss, in dem wir leben und damit die Menge an Alternativen ausfällt, desto unzufriedener sind wir mit unseren tatsächlich getroffenen Entscheidungen.
Sie haben das Phänomen im Kleinen vielleicht schon häufiger erlebt, wenn Sie mit Ihrem Partner im Restaurant sitzen und jeder von Ihnen ein anderes Gericht bestellt. Sobald Ihr Essen serviert wird, schielen Sie schon neidisch auf den Teller Ihres Partners (ich bekenne mich schuldig), oder den Hauptgang der Gäste am Nebentisch, und sind, bevor Sie überhaupt probiert haben, bereits weniger zufrieden mit Ihrer Wahl.
Aber, soll das nun heißen, es wäre besser, keine Alternativen zu haben? Nein, denn zufriedener ist, so Schwartz, auch nicht, wer überhaupt keine Alternativen hat, sondern grundsätzlich, wer aus weniger Handlungsalternativen eine nach angemessenem Abwägen wählt. Wenn also der Raum an alternativen Möglichkeiten nicht gegen unendlich, aber auch nicht gegen Null geht. Im zweiten Teil dieser Untersuchung wird deutlich werden, welche Möglichkeiten es gibt, seine Lebensführung so zu gestalten, dass das Dasein dennoch ein erfülltes wird.
Übermorgen lesen Sie den zweiten Teil!
Fotos: iStock, Unsplash / Fahrul Azmi, Sharon McCutcheon