DER WEG ZU UNBESCHWERTER ZEIT
Warum wird unser Leben mit der Zeit so kompliziert und verlieren wir die Leichtigkeit unserer Kindheit? Vielleicht können Sie diesen Zustand doch wieder erreichen.
Hier erfahren Sie mehr über
- Unbeschwertheit
- Zeitmanagement
- Zeitgewinn
Text Wolfgang Eckstein
Wolfgang Eckstein ist 97 Jahre jung. Der Jurist war u.a. Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bayerischen Bekleidungsindustrie, gründete den Verband deutscher Modedesigner, den Modekreis München und eine Stiftung für die Modeindustrie. Für PURPOSE schreibt er exklusiv.
Für alle Menschen ist jeder Tag gleich lang, er hat 24 Stunden. Und für die meisten von uns ist es unumgänglich, mindestens sechs Stunden zu schlafen, um den nächsten Tag ausgeruht und mit Optimismus und Zuversicht zu beginnen.
Ist man beruflich tätig, bleibt nach getaner Arbeit nur wenig Zeit , das zu tun, was notwendig ist und um das zu genießen, was man unter Freizeitvergnügen oder auch „eigene Stille“ versteht. Die Wochenenden und die Ferien bzw. der Urlaub sind nur Ausnahmen vom generellen Alltag des gesamten Jahres.
Die ernüchternden Zeitfenster eines normalen Tages zeigen, welchen hohen Wert die tatsächlich verbleibende Zeit hat, die wir als eine unbeschwerte erleben wollen; bei der man sagen kann: Ich muss nicht, aber ich kann machen, wozu ich gerade Lust und Laune habe.
Um aber überhaupt in diesen Zustand zu gelangen, bedarf es einiger Anstrengung, denn dies ist nicht selbstverständlich. Außerdem möchte man ja nicht vor sich selbst und anderen als kleinlich oder spießig dastehen, wenn man sich auf sich selbst zurückzieht und nicht mit der Masse geht. Ein Beispiel: Wer an Silvester lieber allein bleibt und auf das vergangene Jahr zurückblickt, wird wenig Verständnis bei denen finden, die das Neue Jahr unbedingt mit Galadinner und Feuerwerk begrüßen möchten.
DER WERT DER ZEIT IM ENDLICHEN LEBEN
Die übergeordnete Frage in diesem Zusammenhang ist, welchen Wert die Zeit überhaupt im endlichen Leben hat, das nicht dann stattfindet, wenn uns gerade danach ist, sondern jetzt, in jeder Sekunde. Zeit ist ein unendlich kostbares Gut, das uns ständig begleitet und unaufhaltsam voranschreitet. Im Laufe unseres Daseins müssen wir lernen, wie wichtig es ist, Zeit bewusst zu nutzen und zu schätzen. Sie ist, so entdecken wir irgendwann, ein begrenztes Gut, und kann nicht zurückgedreht werden. Ihr Wert liegt nicht nur in den Minuten, Stunden, Tagen oder Jahren, sondern auch in den Möglichkeiten, die sie bietet. Die Erfahrung lehrt, dass versäumte Gelegenheiten meist nicht wiederkehren.
Somit kommt dem sinnvollen Einsatz von Zeit eine Schlüsselrolle für ein erfülltes Leben zu.
Es ist nicht die Menge der Zeit, die zählt, sondern wie wir jede freie Minute, die uns bleibt, mit Zufriedenheit leben und erleben.
„Zeit spielt keine Rolle“ ist für die Eintagsfliege ein geradezu perverser Spruch, und doch gilt er zu Recht. Denn das einzige Mittel, Zeit zu haben, ist: sich Zeit zu nehmen, aber nur dann, wenn sie zu unbeschwerter Freude führt, was man nicht immer vorausahnen kann.
