Schwarze Maske mit von zwei Händen gehalten

DAS SPIEL MIT DER MASKE

Der Traum kann beides: verhüllen und enthüllen – so wie eine Maske. Ein Beitrag über Wünsche, Authentizität und Erkenntnis.

Hier erfahren Sie mehr über

  • Verwandlung
  • Träume
  • Metaphern

Text Brigitte Berger

Paartherapeutin Brigitte Berger

Brigitte Berger ist Erziehungswissenschaftlerin und Paartherapeutin. Sie arbeitet mit Träumen und bietet als ehemalige Dozentin an der vormaligen Bayerischen Akademie für Gesundheit eine Ausbildung zur Traumarbeit für therapeutische Berufe an. Zudem ist sie Mitglied der Martin-Buber-Gesellschaft.

Wer nahe Köln im Auge des Karnevals lebt oder wie es in Bayern heißt, im „Fasching“ zuhause ist, trifft im Februar auf das lustvolle Spiel mit der Verkleidung. Indirekt löst die Maske die Frage nach dem Authentischen aus.

Die Maske reizt, sie zu lüften. Was ist echt? Was heißt es, authentisch zu leben?

In Zeiten von Fake News, ChatGPT und inflationären Selbstdarstellungen in den Social Media eine drängende Frage. Der nächtliche Traum ist nicht echt im Sinne der Wirklichkeit, ist eben Traum. Zudem kommt der Traum oft wirr daher und wir tun ihn schnell als blanken Unsinn ab, weil wir nichts mit ihm anzufangen wissen. Und doch ist der Traum bei genauerem und empfindsamen Hinsehen näher dran an uns und unserer Authentizität, als wir es auf der bewussten Ebene oft sind.

Mensch in einem schwarzen Kostüm

DER TRAUM BEI FREUD UND JUNG

Sigmund Freud war der Ansicht, der Traum setze unseren Wünschen eine Narrenkappe auf. Zu seinen Zeiten waren es sexuelle Wünsche, die aus dem Bewusstsein verdrängt, nachts dem Unbewussten entsteigend den Traum bevölkerten.  Der Traum verhülle diese „Triebwünsche“, mittels Entkoppelung, Verdichtung und Verschiebung; Freud nannte dies die Grammatik des Traumes, damit wir uns nicht vor ihnen erschreckten und erwachten.

Begehrte der Träumer ein Fräulein Rose träume er von einer blühenden Rose. Der Traum von einem Zimmer bedecke den Wunsch nach einer Frau, einem Frauenzimmer, durch dessen „Zimmertüren“, deren Körperöffnungen, der Mann ein- und austreten könne …

Freud nannte den Traum aufgrund der verhüllenden Leistung den Hüter des Schlafes. Sein Schüler C.G. Jung sah das andersherum, der Traum enthülle ungelebte Persönlichkeitsanteile des Träumers. Der Traum bringe uns mit Anteilen von uns in Kontakt, die wir auf dem Lebensweg – beginnend mit der Geburt – als sozial unerwünscht erlebt und deshalb zurückgedrängt haben. Sie führten ein Schattendasein in uns. Der Traum enthülle und beleuchte diese ungelebten Persönlichkeitsanteile als Wegmarker im Prozess der Individuation.

Der heutige Theorienbildung der Psychologie und die Sicht der Neurowissenschaft auf den Traum führt beide Funktionen des Traumes, die der Verhüllung und die der Enthüllung zusammen.

DER TRAUM ALS TEIL UNSERER EVOLUTION

Auch Traumskeptikern ist inzwischen klar, das nächtliche Gehirn, der Besorgung des Alltags enthoben, sucht Lösungen auf Fragen, die sich jetzt in unserem Leben stellen. Aus dem im Gedächtnis abgespeicherten Lebenserfahrungen setzt der Traum kreativ neue Muster zusammen, die es uns ermöglichen, über uns selbst hinaus zu wachsen. Anders ausgedrückt, der Traum ist Teil des Evolutionssystem unseres lebendigen psychophysischen Organismus.

Der Traum reagiert auf eine Störung unseres inneren Gleichgewichts. Die unumgänglichen Veränderungen im Leben — es müssen keine tragischen Schicksalsschläge, Traumata oder Krieg sein— werfen uns aus der gewohnten Bahn. Es kann auch ein Glück sein, die Geburt eines Kindes zum Beispiel, das uns auffordert, uns neu zu (er)finden. Das Verlassen der Kinder des Elternhauses, das Älterwerden, Krankheiten, Verlust der Arbeit, Tod der Eltern, Freunde oder des Lebenspartners – diese unvermeidlichen Krisen können heilige Neuanfänge werden. Darum bemüht sich der Traum.

