Wasserfall mit Regenbogen.

Zufriedenheit statt Optimierung (Teil 2)

Der Philosoph Søren Kierkegaard wusste schon bevor es das Internet gab, dass das Vergleichen das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit ist. Warum, lasen Sie im ersten Teil der Untersuchung; hier, was Sie dagegen tun können.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Social Media Plattformen
  • Gelungene Lebensführung
  • Glücksritterrüstungen

Text Ariane Gärtner

Schwarz-weiß-Bild von Ariane Gärtner.

Ariane Gärtner studierte Volkswirtschaftslehre, Politikwissenschaften und Philosophie. Zudem ist sie als Start-Up Investorin, Business Angel und Unternehmensberaterin tätig.

Die Beobachtungen des Psychologen Barry Schwartz scheinen insofern schlüssig, als Statistiken zeigen, dass die Lebenszufriedenheit sich mit der Möglichkeit, überhaupt freier in seiner Lebensgestaltung zu sein – in früheren Generationen waren Lebenswege entweder von vorneherein vorgegeben oder aufgrund von Kriegen unabwägbar – in den letzten Jahrzehnten nahezu verdoppelt hat (von 17% auf knapp über 30%), seitdem aber weitestgehend stagniert.

Diese Stagnation könnte daran liegen, dass man dachte, mit mehr Optionen und höherem Einkommen würde das Niveau der Lebenszufriedenheit steigen. Das Jahreseinkommen bringt hingegen Studien zufolge nur bis zu einer bestimmten Grenze tatsächlich auch ein Plus an Lebenszufriedenheit mit sich, das immer kleiner wird, je höher das Einkommen ausfällt. Ökonomen sprechen hier vom abnehmenden Grenznutzen.

In einer Zeit wie unserer, in der uns das Narrativ verkauft wird, wir könnten jeder und alles sein, der wir wollen, wenn wir es nur genug wollen, lautet nun also die offensichtlichste erste Empfehlung auf dem Weg zu mehr Zufriedenheit, sich in freiwilliger Selbstbeschränkung zu üben und den Weg des Optionenminimalismus zu gehen. Nur wie? Und werden wir nicht von allen Seiten daran gehindert?

DIE SUCHT NACH BELOHNUNG

Ohne nun gleich wieder den Kapitalismus zur Mutter aller Probleme der Welt erklären und die alleinige Schuld an unserer Unzufriedenheit geben zu wollen, sollte doch das Offensichtliche nicht unausgesprochen bleiben: ein zufriedenes Individuum ist nun mal ein schlechter Kunde.

Es bestehen folgelogisch seitens der Produzenten von Konsumgütern kaum Anreize, die Anzahl an Optionen zu verringern oder die Lebensdauer von Produkten zu verlängern. Dass wir gesättigt und zufriedenen sind, uns mit Investitionen in ein besseres Leben zurückhalten, weil wir schon alles haben, was wir brauchen, ist nicht erwünscht.

Dass wir unsere Optionen mit denen anderer weiter fleißig vergleichen, einen Großteil unserer Zeit damit verbringen, uns nach besseren Möglichkeiten umzusehen, ist hingegen sehr erwünscht. Darauf baut schließlich das ganze Phänomen des Influencermarketing auf. Tinder im Übrigen auch.

Unsere Unzufriedenheit soll uns süchtig nach Vergleichen und kleinen „Erfolgserlebnissen“ machen.

Was uns in der digitalen Welt, auf Social Media Plattformen wie auf Datingseiten so süchtig machend begegnet, wie in der Welt des Glückspiels, ist ein Prinzip, das der Funktionsweise von Spielautomaten entspricht: die sogenannte intermittierende Verstärkung. Wir können nicht im Voraus wissen, wann wir ein Like, ein Match oder ein paar Münzen bekommen, aber wenn wir zwischendurch ein paar Mal belohnt werden, stellt sich ein kurzes Gefühl der Euphorie ein, nach dem wir süchtig werden. Wir wollen mehr davon und sollen mehr davon wollen, denn womit diese Plattformen an uns verdienen, ist unsere Aufmerksamkeit, unsere Bindung an das Spiel und eben unsere Unzufriedenheit, die zu In-App-Käufen verführt.