DER WERT DER FREIEN ZEIT
Wie eingangs festgestellt, ist die freie Zeit, die einem jeden Tag zur Verfügung steht, oft wegen kleiner und großer Belastungen sehr beschränkt. Deshalb muss überlegt werden, wie man die wenige wertvolle Zeit durch ein bestimmtes Verhalten oder Handeln optimieren kann. Die verschiedenen Medien haben heute einen großen Einfluss auf unseren Zeitplan, aber nur wenn wir sie nicht zu anspruchslos verwenden.
Jeder ist frei in seiner Entscheidung, ob er sich einen Film ohne wirklichen Inhalt anschaut oder diese Stunden für seine wirklichen Interessen sinnvoll verwendet. Jugendliche (und auch Erwachsene) sind frei im Gebrauch und der Gestaltung ihrer Bildschirmzeit. Die nüchternen Fakten: Jugendliche surfen fast 64 Stunden (!) pro Woche im Internet und sind mit ihrem Smartphone beschäftigt. Man kann sich leicht ausmalen, wohin diese Entwicklung führen wird und welchen Einfluss sie auf unser gesellschaftliches Verhalten haben wird bzw. heute schon hat.
Nicht alle Menschen können den gleichen Lebensablauf für sich in Anspruch nehmen, sondern Beruf, Familie, Kinder und andere Lebensumstände zwingen zu differenziertem Handeln. Viele wundern sich, warum sie nie Zeit für die „wirklichen Dinge“ des Lebens haben, sondern in einer Tretmühle gefangen sind, aus der es scheinbar kein Entkommen gibt. Und es sind nur wenige, die eigentlich immer Zeit für spontane Verabredungen, Ausflüge, Sport, Lesen und viele andere lebenswerte Vergnügen haben. Besonders auch für die Kunst, unbeschwert allein und ganz bei sich zu sein.
Verantwortlich dafür ist zwangsläufig ein unterschiedliches Verhalten im Umgang mit der Zeit. Kaum einer ist in der Lage, alle anstehenden Aufgaben zu delegieren und damit viel Zeit zu finden, das zu tun, was ihm adäquat ist. Die meisten Menschen müssen ihren Alltag „managen“, um dann wenigstens einen winzigen Rest an unbeschwerter Zeit für sich zu finden.
WIE SCHAFFT MAN SICH FREIE ZEIT?
Wie es dennoch funktioniert, möge folgendes Beispiel, auch wenn es lapidarer Art ist, zeigen. Ich hoffe, dass es bei Betroffenen eine „Einkehr“ auslöst. Es ist aus der langjährigen Lebenspraxis des Autors gegriffen, der neben seiner zeitraubenden beruflichen Tätigkeit durch ein bestimmtes Verhalten in allen Lebensphasen trotzdem Zeit gefunden hat, seinen vielseitigen Interessen mit großer Neugier nachzukommen, um sein Leben zu bereichern und sich wertvolle Erinnerungen zu schaffen. Es geht dabei um die Bewältigung des vielseitig belastenden Alltags, der heute trotz sämtlicher technischer Hilfsmittel nicht leichter geworden ist als es früher der Fall war.
ZEITMANAGEMENT
Dabei ist es wichtig, nichts von dem zu vergessen, was abgeholt, gebracht, telefonisch erledigt, terminiert, repariert, eingekauft, erledigt werden muss. Am einfachsten ist es, dies täglich auf einer Liste nach Wichtigkeitsprioritäten (oder auch nach den lokalen Gegebenheiten) festzulegen. Eine solche Liste muss wirklich alle Vorgänge enthalten, auch scheinbare Nebensächlichkeiten. Durch einen Wochenplan ist es möglich, Aktivitäten etwas längerfristig festzulegen. Sinnvoll ist auch hier ein Test: Einen Tag ohne, einen Tag mit Liste erleben. Man wird erstaunt sein, was man ohne Liste zu erledigen vergessen hätte. Später hat man durch jeden durchgestrichenen Punkt ein gewisses Erfolgserlebnis, das einen auch befreit.