  • Indigene Holzmaske
  • Zwei Menschen versteckt hinter Masken

DER TRAUM ALS WEG ZUR GEFÜHLTEN ERKENNTNIS

Der Traum spricht nicht Klartext, tue dies oder unterlasse jenes. Der Traum spricht in Bildern, Metaphern. Jedes Detail im Traumbild repräsentiert einen Persönlichkeitsanteil des Träumers. Die Verhüllung sorgt, wie im richtigen Leben die Maske, für eine Distanz, die es uns erlaubt zu reflektieren.

Erstens, es ist ja nur ein Traum.

Zweitens, wir sind nicht identifiziert. Wir sind nicht der Porsche im Traum. In der Desidentifikation ist es uns möglich zu reflektieren, hinter das Bild auf den zu Inhalt schauen. Zudem es ist ein fühlender Blick. Denn Bilder lösen Emotionen aus. Ein rasender Porsche in unübersichtlichem Gelände bringt uns unmittelbar in die Erkenntnis, wie selbstgefährdend es sein kann, in schwierigen Lebenslagen nicht zu entschleunigen und step by step auf Sicht zu fahren.

Der Traum ermöglicht gefühlte Erkenntnis, sowohl des Problems als auch der Lösung.

DER TRAUM UND SEINE LÖSUNGEN

Traumschilderungen geben eine Suchbewegung des Traumes vom Problem zur Lösung zu erkennen. Am Anfang des Traumes findet sich der Traum in der Situation ein, die die Suchbewegung ausgelöst hat. Personen am Anfang des Traumes bringen Persönlichkeitsanteile in Ansicht, mit denen wir uns selbst im Wege stehen, die uns das Leben schwer machen. Personen am Ende des Traumes stellen Lösungsvorschläge vor.

Schauen wir uns das an einem Traum-Beispiel an. Der Traum einer Therapeutin, die in der kunstvollen Fotographie und im Schreiben viel Freude erfährt, dies als ein Randgebiet im Privaten. Die einzige Tochter ist gerade ausgezogen. Das Elternpaar sucht sich im still gewordenen Haus mit einem lachenden und mindestens einem weinenden Auge neu zu finden.

Die Träumerin erlebt einen wohltuenden Abend in ihrem Fotoclub. Sie fühlt sich als kreative Person gesehen und geschätzt. Im darauffolgenden Traum ist sie in einer Gruppe von acht bis zehn Personen. Eine Frau, optisch eine Mischung der Schauspielerinnen Lina Beckmann und Sandra Hüller lehnt sich ihr an, legt ihren Kopf in den Schoß der Träumerin. Sie will mehr von ihr.

Acht Zettel, vier kleinere quadratische Zettel, nummeriert von 1-4 und vier größere rechteckige, nummeriert von 5-8 tauchen auf. Es sind Eintrittskarten für ein Theaterstück, das den immer gleichen Handlungsablauf mit leichten Veränderungen zur Vorstellung bringt.

Um die Frau nicht zu enttäuschen, sagt ihr die Träumerin, sie sei verheiratet mit Tom und der sei auch recht passabel. Erleichtert stellt sie im Traum fest, dass sie nicht mit Thomas, einem früheren Freund, sondern ihrem realen Mann verheiratet ist.

Die Träumerin verlässt den Raum und entdeckt im Freien einen Mann mit einem erschreckenden Aussehen und einem großen Kopf. Sie vermutet, dies sei der Mann der Frau, die sich ihr zugewandt hat. Danach erkennt die Träumerin einen gutaussehenden, ernsten Mann, der auf die Frau zugeht und sich als ihr Ehemann erweist.

Maske liegt auf einem Schreibtisch

DER TRAUM UND SEIN GESCHEHEN

All das ist auf den ersten Blick ein Shakespeares Sommernachtstraum-Szenario: Ein turbulentes Geschehen, Annäherungen, Zettels-Traum, ein Stück im Stück, die Verwechslung von Ehemännern und schließlich die Verwandlung eines Ungeheuerlichen in einen stattlichen Mann.