So verbringen wir also zunehmend mehr Zeit als uns lieb ist mit Swipen, Scrollen und Feed erneuern, anstatt unser Leben zu leben, in der Hoffnung, dass Likes, Matches und der Konsum von Neuigkeiten uns fremder Personen nachhaltig zur Zufriedenheit beisteuern. Je mehr Zeit wir auf der Jagd nach Likes verbringen, je mehr Urlaubsfotos unserer Freunde wir betrachten, desto unzufriedener werden wir, so das Ergebnis von wissenschaftlichen Studien. Was können wir also besser machen?

SEELENRUHE UND GELASSENHEIT

Wie der stoische Philosoph Epiktet feststellte, ist der beste Weg niemals zufrieden zu werden, seine Zufriedenheit von dem abhängig zu machen, über das wir nicht frei verfügen können. Wir können nur dann zu einem Zustand der Seelenruhe und Gelassenheit, sprich Zufriedenheit, gelangen, wenn wir uns auf die Dinge konzentrieren, die in unserem Einflussbereich liegen.

Was nicht oder eben nur begrenzt in unserer Macht steht, ist, neben der Unmöglichkeit, die Vergangenheit ungeschehen zu machen, unter anderem unser Ansehen. Wenn wir unsere Lebenszufriedenheit vom Urteil und der Meinung anderer über uns abhängig machen, haben wir im Prinzip von vorneherein verloren. Und so fordert er: „Verlange nicht, dass die Dinge gehen, wie Du es wünscht, sondern wünsche sie so, wie sie gehen und Dein Leben wird ruhig dahinfließen.“

Das klingt verdächtig danach, als solle man jeden Ehrgeiz und alle Zielstrebigkeit begraben, und sich passiv im Strom der Zeit treiben lassen, wenn man zufriedener werden will. Ist Ehrgeiz nun aber tatsächlich die Antithese zur Zufriedenheit? Wird alles besser, wenn wir uns vom Diktat der besseren Möglichkeiten verabschieden und uns selbst einschließlich unseres Körpers als die Mängelexemplare akzeptieren, die sie sind? Das soll alles selbstverständlich nicht heißen, dass Sie keine Ziele im Leben haben sollten. Zwischen Lethargie und krankhaftem Ehrgeiz liegt ja glücklicherweise die goldene Mitte. Statt sich für ein Extrem zu entscheiden, kommt es vielmehr auf die Einstellung zum Erfolg an und wie sehr unser Selbstkonzept davon abhängt, wie erfolgreich wir sind.

DER LEBENSPLAN

Die zweite Empfehlung sollte daher offensichtlich lauten, dass wir unseren Möglichkeiten immer in Bezug auf unsere Fähigkeiten, auf das, was wirklich in unserem Einflussbereich liegt, hin beurteilen sollten, das begrenzt unsere Alternativen von vorneherein. Unser Lebensplan sollte vernünftige und vor allem erreichbare Ziele enthalten.

Selbst dann aber, wie Autor Malcom Gladwell in seinem wunderbaren Buch Outliers (zu Deutsch: (statistische) Ausreißer) anhand von Erfolgsgeschichten bekannter Persönlichkeiten veranschaulicht, fließen neben Talent und Fleiß diverse andere Faktoren in unsere Aussicht auf Erfolg mit ein, auf die wir größtenteils kaum Einfluss haben.

Was Sie dafür tun können, um der Beste in Ihrem Fach zu werden, ist die Anzahl an Stunden, die Sie in die Verbesserung Ihrer Fähigkeiten investieren. So ist wohl disziplinübergreifend die magische Grenze von 10.000 Stunden konstanter Übung gesetzt, die vom Einzelnen überschritten werden muss, um es in einem Bereich zu wahrhafter Exzellenz zu bringen.
Ich überlasse es Ihnen auszurechnen, wie viele Wochenstunden am Klavier das seit Ihrer Jugend gewesen wären. Selbst dann haben Sie allerdings keinerlei Garantie auf Erfolg, wenn Sie nicht auch noch – und darauf haben Sie wenig Einfluss – zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind und von den richtigen Menschen auf ihrem Weg nach oben Unterstützung erhalten.

MÖGLICHKEITEN WIE BILL GATES?

Bill Gates etwa, hatte bereits lange Zeit vor seinem Studium in Harvard, als Schüler von der achten Klasse an, die Möglichkeit, tausende Stunden im Rechenzentrum von General Electric zu verbringen, um sich das Programmieren beizubringen. Bis zum Studienbeginn hatte er schließlich so viele Stunden mit Programmieren verbracht, dass bei Studienbeginn ohnehin schon alles wusste, was er lernen konnte. Er brach das Studium ab und gründete Microsoft. Der Rest ist Geschichte.