Beim Abarbeiten des Zeitplans bedarf es zusätzlich zur Logistik einer gewissen Gedankenkonzentration. Jede Ablenkung durch Anrufe oder andere Unterbrechungen bedeutet, sich auf das Vorgenommene erneut konzentrieren zu müssen. Das ständige Hin und Her zwischen den verschiedenen notierten Erledigungen kann das Doppelte oder mehr an Zeit kosten – und genau das will man ja vermeiden.
Goethe vertrat die Meinung, man sollte immer daran denken, „was heute nicht geschieht, ist morgen nicht getan“. Das heißt, kein Tag sollte ungenutzt vergehen. Das einzige Mittel, Zeit zu haben, ist: sich Zeit zu nehmen, aber das macht nur dann unbeschwerte Freude, wenn vorzunehmende Besorgungen etc. keine innere Belastung mehr darstellen.
VORAUSPLANUNG
Man könnte dieser Überlegung noch viele weitere hinzufügen und die Liste für viele Gelegenheiten fortsetzen. Generell gilt: Nicht erledigte Notwendigkeiten sind und bleiben immer ein nicht zu unterschätzender Seelenballast.
Das umgekehrte Verhalten, das einer gewissen Disziplin bedarf, schafft zeitlichen Freiraum, um ohne Schuldgefühle sich in jeder Stunde, an jedem Tag, einer erhofften Leichtigkeit des Seins hinzugeben.
Ist es nicht wunderbar, sich einmal zu erlauben, ohne schlechtes Gewissen einfach nur faul zu sein? Oder Zeit zu haben für die Dinge, die Glücksgefühle auslösen? Oder sich Zeit nehmen zu können für das Wichtigste im Leben: die Gesundheit, Liebe, Freundschaft (in dieser Reihenfolge!).
ÄUSSERE ORDNUNG
Es geht bei diesen Ausführungen nicht nur um die Problematik unerledigter Aufgaben. Auch die äußere Ordnung ist ein wichtiges Moment, um wertvolle Zeit zu gewinnen. Der amerikanische Freidenker Prentice Mulford (1834 – 1891) forderte kategorisch: „Jedes Ding an seinen Platz.“ Es ist wichtig, dass wir das leicht finden können, was wir gerade brauchen. Dazu müsste es allerdings auch am richtigen Platz liegen. Wer diesen Ordnungsgrundsatz nicht verinnerlicht und praktiziert, wird für ständiges Suchen viel wertvolle Zeit vergeuden und dabei vielleicht auch noch innere Aufregung herbeiführen.
Maria Montessori (1870 – 1952) die große Pädagogin und Gründerin der gleichnamigen Schulen, ermahnte ihre Schüler immer mit dem Hinweis „Äußere Ordnung führt zu innerer Ordnung“. Das mag wie ein alter Aufräumzwang klingen. Eine Missachtung desselben kann aber durchaus zu negativen Folgen für das Gemütsleben führen, das dann eben nicht mehr einem sanft dahinfließenden Fluss gleicht, der Zeit zur Besinnung lässt, sondern einem ungestümen Wildbach.
ACHTSAMKEIT
Zu allem, was bisher gesagt wurde, gehört im Leben auch Achtsamkeit und eine Vorausschau, für das, was geschehen könnte. Damit ist kein ängstliches Zögern gemeint, sondern das Vermeiden von Schäden für Leib und Seele. Immer den unerschrockenen Helden spielen zu wollen, ist sicher nicht der richtige Weg. Speziell im Umgang mit Menschen kann versäumte Achtsamkeit und Vorausschau viel Verärgerung und Enttäuschung auslösen; und bei einem selbst Frustration durch das eigene falsche Verhalten.
Glücklich kann deshalb ein jeder sein, der dieser Ratschläge nicht bedarf, dem aber dennoch bestätigt wird, bisher selbst alles richtig gemacht zu haben und er sich damit auf dem Weg zu unbeschwerter, das Leben bereichernder Zeit befindet.
Fotos: Unsplash / Clay Banks, Athan Dumlao, Bruno Figueiredo, Kunj Parekh, Johannes Plenio