Schauen wir uns die Ausgangssituation mit aufkeimender Problemstellung an. Der wohlige Abend im Fotoclub scheint verschiedene Persönlichkeitsanteile der Träumerin munter auf den Plan gerufen zu haben.  Die Träumerin kommt in Kontakt mit einem Persönlichkeitszug in sich, der schillernd ist. Eine Mischung aus Sandra Hüller und Lena Beckmann. Die Träumerin beschreibt Sandra Hüller als eine Frau mit diskussionslosem Selbstbewusstsein und entsprechendem Auftreten – ein Anteil der Träumerin.
Lina Beckmann beschreibt sie als eher zurückweichenden, aggressionsgehemmten Charakter – auch ein Wesenszug der Träumerin, den sie in der Kindheit im Umgang mit der suizidalen Mutter angenommen hat.  Eine klassische Ambivalenz: Rauskommen mit sich oder zurückziehen? Beides geht nicht. Diese Mischung macht der Träumerin das Leben oft schwer.

Oft. Denn nun kommen die acht Eintrittskarten. Eigentlich braucht man nur eine für ein Stück. Der gleiche Handlungsablauf wird mit Variationen wiederholt. Die Nummerierung der Karten könnte auf Bewusstwerdungsschritte hinweisen.

1 – 4, die erste Etappe:

1 Erkenne das Problem.
2 Benenne die Ambivalenz.
3 Was will ich? Was macht mich glücklich?
4 So könnte das im Leben aussehen.

Zweite Etappe, 5 – 8:

5 Das probiere ich jetzt aus.
6 So gehe ich mit Widerständen um.
7 Das steht mir aus der Kindheit im Weg.
8 So geht das, wenn ich mit den Kindheitsmustern umzugehen weiß.

Es ist, als würde der Traum der Träumerin sagen: Setze Dich immer wieder und Schritt für Schritt damit auseinander, werde dir bewusst, wenn du in die Ambivalenz zwischen Rückzug oder Stellung beziehen gerätst.

Weisse Maske vor einer Wand

DER TRAUM UND SEINE LÖSUNG

Um die Frau in Distanz zu bringen, sagt die Träumerin, sie sei schon vergeben. Männer im Traum gehen auf unsere Handlungsbereitschaften ein. Thomas schildert sie als den Künstler, er könne aus allem etwas machen. Eine Steuererklärung mache ihn dagegen ratlos. Deshalb nur „recht passabel“ zu ihrer Künstlerseele. Erleichtert stelle sie im Traum fest, dass sie mit ihrem realen Mann verheiratet ist, den sie als lebenstüchtiger wahrnehme. Eine Seite in sich, die sie als Ehefrau, Mutter und Therapeutin entwickelt habe. Der Traum macht der Träumerin eine Ressource bewusst.

Nun tritt die Träumerin noch einen Schritt weiter zurück. Hinter dem Offensichtlichen entdeckt sie einen schrecklich aussehenden Mann mit einem großen Kopf, den sie der ambivalenten Seite in sich zuordnet. Die Träumerin versteht, die sich zurücknehmende Seite mache sie auch wütend und aggressiv, unschön, zumindest verbal gewalttätig. Sie versuche das mit Humor zu überspielen.

In diesem Verstehen geschieht die Wandlung: Ein Handlungsimpuls, der es ernst mit ihr meint, durch die diskussionslose Seite in ihr genährt, nähert sich der Frau und gibt sich als ihr Mann zu erkennen.

Das ist die Lösung: Als Kind war die Träumerin hilflos der Situation ausgeliefert, sie musste sich anpassen und sich zurücknehmen. Dies nährte eine selbstdestruktive, aggressive Seite in ihr. Als Erwachsene kann sie diesem empathischen, rücksichtsvollen Wesenszug eine Handlungskraft zur Seite stellen, der ihre Bedürfnisse, Wünsche und Fähigkeiten ernst nimmt und so die aggressive Kraft in Mut zur Umsetzung wandelt. Der Traum eröffnet der Träumerin ein Potenzial, das sie jetzt zu realisieren in der Lage ist.

Dazu Rainer Maria Rilke:

„Vielleicht sind alle Drachen unseres Lebens Prinzessinnen, die nur darauf warten, uns einmal schön und mutig zu sehen. Vielleicht ist alles Schreckliche im Grunde das Hilflose, das von uns Hilfe will.“

Authentizität verlangt Selbstverständnis und Mut, der Traum unterstützt uns dabei. Probiere es aus! Lege die Maske ab! Der Lohn? Ein wahres, unverfälschtes Leben. Ein wahres, sinnerfülltes Leben.

Fotos: Unsplash / Edilson Borges, Dam Dam, John Noonan, Sandra Seitamaa, David Suarez, Marina Zaharkina

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