Was man bei all den Geschichten wie dieser, die zu Legenden werden, nicht unter den Tisch fall lassen darf, ist doch aber folgende Feststellung: Wie viele Kinder hatten in den späten 60er Jahren schon den Zugang zu einem Rechenzentrum wie dem von GE, so dass sie überhaupt Gelegenheit hatten, auf diese Anzahl von Stunden zu kommen?

Wir sehen viel zu häufig nur das Endergebnis und ignorieren die Faktoren, die neben dem Talent zum Erfolg beigetragen haben. Es gab vermutlich noch andere fähige junge Menschen, die im Gegensatz zu Bill Gates einfach nicht die Möglichkeit hatten, 10.000 Stunden in die Ausbildung ihrer Fähigkeiten zu investieren.

Andere wieder hatten das Glück, dass sie die Ersten waren, die sich ein neues Format zu eigen machten. Es liegt nun aber in der Natur der Sache, dass sich jedes neue Konzept einer Art mit der Zeit abnutzt. Das haben Castingshowteilnehmer nur leider immer noch nicht verstanden.

  • Punk vor kunstvollem Graffiti.
  • Irrgarten von oben.

WEG VOM PERFEKTIONISMUS

Das alles zeigt uns doch, dass die Welt der alternativen Möglichkeiten am Ende vielleicht nicht so groß ist, wie wir ursprünglich angenommen haben. Es gibt womöglich nur ein Gegenmittel, das Unzufriedenheit, Neidgefühlen und dem Bedürfnis nach ständigem Vergleichen entgegenwirken kann, und das ist Dankbarkeit für das, was gegenwärtig ist.

Dankbarkeit stellt sich aber nicht ein, wenn wir weiter dem Irrglauben aufsitzen, alles hätte besser sein können. Es ist unsinnig, sich als Mittvierziger weiter zu grämen, es nicht wie Dirk Nowitzki in die NBA geschafft zu haben. Wenn man sich schon an Ungerechtigkeiten aufreiben will, dann bitte an realweltlichen Ungerechtigkeiten.

Gesellschaftliches Engagement bietet schon allein deshalb eine zuverlässige Quelle für mehr Zufriedenheit, weil wir den Fokus von uns selbst auf Ziele verlagern, die der Gesellschaft als solcher zugutekommen und für deren Gelingen wir nicht allein verantwortlich sind. Man sollte es dabei nur nicht gleich wieder übertreiben und vom Selbstoptimierer zum fanatischen Weltverbesserer mutieren.

Wer sich vom Perfektionismus abwenden und rehabilitieren möchte, muss sich klarmachen, dass man nicht Ghandi oder Mandela nacheifern muss, um der Gemeinschaft zu helfen.

LEBENSFÜHRUNG

Die Prämisse, dass eine Investition in die Gemeinschaft, in sozialen Zusammenhalt unser Lebenszufriedenheitskonto füllt, ist ausgesprochen zeitstabil. Das wusste schon Aristoteles. Seine Überlegungen zum guten Leben zeigen sich, Digitalisierung hin oder her, erstaunlich robust. Worauf es am Ende in Sachen Zufriedenheit wirklich ankommt, sind keine kurzlebigen Glücksmomente, sondern vielmehr eine über die Lebenszeit hinweg gelungene Lebensführung. Was es dafür braucht, tragen wir als Gemeinschaftswesen in uns, müssen es aber kultivieren, sprich in die Praxis umsetzen.

Dankbarkeit kann sich auf verschiedenste Sphären des Daseins erstrecken. Wer beruflich strauchelt oder Geld verloren hat, hat vielleicht einen großen Freundeskreis und eine Familie, die ihn jederzeit unterstützt. Wer keine Familie hat, findet sie vielleicht in Fremden über gemeinsames Engagement für den guten Zweck.

Und wenn dann immer noch ein Gefühl von Bedauern übrig ist, sollte man sich vielleicht, und das ist die dritte Empfehlung, bei künftigen Entscheidungen mehr an dem orientieren, was wir als unsere wichtigsten Werte und Tugenden identifizieren, die es für eine gelungene Lebensführung braucht, was unserem Leben Sinn gibt, und nicht danach, was wir unbedingt erreicht haben wollen, wenn wir am Ende unseres Lebens stehen.

WERTE-BEWUSSTSEIN

Um nochmals auf das alternative Ich zurückzukommen: wenn Sie glauben, Sie würden heute ein besseres, zufriedeneres Leben führen, wenn Sie andere Entscheidungen getroffen hätten, dann ist es genau das, was Sie aus diesen Gedanken mitnehmen sollten. Was man daraus lernen kann, ist, dass man in Zukunft bessere Entscheidungen treffen muss, um die Gefahr des Bedauerns zu umgehen.

Bessere Entscheidungen treffen wir mit bestem Wissen und Gewissen in Kohärenz zu unseren Werten. Dafür, auch das ist eine wichtige Erkenntnis, sollte man öfter mal in sich gehen und sich bewusst machen, was diese Werte eigentlich sind. Es mag trivial klingen, aber nicht wenige Menschen müssen vermutlich erst einmal nachdenken, wenn man sie danach fragt, nach welchen Werten sie leben.

Und wenn Sie anfangen, diese Werte für sich zu definieren, werden Sie sich womöglich bewusst, dass die Wurzel Ihrer Unzufriedenheit eigentlich in der Inkohärenz zwischen Ihren Werten und Ihrer Lebensführung liegt.

Ältere Dame liegt im Gras und lächelt glücklich.

DIE ILLUSION VON KONTROLLE

Zufriedenheit, das ist die wichtigste Erkenntnis, ist keine Begleiterscheinung von Perfektion, die letztlich nichts anderes ist als die Illusion von Kontrolle. Zufriedenheit ist auch nicht die maximale Summe an Glück. Im Gegenteil: Wie wir gesehen haben, führt das Diktat des ewigen Strebens nach Glück vor allem deshalb geradewegs in die Unzufriedenheit, weil wir in Summe zu viele Optionen in Erwägung ziehen.

Wir sitzen zudem dem Irrglauben auf, Glück sei immer eine Frage von Anstrengung und dieser euphorische, Dopamin-gesättigte Moment vollkommenen Glücks sollte der Normalzustand unseres Lebens sein. So wird es uns jedenfalls verkauft.

AUF DER SUCHE NACH DEM SINN

Wenn wir so weiter machen, ertragen wir kein Leben mehr, in dem einfach mal Nichts passiert, keine Reize von außen verfügbar sind und wir es mit uns selbst aushalten müssen. Vielleicht, weil der eine oder andere dann feststellt, dass da außer dem Dauerentertainment nicht viel ist, das seinen Tag besser machen würde.

Das ist aber ja der Kern des Problems. Es liegt an uns, ob wir unsere Autonomie so einfach aufgeben und dem Glauben schenken, was uns als erstrebenswert verkauft wird. Glück bleibt flüchtig, wenn es käuflich ist, erst recht. Zufriedenheit hingegen ist eine Grundhaltung, die die radikale Akzeptanz beinhaltet, dass das Ideal-Ich eine für die meisten unerreichbare Version unserer Selbst bleiben muss.

Was wirklich zufriedener macht und mit der stoischen Philosophie von Epiktet übereinstimmt, ist zu versuchen, den Fokus auf die Dinge zu lenken, die wir beeinflussen können. Zu versuchen, das Leben mit mehr Sinn zu füllen und die Glücksritterrüstung an den Nagel zu hängen.

Wer ein sinnvolles Leben führt, ist auch dann zufrieden, wenn das ganz große Glück mal ausbleibt. Vernünftige Lebenspläne, die unserem Können als Individuum entsprechen, die eigene Willensfreiheit zu bewahren anstatt sinnbefreit zu konsumieren, lassen Sie gelassener werden und immunisiert gegen Optimierungswahn. Seine Zufriedenheit hingegen von dem abhängig zu machen, was die Gesellschaft als Glück definiert, macht uns zu Marionetten von Algorithmen und zum Spielball von Konzernen.

Und so kehren wir also mit unserer letzten Empfehlung dahin zurück, wo wir begonnen haben: sich statt dem unsinnigen Vergleichen lieber mit Sinn beschäftigen. Sie müssen deshalb nicht gleich den Instagram Account deaktivieren, aber sollten gegebenenfalls einfach öfter mal abschalten. Und den Fitnesstracker am besten gleich dazu.

Fotos: iStock, Unsplash / Dan Asaki, Jiroe Matia Rengel, Sorasak

 

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